Bundesverfassungsgericht

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"Euro-Verfassungsbeschwerden" sind offensichtlich unbegründet

Pressemitteilung Nr. 33/1998 vom 2. April 1998

Beschluss vom 31. März 1998
2 BvR 1877/97

Der Zweite Senat des BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit der für den 1. Januar 1999 geplanten Einführung des Euro gemäß § 24 BVerfGG (Wortlaut s. Anlage 1) einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.

Der Leitsatz des Beschlusses lautet:

"Die Mitwirkung Deutschlands an der Währungsunion ist im Maastricht-Vertrag vorgesehen sowie mit Art. 23 und Art. 88 S. 2 GG grundsätzlich gestattet (vgl. BVerfGE 89, 155 (199ff.)). Für den Vollzug dieser rechtlichen Vorgaben, insbesondere die Entscheidung über die Teilnehmerstaaten an der Währungsunion, zeichnet der Maastricht-Vertrag den Maßstab und das Verfahren zum Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion vor. Er eröffnet dabei wirtschaftliche und politische Einschätzungs- und Prognoseräume. Dies nimmt die Bundesregierung und das Parlament für die Sicherung des Geldeigentums in Verantwortung. Der Geldeigentümer gewinnt jedoch nicht das Recht, diese parlamentarisch mitzuverantwortende Entscheidung in dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde inhaltlich überprüfen zu lassen."

Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

I.

1. Der am 1. November 1993 in Kraft getretene "Maastricht-Vertrag" sieht eine gemeinsame Währungspolitik der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften vor. Gegenwärtig wird der Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion - die Einführung einer einheitlichen Währung - vorbereitet. Der EG-Vertrag (EGV) sieht hierfür ein Entscheidungsverfahren vor, in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Währungsunion geprüft und auf dieser Grundlage die Teilnehmerstaaten bestimmt werden. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Konvergenz gelten danach folgende vier Stabilitätsmaßstäbe:

  1. Die Erreichung eines hohen Grades an Preisstabilität.
  2. Eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand.
  3. Die Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren.
  4. Die Dauerhaftigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat erreichten Konvergenz.

Der Bundestag und der Bundesrat hatten sich im Dezember 1992 jeweils eine weitere Beschlußfassung über die Teilnahme Deutschlands an der Währungsunion vorbehalten.

Die Europäische Kommission gelangte am 25. März 1998 auf der Grundlage eines eigenen und des Berichts des Europäischen Währungsinstituts hinsichtlich der Beurteilung der Konvergenz zu der Empfehlung, daß elf Mitgliedstaaten - darunter Deutschland - die Konvergenzkriterien erfüllen und an der Währungsunion teilnehmen sollen. Die Deutsche Bundesbank hält den Eintritt in die Währungsunion ab 1999 stabilitätspolitisch für vertretbar.

Die Beschlußfassung des Bundestages über die Teilnahme Deutschlands an der Währungsunion ist für den 23. April 1998 vorgesehen. Der Bundesrat will am 24. April 1998 entscheiden.

Die Empfehlungen des Rats sollen am 1. Mai und die Stellungnahme des Europäischen Parlaments am 2. Mai 1998 abgegeben werden. Am 2./3. Mai 1988 soll die Bestätigung der Teilnehmerstaaten durch den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs folgen.

2. Gegen die Teilnahme Deutschlands an der Währungsunion schon zum 1. Januar 1999 haben u.a. die Professoren Rupp (2 BvR 1877/97), Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty (2 BvR 50/98) Verfassungsbeschwerde erhoben.

Der Beschwerdeführer Rupp rügt eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 GG (Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze). Er sieht sich als Wähler in seinen Rechten auf Teilhabe an einem offenen Prozeß europapolitischer Willensbildung verletzt.

Die übrigen Beschwerdeführer rügen darüber hinaus eine Verletzung ihrer Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG. Setze der Staat - wie bei der Entscheidung über die Teilnahme an einer Währungsunion - die alleinige Ursache für eine Inflation, dann sei der Schutzbereich von Art. 14 GG berührt.

II.

Der Zweite Senat hat die Verfassungsbeschwerden verworfen.

Es kann dahinstehen, ob das unmittelbare Bevorstehen von Hoheitsakten es hier rechtfertigt, die Verfassungsbeschwerden als zulässig zu erachten. Sie sind jedenfalls offensichtlich unbegründet, so daß nach § 24 BVerfGG verfahren werden kann.

