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Private Programmanbieter nach Bayerischem Medienrecht sind Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit hier: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde von "extra radio" gegen Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

Pressemitteilung Nr. 24/1998 vom 9. März 1998

Beschluss vom 20. Februar 1998
1 BvR 661/94

Der Erste Senat des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde der "extra radio Rundfunkprogramm GmbH" entschieden, daß der Beschluß des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 25. März 1994 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verletzt. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte mit seiner Entscheidung eine im vorläufigen Rechtsschutz ergangene einstweilige Anordnung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben, wonach der Beschwerdeführerin vorläufig die Fortführung von lokalem Rundfunk gestattet worden war.

I.

1. In Bayern darf Rundfunk aufgrund von Art. 111a der Bayerischen Verfassung (BV) nur in öffentlicher Verantwortung und öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben werden. Das Nähere regelt das Bayerische Mediengesetz vom 24. November 1992. Danach schließt Bayern Private zwar nicht von der Betätigung im Rundfunkbereich aus. Als Veranstalter der privaten Rundfunkangebote tritt jedoch die öffentlich-rechtlich organisierte Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) auf. Im einzelnen ist das Verhältnis zwischen der BLM, den Kabel- bzw. Medienbetriebsgesellschaften und den Anbietern wie folgt gestaltet:

Die Betriebsgesellschaften haben die Aufgabe, lokale Rundfunkprogramme oder lokale Rundfunksendungen als Teil eines landesweiten Rundfunkprogramms aus Beiträgen der Anbieter zu organisieren. Die zuständige Betriebsgesellschaft schließt mit den Anbietern, deren Angebot sie übernehmen will, Verträge ab. Diese Verträge bedürfen der Genehmigung durch die BLM. Die Genehmigung hängt u.a. davon ab, daß der Anbieter bei der Gestaltung seiner Angebote die gesetzlichen Vorschriften, vor allem die Programmgrundsätze, beachtet.

2. Die Beschwerdeführerin bietet seit 1987 aufgrund eines von der BLM genehmig ten Vertrags Hörfunksendungen über lokale UKW-Frequenzen an, die sie sich mit dem Anbieter "Radio Euroherz" teilt. Die BLM wollte dieses Frequenzsplitting beenden und die Frequenz einem einheitlichen Programm vorbehalten. Nachdem Verhandlungen der Beschwerdeführerin mit "Radio Euroherz" über ein gemeinsames Programm gescheitert waren, vergab die BLM die Frequenz 1992 allein an "Radio Euroherz".

Im verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren gab der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der BLM im Wege der einstweiligen Anordnung auf, der Beschwerdeführerin die Einbringung eines Programms im bisherigen Umfang unter den bisherigen Modalitäten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage gegen die Ablehnung des Antrags zu ermöglichen. Der gegen diesen Beschluß gerichteten Verfassungsbeschwerde der BLM gab der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit dem angegriffenen Beschluß statt. Zur Begründung hieß es u.a.:

Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs verstoße gegen die BV. Er berücksichtige das der BLM zustehende Grundrecht der Rundfunkfreiheit nicht ausreichend. Die BLM sei alleiniger Träger des Rundfunks in Bayern und habe ihn zu verantworten. Der weite Ermessensspielraum der BLM bei der Auswahl privater Anbieter ende erst am Gleichheitssatz und dem darin verankerten Willkürverbot. Die Entscheidung der BLM sei nicht willkürlich gewesen.

Gegen diese Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichthofs legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde zum BVerfG ein und rügte u.a. die Verletzung ihres Grundrechts auf Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).

Auf den gleichzeitig gestellten Antrag hatte das BVerfG der Beschwerdeführerin im Wege der einstweiligen Anordnung gestattet, ihr Programm vorläufig fortzuführen. Diese einstweilige Anordnung war mehrfach verlängert worden, letztmals bis zum 5. Juni 1996, dem Ende der Sendeperiode.

Die Klage der Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung der Aufnahme ihres Programmangebots für die neue Sendeperiode ab 6. Juni 1996 hatte beim Verwaltungsgericht erneut Erfolg. Antrag auf Zulassung der Berufung ist gestellt.

II.

Der Erste Senat hat entschieden, daß die Verfassungsbeschwerde begründet ist. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. a) Die Beschwerdeführerin kann sich auf dieses Grundrecht berufen.

