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Gewährung von "BAföG" als Volldarlehen ist verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 2/1998 vom 14. Januar 1998

Beschluss vom 14. Oktober 1997
1 BvL 5/93

Der Erste Senat des BVerfG hat auf den Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover entschieden, daß die Gewährung von Leistungen für Studierende nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) im Zeitraum von 1983 bis 1990 ausschließlich als Darlehen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

I.

Das Verfahren betraf die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehindert war, Studierenden Leistungen für den Unterkunftsbedarf nach dem Bundesausbildungsförderungsrecht nur als Darlehen zu gewähren und ihnen zugleich - als Zuschuß ausgestaltetes - Wohngeld vorzuenthalten.

  • Ausbildungsförderung nach dem BAföG kommt Studierenden zugute, die ihr Studium nicht aus Eigenmitteln oder Unterhaltszahlungen der Eltern bestreiten können. Sie wird in Form eines Betrages für den allgemeinen Lebensbedarf und eines Sonderbetrages für die Unterkunft geleistet, dessen Höhe auch davon abhängt, ob der Berechtigte bei den Eltern wohnt.

Bis Oktober 1983 wurden Ausbildungsförderungsleistungen hauptsächlich als - nicht rückzahlbarer - Zuschuß gewährt. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 stellte der Gesetzgeber die Förderung vollständig auf Darlehen um (sogenannte Volldarlehensregelung).

1990 erfolgte eine erneute Änderung. Ausbildungsförderung für Studierende gewährt der Staat seither je zur Hälfte als Darlehen und als Zuschuß. Für die Förderungsfälle der Jahre 1983 bis 1990 verblieb es bei der bisherigen Regelung.

  • Ein von der "Volldarlehensregelung" betroffener Student erhob gegen die Bescheide des Studentenwerks Klage und beantragte, jedenfalls die unterkunftsbezogenen Leistungen als Zuschuß zu gewähren. Das VG Hannover setzte das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob die gesetzliche Vorschrift, wonach auch die zur Deckung der Unterkunftskosten vorgesehenen Leistungen als Darlehen gewährt werden, verfassungswidrig sei. Das Gericht vertrat die Auffassung, diese Regelung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Empfänger von Ausbildungsförderung würden gegenüber Wohngeldberechtigten ohne rechtfertigenden Grund benachteiligt.

II.

Der Erste Senat hat die ihm vorgelegte Frage verneint. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß Leistungen für Studierende ab 1. Oktober 1983 ausschließlich als Darlehen gewährt wurden.

Zur Begründung heißt es unter anderem:

  • Der Gesetzgeber konnte sich 1983 bei der Änderung des Förderungskonzepts zum Nachteil Studierender auf wichtige Gründe des Gemeinwohls berufen. Er sah sich durch die schwierige Haushaltslage veranlaßt, eine Vielzahl von Sparmaßnahmen vorzunehmen. Ob der Gesetzgeber die Situation in jeder Hinsicht zutreffend eingeschätzt und die einzelnen Sparmaßnahmen ausgewogen vorgenommen hat, entzieht sich einer Nachprüfung durch das BVerfG.
  • Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, daß die Volldarlehensregelung Studierende einbezog, die bereits eine geförderte Ausbildung aufgenommen hatten.

Die Einbeziehung aller geförderten Personen in die neue Regelung war geeignet und erforderlich, die angestrebten Ziele zu erreichen. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers hätte eine Beschränkung des Wechsels zur Volldarlehensförderung auf den Personenkreis der Studienanfänger des Jahres 1983 nicht zu dem aus seiner Sicht notwendigen Einsparvolumen geführt. Die Geförderten sollten an der Finanzierung ihrer besonders qualifizierenden Ausbildung beteiligt und dadurch zugleich stärker zur verantwortlichen Inanspruchnahme der Fördermittel angehalten werden. Ferner sollten sie mit der Rückzahlung zur langfristigen Sicherung des Systems staatlicher Ausbildungsförderung beitragen.

Der Gesetzgeber ist mit der Neuregelung auch dem berechtigten Vertrauen der Studierenden gerecht geworden, weiterhin eine Ausbildungsförderung zu erhalten, die eine Beendigung des Studiums ohne wesentliche Verringerung des monatlich verfügbaren Geldbetrages ermöglichen würde. Die Neuregelung stellte nicht die Möglichkeit in Frage, das Studium mit Hilfe staatlicher Mittel zu beenden. Zu jedem Zeitpunkt war sichergestellt, daß alle bereits Studierenden weiterhin die bisherigen Auszahlungsbeträge - wenn auch nunmehr als Darlehen - erhielten.

  • Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtete den Gesetzgeber auch nicht, die ab 1990 wieder vermehrt zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel für eine rückwirkende Besserstellung der Studierenden der Jahrgänge seit Oktober 1983 bis 1990 zu verwenden. Die Benachteiligung der Studierenden dieser Jahrgänge gegenüber den zuvor oder danach Geförderten ist gerechtfertigt. Der Gesetzgeber wollte mit dem erneuten Modellwechsel dem starken Absinken der Förderungszahlen seit Einführung der Volldarlehensregelung entgegenwirken. Es stand ihm angesichts begrenzter finanzieller Mittel frei, diese ausschließlich einzusetzen, um das von ihm für die Zukunft angestrebte Ziel einer Steigerung der Förderzahlen wirksam zu erreichen. Zudem hätte eine rückwirkende Verbesserung der Förderung der Studierenden der Jahrgänge 1983 bis 1990 nicht diejenigen erreicht, die von einer Förderung im Hinblick auf das Volldarlehenskonzept Abstand genommen hatten.
  • Schließlich verstößt es auch nicht gegen den Gleichheitssatz, Leistungen für die Deckung der Unterkunftskosten an die Studierenden als Darlehen zu gewähren und sie zugleich vom Bezug des Wohngeldes auszuschließen, das andere Sozialleistungsempfänger als Zuschuß erhielten.

Das BAföG stellt ein abschließendes Sondersystem zur Förderung u.a. der Hochschulausbildung dar. Es unterscheidet sich von dem allgemeinen Sozialleistungssystem (Sozialhilfe, Wohngeld) durch seine grundsätzlich andere Zielrichtung. Mit dem Wohngeld hat der Gesetzgeber neben der Sozialhilfe ein Grundsicherungssystem geschaffen, um diejenigen Personen zu unterstützen, die trotz Erwerbsanstrengungen und unter Berücksichtigung des eigenen Einkommens und Vermögens nicht in der Lage sind, sich angemessenen Wohnraum selbst zu beschaffen. Bei Studenten liegt der Grund für die mangelnde Fähigkeit zur wirtschaftlichen Selbsthilfe dagegen in der (freiwilligen) Aufnahme und Durchführung eines Studiums. Dieser Unterschied rechtfertigt die Entscheidung des Gesetzgebers, Studierende auch zur Finanzierung ihrer Unterkunftskosten auf ein staatliches Darlehen zu verweisen und sie von der Gewährung eines Zuschusses nach dem Wohngeldgesetz auszuschließen.

Ein weiterer die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund liegt darin, daß Studierende mit dem Abschluß der aus öffentlichen Mitteln unterstützten Ausbildung ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbesserten und typischer Weise mit einem höheren Einkommen rechnen durften. Auch neuere Studien legen dar, daß die Verdoppelung des Bestandes an erwerbstätigen Akademikern im Zeitraum von 1976 bis 1990 auf knapp 4 Millionen sowie des Akademisierungsgrades auf fast 14 Prozent bislang keine grundsätzliche Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation dieser Personengruppe zur Folge gehabt haben.