Wie der Senat bereits in seinem "Maastricht-Urteil" vom 12. Oktober 1993 (2 BvR 2134/92 u.a.; vgl. in der Anlage 2 beigefügte Presseverlautbarung Nr. 39/93 vom 12. Oktober 1993) entschieden hat, ist die Mitwirkung Deutschlands an der Währungsunion im Maastricht-Vertrag vorgesehen und mit Art. 23 GG (Einführung der Europäischen Union) und Art. 88 S. 2 GG (Wortlaut s. Anlage 1) grundsätzlich gestattet. Für den Vollzug dieser rechtlichen Vorgaben, insbesondere die Entscheidung über die Teilnehmerstaaten an der Währungsunion, zeichnet der Maastricht-Vertrag den Maßstab und das Verfahren zum Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion vor. Er öffnet dabei wirtschaftliche Einschätzungs- und Prognoseräume. Dies nimmt die Bundesregierung und das Parlament für die Sicherung des Geldeigentums in Verantwortung. Der Geldeigentümer gewinnt jedoch nicht das Recht, diese parlamentarisch mitzuverantwortende Entscheidung in dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde inhaltlich überprüfen zu lassen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Art. 38 Abs. 1 GG ist nicht berührt. Zwar gewährleistet dieses Recht jedem Wahlberechtigten, durch die Wahl an der Legitimation der Staatsgewalt auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Auswirkung Einfluß zu nehmen. Maßstab und Ablauf des Eintritts in die dritte Stufe der Währungsunion sind jedoch im Maastricht-Vertrag geregelt und gewinnen im Zustimmungsgesetz in der Verantwortung von Bundestag und Bundesrat für Deutschland Rechtsverbindlichkeit. Die Wahrnehmung dieser bereits durch den MaastrichtVertrag übertragenen Hoheitsrechte nimmt dem Bundestag keine weiteren Kompetenzen und Befugnisse. Es geht nun um die Entscheidung über den Beginn der Währungsunion mit bestimmten Teilnehmerstaaten.

2. Ob und inwieweit der hoheitlich angeordnete Währungsumtausch den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG berührt, bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung. Er findet jedenfalls in Art. 88 S. 2 GG sowie in der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Maastricht-Vertrag gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG und deren Mitwirkung an Rechtssetzungsakten zu seinem Vollzug gemäß Art. 23 Abs. 2ff. GG eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage.

Mit der Zustimmung zur Währungsunion hat der deutsche Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Geldeigentums in der Weise bestimmt, daß Deutschland unter näher geregelten Rechtsvoraussetzungen in eine Währungsunion einbezogen werden kann, die Deutsche Mark deshalb nach Einführung einer einheitlichen Währung in den Euro umgerechnet werden und in dieser eigenständigen Währung aufgehen darf. Seitdem besitzt jeder Inhaber von DM-Eigentum eine Rechtsposition, die darauf angelegt ist, in eine Europäische Währungsunion eingebracht zu werden.

Der EGV und das GG regeln die Maßstäbe und das Verfahren zum Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion mit klaren rechtlichen Vorgaben und betonen dabei Zuständigkeit und Verantwortlichkeit von Bundesregierung und Parlament.

a) Die Kriterien für die Beurteilung der rechtlichen und wirtschaftlichen Konvergenz hat der EGV in klaren Tatbeständen als rechtsverbindliche Entscheidungsgrundlage geregelt. Allerdings bestehen, wie das Gericht schon im Maastricht-Urteil gesagt hat, insoweit Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognoseräume. Die Prüfung und Bewertung der vom Europäischen Währungsinstitut und der Kommission vorgelegten Daten verlangen empirische Feststellungen, Einschätzungen und Bewertungen, die sich nur annähernd auf Erfahrungswissen stützen können. In diesem Bereich zwischen ökonomischer Erkenntnis und politischer Gestaltung weist das GG die Entscheidungsverantwortlichkeiten Regierung und Parlament zu (Art. 23 Abs. 2ff. GG).

b) Die für den 2./3. Mai 1998 vorgesehene Entscheidung des Rats ist ein Rechtssetzungsakt im Sinne von Art. 23 Abs. 3 GG, der den Vertrag rechtsverbindlich gestaltend anwendet und die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat betrifft. Die Stellungnahmen, die sich Bundestag und Bundesrat vorbehalten haben, sind hierbei von der Bundesregierung zu berücksichtigen.

c) Die Bundesregierung sowie Bundestag und Bundesrat tragen mit ihrem Auftrag, die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft mitzugestalten und damit den Anforderungen des Art. 88 S. 2 GG zu genügen, auch zur objektivrechtlichen Sicherung des Geldeigentums und insoweit zur Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG bei. Die Beschwerdeführer verkennen aber die Reichweite des grundrechtlichen Anspruchs, wenn sie unter Berufung auf Art. 14 GG die politisch verantwortlichen Organe verpflichten wollen, die Stabilität der Europäischen Währungsunion anders abzusichern und den Beginn dieser Union zu verschieben. Soweit Bundesregierung und Parlament ökonomische Daten zu prüfen und zu bewerten, Entwicklungen zu beobachten und in ihrem weiteren Verlauf einzuschätzen, sodann eine Einzelprognose für teilnahmewillige Mitgliedstaaten und eine Gesamtprognose für die Stabilität der geplanten Währungsunion zu treffen, schließlich auch auf die rechtliche Konvergenz in der Gemeinschaft und in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinzuwirken haben, können die dabei zu treffenden Entscheidungen nicht nach dem individualisierenden Maßstab eines Grundrechts beurteilt werden. Sie sind von den politischen Organen zu verantworten, die für eine Gesamtbeurteilung allgemeiner Entwicklungen zuständig sind und ihre Entscheidungen entwicklungsbegleitend überprüfen und korrigieren können.

