BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 783/00 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn J...
Elberfelder Straße 11, 58095 Hagen -
gegen a) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. März 2000 - 19 W 39/00 -, |
b) | den Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 18. Februar 2000 - 2 T 23/00 -, |
c) | den Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 4. Januar 2000 - 11 XIV 3491/B - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Sommer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Di Fabio
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. Januar 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer, der nach seinen eigenen Angaben nach einem erfolglos betriebenen früheren Asylverfahren erneut und unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, wurde am 15. September 1999 auf entsprechende gerichtliche Anordnung in Abschiebungshaft (Sicherungshaft) genommen. Er wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 4. Januar 2000, mit dem das Gericht die Sicherungshaft um drei weitere Monate auf insgesamt sechs Monate verlängert hat, sowie gegen die im Beschwerdeverfahren ergangenen Beschlüsse des Landgerichts Paderborn vom 18. Februar 2000 und des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. März 2000. Zur Begründung führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, die Entscheidungen verletzten ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, u.a. deshalb, weil aufgrund des nach erneuter Einreise gestellten, wenngleich nach dem Bescheid des Bundesamtes und auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erfolglos gebliebenen Asylfolgeantrages die Anforderungen an einen Sicherungshaftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG nicht erfüllt gewesen seien. Der Beschluss des Oberlandesgerichts verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, soweit er ein Rechtsschutzinteresse an einer Beschwerdeentscheidung nach Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherungshaft als nicht gegeben erachte.
II.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist weder wegen ihrer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedeutung geboten noch zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
1. Für die Verfassungsbeschwerde besteht das Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts fort, obgleich der Beschwerdeführer zwischenzeitlich aus der Abschiebungshaft entlassen worden ist. Es würde der Bedeutung des Schutzes der persönlichen Freiheit, wie ihn das Grundgesetz garantiert, nicht entsprechen, wenn das Recht auf verfassungsgerichtliche Klärung der Grundrechtskonformität einer behaupteten Freiheitsverletzung bei Wiedergewährung der Freiheit ohne weiteres entfiele (vgl. BVerfGE 58, 208 <219> m.w.N.; stRspr, vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2000 - 2 BvR 453/99 -, NJW 2000, S. 1401). Dies gilt unabhängig davon, ob die gerügte Freiheitsentziehung bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde noch andauert und erst im Verlaufe des verfassungsgerichtlichen Verfahrens beendet wird, oder ob sich der Beschwerdeführer - wie hier - bereits bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht mehr in Haft befindet.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist gleichwohl mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung anzunehmen.
a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG sind durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen nicht verletzt.
Der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet i.V.m. dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Anordnung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Insbesondere verpflichtet er die Haftgerichte, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Haft vorliegen oder aufgrund nachträglich eingetretener Umstände entfallen sind; hierzu zählt namentlich das Ergehen einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, durch die der Inhaftierte der Ausreisepflicht ledig oder die Durchführbarkeit seiner Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Mai 1987 - 2 BvR 800/84 -, NJW 1987, S. 3076; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 2000 - 2 BvR 347/00 -). Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, von der Sicherungshaft abzusehen, wenn die Abschiebung nicht durchführbar und die Freiheitsentziehung deshalb nicht erforderlich ist (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, AuAS 1996, S. 42 <43>).
Das Amtsgericht und die Beschwerdegerichte haben die ihnen nach den aufgezeigten Grundsätzen obliegenden Prüfungspflichten jedenfalls insoweit nicht verkannt, als sie übereinstimmend von einem Sicherungshaftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG unter Berücksichtigung von § 71 Abs. 8 AsylVfG ausgegangen sind.
Die Auslegung dieser Vorschriften durch die angegriffenen, mit der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur in Einklang stehenden Entscheidungen unterliegt angesichts ihrer nur eingeschränkten Kontrolle (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein nach erfolglosem Asylverfahren angeblich ausgereister Ausländer erneut und unerlaubt ins Bundesgebiet eingereist, sein Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vom Bundesamt abgelehnt worden sowie ein vorläufiger Rechtsschutzantrag erfolglos geblieben ist, sind die im Anschluss daran getroffenen Anordnungen bzw. Aufrechterhaltungen von Sicherungshaft, gestützt auf die Rechtsgrundlage in § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG i.V.m. § 71 Abs. 8 AsylVfG, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Entscheidungen stehen in Übereinstimmung mit der zu einem Asylfolgeantrag ergangenen Rechtsprechung, die in dem Abschiebungshindernis des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylVfG (früher: § 10 Abs. 3 Satz 7 AsylVfG) kein Abschiebungshafthindernis gesehen hat (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Mai 1987 - 2 BvR 800/84 -, NJW 1987, S. 3076). Eine andere Betrachtung folgt auch nicht aus dem Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, AuAS 1996, S. 42 (43), dem ein anderer Sachverhalt zugrunde lag.
Anlass für die Annahme, dass die Aufrechterhaltung der Haftanordnung ab dem 4. Januar 2000 als unverhältnismäßig (vgl. auch § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG) anzusehen ist, besteht - auch mangels entsprechenden Vortrags - nicht.
b) Soweit die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 23. März 2000 den Rechtsstreit infolge Entlassung des Beschwerdeführers aus der Abschiebungshaft als erledigt angesehen und deshalb ein Rechtsschutzinteresse als nicht mehr gegeben erachtet hat, fehlt es an einer den Erfordernissen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG genügenden substantiierten Begründung einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts nimmt eine weitere, nach dem Vortrag des Beschwerdeführers angeblich auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 1998 - V ZB 7/98 -, BGHZ 139, 254 ff. gestützte Entscheidung desselben Senats vom 9. März 2000 in Bezug und ist deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung allein nicht zugänglich. Denn die die angegriffene Entscheidung tragenden rechtlichen Erwägungen für die Verneinung eines Rechtsschutzinteresses ergeben sich aus der weiteren Entscheidung vom 9. März 2000, ohne dass diese vorgelegt oder dem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 93, 266 <288>). Im Übrigen ist angesichts der Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Kostenerstattung davon auszugehen, dass eine erneute Entscheidung des Gerichts auch bei Annahme eines Rechtsschutzinteresses wiederum zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
c) Die Rüge von Verstößen gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) bzw. gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und § 5 Abs. 1 FreihEntzG durch die Beschwerdegerichte ist ebenfalls bereits unzulässig. Die Berufung auf Art. 103 Abs. 1 GG kann nur erfolgreich sein, wenn die angegriffenen Gerichtsentscheidungen auf einer solchen Verletzung beruhen. An ausreichendem Vortrag hierzu fehlt es (vgl. BVerfGE 28, 17 <19 f.>). Des Weiteren hat der Beschwerdeführer insoweit nicht dem Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im weiteren Sinne (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) Rechnung getragen, als er die unterlassene mündliche Anhörung durch das Landgericht nicht zum Gegenstand des Verfahrens über die sofortige weitere Beschwerde gemacht hat.
d) Inwieweit der Beschwerdeführer in dem weiteren Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht seinem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen worden sein soll, ist nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG); Anhaltspunkte für einen derartigen Verstoß lassen sich nicht erkennen.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer | Osterloh | Di Fabio |