Bundesverfassungsgericht

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Zur Frage, ob berufsbegleitend Studierende vom Wohngeldbezug ausgeschlossen werden können

Pressemitteilung Nr. 20/1998 vom 3. März 1998

Beschluss vom 14. Oktober 1997
1 BvL 5/89

Der Erste Senat des BVerfG hat auf eine gerichtliche Vorlage entschieden, daß eine ab 1986 gültige Norm des Wohngeldgesetzes (WoGG) in der Zeit bis 31. Juli 1992 bei verfassungskonformer Auslegung mit dem GG vereinbar war. Die Vorschrift, die mit einer Ergänzung von 1992 bis heute in Kraft ist, regelte, daß Ausbildungsförderungsberechtigte vom gleichzeitigen Bezug von Wohngeld ausgeschlossen waren.

I.

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, Studierende auch dann vom Anwendungsbereich des WoGG auszunehmen, wenn sie das Studium berufsbegleitend als weitere Ausbildung betreiben, für die sie dem Grunde nach Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beanspruchen können, ihre Lebenssituation aber von der Berufsausübung geprägt ist.

  1. Ab 1. Januar 1986 wurde das Verhältnis zwischen Wohngeldgewährung und Ausbildungsförderung durch § 41 Abs. 3 S. 1 WoGG wie folgt bestimmt:

    "Auf Haushalte, zu denen ausschließlich Familienmitglieder rechnen, denen Leistungen zur Förderung der Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ... dem Grunde nach zustehen, ist dieses Gesetz nicht anzuwenden."

    Diese Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1. August 1992 dahingehend ergänzt, daß das bloße Fehlen eines Antrags auf Gewährung von Ausbildungsförderung nicht zur Anwendbarkeit des Wohngeldgesetzes führt, wenn ein Ausbildungsförderungsanspruch sonst dem Grunde nach besteht. Damit reagierte der Gesetzgeber auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 29. November 1991, das dem Auszubildenden ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme von Leistungen der Ausbildungsförderung und der Inanspruchnahme von Wohngeldleistungen eingeräumt hatte.

  2. Eine teilzeitbeschäftigte Krankenschwester begann im Oktober 1987 ein Studium in der Fachrichtung Lehramt an Sonderschulen. Das Studium betrieb sie berufsbegleitend. Leistungen nach dem BAföG beantragte sie nicht. Ihr Antrag auf Wohngeldgewährung wies die Behörde mit der Begründung zurück, sie sei nach dem BAföG förderungsfähig. In diesem Fall schließe § 41 Abs. 3 S. 1 WoGG den Bezug von Wohngeld aus. Auf die hiergegen gerichtete Klage der Studentin legte das Verwaltungsgericht Hannover (VG) dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor, ob

    "§ 41 Abs. 3 S. 1 WoGG in der Fassung ... vom 11. Juli 1985 ... mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit durch diese Regelung insbesondere auch Arbeitnehmer mit berufsqualifizierendem Abschluß, die das 30. Lebensjahr vollendet haben und berufsbegleitend eine förderungsfähige Ausbildung ... betreiben, vom Wohngeldbezug ausgeschlossen sind."

    Nach Auffassung des VG verstieß die Vorschrift gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.

II.

Nach Auffassung des Ersten Senats war diese Vorschrift in dem zur Prüfung gestellten Umfang bis zur Ergänzung der Regelung im Jahr 1992 bei verfassungskonformer Auslegung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Zur Begründung heißt es u.a.:

§ 41 Abs. 3 S. 1 WoGG bedarf insoweit einer verfassungsrechtlichen Prüfung, als er nach Auffassung des VG auch solche Studierenden vom Wohngeldbezug ausnimmt, die berufsbegleitend eine weitere Ausbildung betreiben, für die sie dem Grunde nach Ausbildungsförderungsleistungen beanspruchen können, deren Lebenssituation aber von der Berufsausübung geprägt ist.

