Bundesverfassungsgericht

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Kein Rückübereignungsanspruch auf in der DDR enteignetes Grundstück, wenn Enteignungszweck nicht verwirklicht wurde

Pressemitteilung Nr. 6/1998 vom 27. Januar 1998

Beschluss vom 09. Dezember 1997
1 BvR 1611/94

Der Erste Senat des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zurückgewiesen. Das Gericht hatte entschieden, daß dem Beschwerdeführer ein Rückübereignungsanspruch hinsichtlich eines zu DDR-Zeiten enteigneten Grundstücks auch dann nicht zustehe, wenn der Zweck der Enteignung erst nach der Wiedervereinigung aufgegeben worden ist.

I.

Die Verfassungsbeschwerde betraf die Frage, ob in der DDR durchgeführte Enteignungen rückgängig zu machen sind, wenn der Zweck, zu dem sie vorgenommen wurden, nach dem Beitritt zur Bundesrepublik aufgegeben worden ist.

  1. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat ein enteigneter Grundstückseigentümer einen aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG folgenden Rückübertragungsanspruch, wenn der Enteignungszweck nicht verwirklicht wird. Für Enteignungen nach dem Baugesetzbuch der Bundesrepublik (BauGB) ist ein solcher Anspruch ausdrücklich gesetzlich geregelt (§ 102 BauGB). Die Vorschriften des BauGB gelten seit der Wiedervereinigung auch in den neuen Bundesländern.
  2. Der Beschwerdeführer begehrte die Rückübertragung seines 1988 nach DDR-Recht gegen Entschädigung enteigneten Grundstücks. Das Vorhaben, auf diesem Grundstück eine Schule zu erbauen, ist nach der Wiedervereinigung aufgegeben worden.

    Die Klage des Beschwerdeführers hatte das BVerwG in letzter Instanz abgewiesen. Zur Begründung hieß es im wesentlichen: § 102 BauGB finde auf Enteignungen nach DDR-Recht keine Anwendung, und zwar auch dann nicht, wenn der noch nicht verwirklichte Enteignungszweck erst nach Inkrafttreten des BauGB im Beitrittsgebiet endgültig entfallen sei. Das DDR-Recht habe keine Rückerwerbsrechte gekannt, die das BauGB hätte aufrechterhalten können. Ebensowenig gebiete eine verfassungskonforme Auslegung die Erstreckung des § 102 BauGB auf die in Rede stehenden Sachverhalte. Das Eigentum habe zum Zeitpunkt seiner Entziehung nicht unter dem Schutz des Art. 14 GG gestanden. Die Gewährleistung des Eigentums verpflichte den Gesetzgeber nicht, bei Enteignungsvorgängen, die außerhalb des Geltungsbereichs des GG erfolgt seien und deshalb der Staatsgewalt der Bundesrepublik nicht zugerechnet werden könnten, nachträglich einen Anspruch auf Rückerwerb des Eigentums zu schaffen.

    Gegen dieses Urteil erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügte die Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

II.

Der Erste Senat des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen und führt zur Begründung u.a. aus:

  1. Das angegriffene Urteil hat Bedeutung und Reichweite des Art. 14 GG nicht verkannt.

    Dieses Grundrecht begründet keinen Rückübertragungsanspruch für Fälle, in denen vor dem Inkrafttreten des GG oder außerhalb seines räumlichen Geltungsbereichs eine dem GG nicht verpflichtete Staatsgewalt auf vermögenswerte Rechte zugegriffen hat. Ein solcher Anspruch kommt allein in Betracht, wenn bereits die Enteignung im Zeitpunkt ihrer Vornahme den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ("Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig") unterlag. Dies war jedoch bei Enteignungen, die in der DDR durchgeführt wurden, nicht der Fall. Der Geltungsbereich des GG erstreckte sich nicht auf das Gebiet der DDR, und das GG ist für dieses Gebiet auch nicht rückwirkend in Kraft getreten. Die Enteignung durch nicht an das GG gebundene Stellen der DDR stand daher nicht unter dem sich aus Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ergebenden Vorbehalt der Verwendung des Enteignungsobjekts für das die Enteignung rechtfertigende Vorhaben. Der Wegfall des Enteignungszwecks kann demnach auch nicht einen unmittelbar aus Art. 14 GG folgenden Anspruch auf Rückübereignung des Enteignungsgegenstands auslösen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Vorhaben, für das enteignet wurde, vor oder nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik aufgegeben worden ist.

    Soweit das BVerwG die Existenz eines nach dem Recht der DDR entstandenen und nunmehr von der Bundesrepublik zu erfüllenden Anspruchs auf Rückübereignung verneint hat, verletzt auch diese Auffassung Art. 14 GG nicht. Die ihr zugrundeliegenden Feststellungen zum Inhalt des DDR-Rechts unterliegen nur eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Überprüfung. Das BVerfG könnte hier nur eingreifen, wenn das BVerwG das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt hätte. Dafür fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt. Die Beurteilung der Rechtslage in der DDR durch das BVerwG ist nachvollziehbar begründet. Sie entspricht der Beurteilung anderer Gerichte.

    Der Senat führt weiter aus, daß der Bundesgesetzgeber verfassungsrechtlich auch nicht verpflichtet war, für in der DDR vollzogene Enteignungen, deren Zweck nach der Wiedervereinigung aufgegeben worden ist oder wird, einen Rückübereignungstatbestand zu schaffen.

  2. Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Er verbietet u.a., wesentlich Gleiches ohne sachlich rechtfertigenden Grund ungleich zu behandeln.

    Enteignungen in der DDR unterscheiden sich wesentlich von Enteignungen, für die das BVerwG einen Rückübereignungsanspruch angenommen hat. Der Beschwerdeführer wird genauso behandelt wie jeder Eigentümer in Deutschland, der vor Inkrafttre- ten des GG unter einer Rechtsordnung enteignet wurde, welche ein Rückerwerbsrecht nicht vorsah. Eine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, die Bürger, die im Beitrittsgebiet gelebt haben, nachträglich so zu stellen, als hätten sie unter dem Recht der Bundesrepublik gelebt, besteht nicht.