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Bundesverfassungsgericht
- 1 BvR 2114/97 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K...
gegen a) | das Urteil des Landgerichts
Bonn vom 18. Oktober 1996 - 6 S 122/96 -, |
b) | §§ 337 und 513 ZPO,
zuletzt neugefaßt durch Gesetz vom 3. Dezember 1976 (BGBl I S. 3281) |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
am 6. April 1998 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Landgerichts Bonn vom 18.
Oktober 1996 - 6 S 122/96 - verletzt den Beschwerdeführer in
seinen Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 103 Absatz
1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an
das Landgericht Bonn zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die
notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Rüge des Gehörsverstoßes und des Verstoßes gegen das Willkürverbot gegen ein zivilgerichtliches Urteil, mit dem seine auf § 513 Abs. 2 ZPO gestützte Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil zurückgewiesen worden ist, und hilfsweise unmittelbar gegen die Rechtsnormen §§ 337 und 513 ZPO.
1. Der Beschwerdeführer hat im Ausgangsverfahren die Beklagten auf Zahlung von Mietnebenkosten in Höhe von ca. 10.000 DM vor dem Amtsgericht in Anspruch genommen. Nachdem die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen worden war, hatte das Amtsgericht nach rechtzeitigem Einspruch des Beschwerdeführers Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Noch vor der Terminsstunde rief der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer beim Amtsgericht an und teilte der Geschäftsstelle ausweislich eines Vermerks mit, "daß er erkrankt sei und den Termin heute nicht wahrnehmen könne". Nach Aufruf zur Sache nahm das Amtsgericht in das Sitzungsprotokoll auf: "Es war festzuhalten, daß der Kläger am heutigen Terminstage telefonisch gegenüber der Geschäftsstelle mitgeteilt habe, daß er erkrankt sei und den Termin heute nicht wahrnehmen könne, daß ihn die zuständige Geschäftsstellenverwalterin am Telefon darauf hingewiesen habe, daß sein Ausbleiben - zumindest - durch ärztliche Bescheinigung entschuldigt werden müsse." Unmittelbar danach verwarf das Amtsgericht sodann auf Antrag der Beklagten den Einspruch des Beschwerdeführers durch zweites Versäumnisurteil als unzulässig.
Die hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegte und darauf gestützte Berufung, es habe ein Fall einer unverschuldeten Säumnis vorgelegen, hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Für das Amtsgericht habe keine Veranlassung bestanden, nach § 337 ZPO zu verfahren. Unverschuldet sei ein Fernbleiben der Partei nur dann, wenn ein erheblicher Verhinderungsgrund von der abwesenden Partei vor dem Termin mitgeteilt worden sei. Hierbei richte sich der Verschuldensbegriff nach den in § 276 BGB niedergelegten objektiven Maßstäben. Zugrunde zu legen sei danach die Sorgfalt einer ordentlichen Prozeßpartei. Hier fehle es an einer schlüssigen Darlegung einer hinreichenden Mitteilung des Entschuldigungsgrundes durch den Beschwerdeführer vor dem Termin. Es komme nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer, wie er im Berufungsverfahren erstmals unter Bezugnahme auf ärztliche Bescheinigungen vorgetragen habe, an einer akuten erheblichen Erkrankung gelitten habe, weil er das Vorliegen einer solchen Erkrankung in dem Telefonat gegenüber der Geschäftsstelle nicht hinreichend deutlich gemacht habe. Zudem habe er nicht vorgetragen, die Vorlage des geforderten ärztlichen Attests unverzüglich nach der Untersuchung zugesagt zu haben.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer sinngemäß Verletzung des Willkürverbots und des rechtlichen Gehörs. Er macht geltend: Da das Landgericht nicht geprüft habe, ob eine Säumnis vorgelegen habe, sei das Urteil ein Willkürakt. Das Landgericht habe ihm das rechtliche Gehör verweigert, weil es nicht berücksichtigt habe, ob seine Befürchtung am Morgen des Terminstages berechtigt gewesen sei, an einer lebensgefährlichen akuten Erkrankung zu leiden. Tatsächlich sei er in Angst gewesen, eine Thrombose zu haben. Deshalb habe er sich nicht darauf konzentrieren können, wie er sich formal korrekt beim Amtsgericht zu entschuldigen gehabt habe. Der Erklärung der Geschäftsstellenverwalterin, er müsse ein Attest vorlegen, habe er zumindest nicht widersprochen. Die Beibringung eines Attestes sei auch kein Problem gewesen, da er im Begriff gewesen sei, die Universitätsklinik aufzusuchen. Falls das Urteil des Landgerichts den Regelungen der Zivilprozeßordnung entspreche, seien diese willkürlich und verfassungswidrig. Es ginge nicht an, daß ihm ohne seine Schuld die Forderung von 10.000 DM entginge und er zusätzlich noch mit rund 10.000 DM Prozeßkosten bestraft würde.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
1. Die Auslegung des Gesetzes ist Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots des Art. 3 Abs. 1 GG greift das Bundesverfassungsgericht jedoch dann ein, wenn ein Richterspruch unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; 87, 273 <278 f.>).