  1. Dieser Ausschluß bedeutet eine Benachteiligung gegenüber erwerbstätigen Wohngeldberechtigten, die nicht berufsbegleitend studieren. Zum einen ist die Bedürftigkeitsprüfung nach dem Ausbildungsförderungsrecht strenger als im Wohngeldrecht. Zum anderen wird Unterkunftsleistung als Bestandteil der Ausbildungsförderung ausschließlich darlehensweise, das Wohngeld nach dem WoGG hingegen als nicht rückzahlbarer Zuschuß gewährt.

    Der Senat führt aus, daß diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist.

    Es besteht kein hinreichender Grund, Erwerbstätige unterschiedlich zu behandeln je nachdem, ob sie studieren oder nicht. Eine solche Differenzierung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß alle Studierenden gleich behandelt werden sollen. Die berufsbegleitend studierenden Erwerbstätigen nehmen im Verhältnis zu anderen Studierenden eine Sonderstellung ein. Ihre Lebenssituation ist durch die Berufsausübung geprägt.

    Ihr Unterkunftsbedarf ist - anders als typischerweise sonst bei Studenten - nicht durch die begrenzte Dauer der Ausbildung geprägt und aus diesem Grund auch nicht "vorübergehend".

    Die Verweisung dieses Personenkreises auf das System des BAföG mit seiner nur darlehensweisen Gewährung von Unterkunftsleistungen läßt sich nicht damit rechtfertigen, daß er mit dem Abschluß der staatlich geförderten Ausbildung seine Berufs- und Erwerbschancen deutlich verbessere und daher auch mit den Kosten seiner Ausbildung und der Unterkunft belastet werden könne. Zwar stellt diese Erwägung bei anderen Studierenden einen zureichenden Grund für die Belastung mit den Nachteilen dar, die sich aus einer darlehensweisen Förderung ergeben. Die Prognose verbesserter Erwerbschancen ist jedoch für Personen wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens kein Grund von solcher Art und solchem Gewicht, daß er eine Verweisung auf die auch für Unterkunftsleistungen geltenden Darlehensregelungen des BAföG trüge.

    Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Verhinderung von Doppelleistungen. Die zur Prüfung gestellte Norm geht dadurch über dieses Regelungsziel hinaus, daß sie Personen wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens ganz aus dem Anwendungsbereich des WoGG herausnimmt und sie dem System des BAföG zuordnet, das ihnen keine oder nur geringfügige Leistungen zur Finanzierung der Unterkunftskosten gewährt.

  2. Die zur Prüfung gestellte Norm läßt sich jedoch so auslegen, daß sie nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß.

    Die Norm schließt nach ihrem Inhalt solche Personen vom Wohngeldbezug aus, denen Leistungen nach dem BAföG zustehen. Dies erlaubt die Auslegung, daß Wohngeld zu gewähren war, wenn es zumindest an einer Voraussetzung für das Bestehen eines Leistungsanspruchs nach dem BAföG fehlte. An einer solchen Voraussetzung könnte es nach der Rechtsprechung des BVerwG mangeln, wenn ein Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung nicht gestellt worden war. Bei dieser Auslegung der Vorschrift ist jedenfalls für den hier in Betracht kommenden Personenkreis, zu dem die Klägerin des Ausgangsverfahrens gehört, der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Die Betroffenen hatten es in der Hand, die Ungleichbehandlung durch Unterlassen der Stellung eines Antrags auf Gewährung einer Leistung nach dem BAföG abzuwenden.

    Eine solche Auslegung ist allerdings für die Folgezeit ausgeschlossen. Denn der Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 41 Abs. 3 S. 1 WoGG mit Wirkung vom 1. August 1992 dahingehend ergänzt, daß das bloße Fehlen eines Antrags auf Ausbildungsförderung nicht zur Anwendbarkeit des WoGG führt. Das läßt jedoch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der früheren Gesetzesfassung unberührt.