Die Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit. Sie gewährleistet, daß der Rundfunk frei von externer Einflußnahme entscheiden kann, wie er seine publizistische Aufgabe erfüllt. Daher steht das Grundrecht ohne Rücksicht auf öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsform, auf kommerzielle oder gemeinnützige Betätigung jedenfalls allen natürlichen und juristischen Personen zu, die Rundfunkprogramme veranstalten. Als Veranstalter eines Programms ist im Unterschied zum bloßen Zulieferer anzusehen, wer seine Struktur festlegt, die Abfolge plant, die Sendungen zusammenstellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung dem Publikum anbietet. Ob jemand ein Programm in dem genannten Sinn veranstaltet und folglich den Schutz der Rundfunkfreiheit genießt, beurteilt sich nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.

Gemessen daran sind die privaten Programmanbieter nach Bayerischem Medienrecht Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit. Sie sind die alleinigen Produzenten des Programms. Es wird auch nicht etwa im Auftrag oder nach Weisung der BLM erstellt. Die Aufgabe der BLM beschränkt sich darauf, Programmangebote Privater zu genehmigen. Ihre Verantwortung für die Programme aktualisiert sich nach der Genehmigung des Anbietervertrags in einer Kontrolle der Beachtung der allgemeinen Programmgrundsätze und der Einhaltung der Programmausrichtung und des Programmschemas. Für eine weitergehende Programmtätigkeit fehlen der BLM die Voraussetzungen.

Daraus ergibt sich, daß es die privaten Anbieter sind, die ungeachtet der gesetzlichen Veranstaltereigenschaft der BLM die Kernfunktion des Rundfunks, nämlich die Programmgestaltung, wahrnehmen. Ob dies mit Art. 111a BV vereinbar ist, hat nicht das BVerfG zu entscheiden. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Frage bejaht. Er hat zugleich das Grundrecht der Rundfunkfreiheit aus Art. 111a BV allein der BLM als Veranstalterin der privaten Programmangebote zugeschrieben. Diese aufgrund des Landesrechts getroffene Aussage entscheidet aber nicht abschließend über die Auslegung des GG und seine Anwendung auf die von ihm erfaßten Tatbestände. Stellt sich die Tätigkeit der privaten Anbieter der Sache noch als Programmgestaltung dar, dann kann ihnen der Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht vorenthalten werden.

b) Der Schutz der Rundfunkfreiheit erstreckt sich auch auf die Bewerber um eine Lizenz nach bayerischem Medienrecht.

Die Gefahr der Einflußnahme auf die Programmfreiheit ist bei der Auswahl der Bewerber besonders groß. Übersteigt ihre Zahl die Sendekapazitäten, so läßt sich nicht ausschließen, daß die Einstellung zu dem angebotenen Programm in die Auswahlentscheidung einfließt oder daß Bewerber schon im Vorfeld inhaltliche Anpassungen vornehmen. Das gilt nicht nur für die erstmalige Auswahl, sondern auch für die Erneuerung einer Lizenz. Hier erscheint die Gefahr der Einflußnahme sogar nochmals gesteigert, weil die Entscheidung von der Einstellung zu dem in der Vergangenheit ausgestrahlten Programm beeinflußt werden und damit der Programmfreiheit schaden kann.

Dieser Grundrechtsbeachtungsanspruch steht den Bewerbern um eine Lizenz in Bayern auch gegenüber der BLM zu. Ungeachtet ihrer staatsfernen und pluralistischen Konstruktion tritt sie ihnen als Teil der öffentlichen Gewalt entgegen und ist jedenfalls insofern grundrechtsverpflichtet. Daß sie möglicherweise in ihrer Eigenschaft als rechtliche Trägerin der privaten Rundfunkangebote selbst den Schutz dieses Grundrechts genießt, steht dem nicht entgegen.

2. Diesen Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Zwar ist die Auslegung und Anwendung der BV Sache des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und vom Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen. Soweit der Gegenstand, den der Verfassungsgerichtshof zu beurteilen hat, jedoch auch im Schutzbereich der Grundrechte des GG steht, darf sich der Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Landesverfassung aber nicht in Widerspruch zu diesen Grundrechten setzen.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof durfte privaten Rundfunkanbietern, die sich um Zulassung zu einer Rundfunkveranstaltung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bewarben, den Schutz dieses Grundrechts nicht vorenthalten. Es mußte vielmehr bei der Auslegung und Anwendung der BV beachtet werden. Damit ist es unvereinbar, Art. 111a BV den Sinn zu geben, daß Zulassungsbewerber nur geltend machen können, die BLM habe bei der Auswahl der Anbieter den Gleichheitssatz und das darin verankerte Willkürverbot verletzt.