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Kindererziehungszeiten-Rente für nach 1920 geborene Mütter darf auf Sozialhilfe angerechnet werden

Pressemitteilung Nr. 30/1998 vom 25. März 1998

Beschluss vom 16. Dezember 1997
1 BvL 3/89

Der Erste Senat des BVerfG hat in einem gerichtlichen Vorlageverfahren folgendes entschieden:

"Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), daß bei Müttern der Geburtsjahrgänge ab 1921 der auf Kindererziehungszeiten beruhende Teil des Altersruhegeldes auf die Sozialhilfe angerechnet wird."

I.

Anders als bei vor 1921 geborenen Müttern wirkt sich bei Müttern (und Vätern) der Geburtsjahrgänge ab 1921 der Teil der Rente, der durch Kindererziehung nach dem Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) erworben wurde, in der Sozialhilfe leistungsmindernd aus (§§ 76ff. Bundessozialhilfegesetz). Diese Regelung hielt das Verwaltungsgericht Braunschweig im Hinblick auf den Gleichheitssatz für verfassungswidrig. Es setzte ein bei ihm anhängiges Verfahren deshalb aus und legte dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die entsprechenden Normen zur Prüfung vor.

II.

Nach Auffassung des Ersten Senats sind die Normen verfassungsgemäß.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Die Ungleichbehandlung der vor und nach 1921 geborenen Mütter ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

1. Vor 1921 geborene Mütter hatten bei Inkrafttreten des HEZG im Januar 1986 die Altersgrenze von 65 Jahren bereits erreicht. Ihre abgeschlossene Rentenbiographie hätte nicht mehr mit einem vertretbaren Aufwand aufgerollt werden können. Zudem hätten sie nicht mehr die Möglichkeit gehabt, Lücken in der Rentenbiographie durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zu schließen, weil bei ihnen der letzte Versicherungsfall schon eingetreten war. Es bedarf aus verfassungsrechtlicher Sicht im übrigen einer Gesamtbetrachtung der die Jahrgänge vor 1921 betreffenden Regelungen (KindererziehungsleistungsGesetz-KLG) und derjenigen, die die Jahrgänge ab 1921 betreffen (HEZG). In manchen Punkten ist das KLG günstiger (Begünstigung versicherungsfreier Personen, keine Besteuerung der Kindererziehungsleistungen), in anderen das HEZG (leistungsberechtigt sind auch Adoptiv-, Stief- und Pflegemütter sowie Väter, Kindererziehungszeiten-Renten sind "hinterbliebenenfähig").

Bei einer solchen Gesamtbetrachtung kommt der Anrechnung des auf Kindererziehungszeiten beruhenden Teils der Rente auf den sozialhilferechtlichen Bedarf bei Müttern der Geburtsjahrgänge ab 1921 kein derartiges Gewicht zu, daß eine isolierte verfassungsrechtliche Bewertung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt wäre.

2. Zugleich sollte die außergewöhnliche Belastung der Geburtsjahrgänge vor 1921 in den besonders schwierigen Kriegs- und Nachkriegszeiten anerkannt werden. Bei ihnen konnte typischerweise eher der Fall der Sozialhilfebedürftigkeit eintreten, weil Krieg und Nachkriegszeit ihnen den Aufbau eigener Rentenansprüche besonders erschwert hatten. Bei den nachfolgenden Jahrgängen durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, daß sie zunehmend von der günstigeren Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland profitierten.

3. Die Ungleichbehandlung ist aber auch durch das gesetzgeberische Ziel gerechtfertigt, das Verwaltungsverfahren für Leistungen nach dem KLG möglichst einfach zu halten. Den Müttern der Geburtsjahrgänge vor 1921 konnte und sollte schon wegen ihres hohen Alters kein weiterer als der unumgänglich notwendige Schriftwechsel zugemutet werden. Eine Anrechnung der Leistung für Kindererziehung auf andere Sozialleistungen hätte dieses Ziel in Frage gestellt.