Art. 103 Abs. 1 GG ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts sowie seine Auslegung und Anwendung im konkreten Fall müssen ein Ausmaß rechtlichen Gehörs eröffnen, das sachangemessen ist, um dem in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. BVerfGE 74, 220 <224>). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, daß die Gerichte die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs nachholen, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht (vgl. BVerfGE 69, 233 <242>).
2. Die Auffassung des Landgerichts, der Beschwerdeführer habe eine für die Annahme eines unverschuldeten Fernbleibens ausreichende rechtzeitige Mitteilung über den Verhinderungsgrund nicht dargelegt, entbehrt einer hinreichenden Begründung und entzieht dem Beschwerdeführer den Anspruch auf rechtliches Gehör.
§ 337 ZPO ist ein Anwendungsfall des Anspruchs der unverschuldet säumigen Partei auf rechtliches Gehör (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 20. Aufl., § 337, Rn. 1). Eine im Berufungsverfahren nach § 513 Abs. 2 ZPO zu prüfende unverschuldete Säumnis im Sinne von § 337 ZPO liegt nach allgemeiner Auffassung nur vor, wenn die Partei den ihr bekannten Hinderungsgrund dem Gericht rechtzeitig mitgeteilt und dadurch die Vertagung mindestens ermöglicht hat, es sei denn, eine solche Mitteilung war der Partei nicht oder nicht mehr rechtzeitig möglich oder zumutbar (vgl. Gummer, in: Zöller, ZPO, 20. Aufl., § 513 Rn. 7 a, und Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 513 II Rn. 9, jeweils mit weiteren Nachweisen). Soweit hiernach das Verschulden der säumigen Partei auch in einer schuldhaft unterlassenen Mitteilung des Hinderungsgrundes liegen kann, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn Art. 103 Abs. 1 GG erfordert nicht einen Schutz des nachlässigen Prozeßbeteiligten, der vorwerfbar ihm zur Verfügung stehende Möglichkeiten nicht ausschöpft, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfGE 74, 220 <225>).
Hiervon ist das Landgericht zwar im Ansatz ausgegangen. Auch hat es nachvollziehbar als Maßstab für das Verschulden der säumigen Partei nach § 276 BGB die Sorgfalt einer ordentlichen Prozeßpartei angesehen. Das Landgericht gibt jedoch keinerlei Begründung dafür, warum die als unzureichend erachtete Konkretisierung des Entschuldigungsgrundes durch den Beschwerdeführer gegenüber dem Amtsgericht gemessen an diesem Sorgfaltsmaßstab schuldhaft gewesen sein soll. Weshalb eine ordentliche Prozeßpartei es für erforderlich halten mußte, das Krankheitsbild, das nach der eigenen Einschätzung daran hinderte, den Gerichtstermin wahrzunehmen, ohne entsprechende Aufforderung näher zu präzisieren, legt das Landgericht nicht dar. Ebensowenig gibt es eine Begründung dafür, aus welchem Grunde der Beschwerdeführer eine dringende Veranlassung gesehen haben sollte, auf die Aufforderung zur Vorlage eines Attestes im Sinne einer Zusage zu reagieren. Daß eine verständige Prozeßpartei die Aufforderung so verstehen konnte, es sei erforderlich, aber auch ausreichend, ein solches Attest nachzureichen, liegt auf der Hand. Die widerspruchslose Entgegennahme des Hinweises auf die Notwendigkeit der Vorlage eines Attestes läßt sich deshalb nicht als schuldhaftes Verhalten einer verständigen Prozeßpartei auffassen, wenn nicht ausdrücklich eine solche Zusage verlangt worden ist, was hier nicht der Fall war. Die Annahme des Landgerichts, das Verschulden des Beschwerdeführers liege in seinem Verhalten anläßlich der Mitteilung des Verhinderungsgrundes an das Amtsgericht, entbehrt daher einer hinreichenden Begründung, und es drängt sich der Schluß auf, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht.
3. Die angefochtene Entscheidung beruht auf dem Verfassungsverstoß. Da der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren substantiiert unter Beweisantritt vorgetragen hatte, er sei begründet von einer akuten erheblichen Erkrankung ausgegangen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Gericht bei einer den Maßstäben der Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG genügenden Rechtsanwendung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier | Grimm | Hömig |