Karlsruhe, den 2. April 1998

Anlage 1 zur Pressemitteilung Nr. 33/98 vom 2. April 1998

§ 24 BVerfGG

(1) Unzulässige oder offensichtlich unbegründete Anträge können durch einstimmigen Beschluß des Gerichts verworfen werden.

(2) Der Beschluß bedarf keiner weiteren Begründung, wenn der Antragsteller vorher auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit seines Antrags hingewiesen worden ist.

Art. 88 GG

(1) Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank.

(2) Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

Anlage 2 zur Pressemitteilung Nr. 33/98 vom 2. April 1998

Verlautbarung der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts Nr. 39/93

Das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - hat über fünf Verfassungsbeschwerden entschieden, die sich gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union und gegen das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes richteten, mit dem die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) geschaffen werden sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat nur eine der Verfassungsbeschwerden als zulässig beurteilt und insoweit nur geprüft, ob der Unionsvertrag mit Art. 38 GG zu vereinbaren sei. Art. 38 GG gewährleistet den wahlberechtigten Deutschen das subjektive Recht, an der Wahl des Abgeordneten des Deutschen Bundestages teilzunehmen. Diese Verbürgung erstrecke sich auch auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts: Gewährleistet werde auch das Recht, durch die Wahl an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluß zu nehmen. Für die europäische Integration schließe Art. 38 GG aus, die durch die Wahl bewirkte Legitimation und Einflußnahme auf die Ausübung von Staatsgewalt durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages so zu entleeren, daß das demokratische Prinzip, soweit es das Grundgesetz für unantastbar erkläre, verletzt werde.

Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht den Unionsvertrag für vereinbar mit dem demokratischen Prinzip erklärt, dabei aber bestimmte Voraussetzungen für die Europäische Union festgehalten und bestimmte Anforderungen an ihre demokratische Legitimation hervorgehoben. Das Demokratieprinzip hindere die Bundesrepublik Deutschland nicht an einer Mitgliedschaft in einer - supranational organisierten - zwischenstaatlichen Gemeinschaft. Voraussetzung der Mitgliedschaft sei aber, daß eine vom Volk ausgehende Legitimation und Einflußnahme auch innerhalb des Staatenverbundes gesichert sei. Da der Unionsvertrag einen Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der - staatlich organisierten - Völker Europas begründe, jedoch keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat, seien es zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch die Europäische Union über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren hätten. Damit seien der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Dem Deutschen Bundestag müßten Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben. In der gegenwärtigen Phase der Entwicklung komme der Legitimation an das Europäische Parlament eine stützende Funktion zu, die sich verstärken ließe, wenn es nach einem in allen Mitgliedstaaten übereinstimmenden Wahlrecht gewählt würde und sein Einfluß auf die Politik und Rechtssetzung der Europäischen Gemeinschaften wüchse. Entscheidend sei, daß die demokratischen Grundlagen der Union schritthaltend mit der Integration ausgebaut würden und auch im Fortgang der Integration in den Mitgliedstaaten eine lebendige Demokratie erhalten bleibe.

Art. 38 GG werde auch verletzt, wenn das Gesetz, das die deutsche Rechtsordnung für die unmittelbare Geltung und Anwendung von Recht der Europäischen Gemeinschaften öffne, die zur Wahrnehmung übertragenen Hoheitsrechte und das beabsichtigte Integrationsprogramm nicht hinreichend bestimmbar festlege. Stehe nicht fest, in welchem Umfang und Ausmaß der deutsche Gesetzgeber der Verlagerung der Ausübung von Hoheitsrechten zugestimmt habe, so käme das einer Generalermächtigung gleich und wäre damit eine Entäußerung von Hoheitsrechten, gegen die Art. 38 GG schütze.

Der Unionsvertrag bestimme jedoch die Aufgaben der Europäischen Union und der ihr zugehörigen Gemeinschaften in einer hinreichend voraussehbaren Weise. Der Vertrag folge dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, erlaube also ein Tätigwerden der Union ausschließlich auf der Grundlage ausdrücklicher vertraglicher Ermächtigung. Der Vertrag ermächtige die Union nicht, sich aus eigener Macht die Finanzmittel oder sonstige Handlungsmittel zu verschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Zwecke für erforderlich erachte. Darüber hinaus setze das Subsidiaritätsprinzip der Kompetenzwahrnehmung eine Schranke. Die Bundesrepublik Deutschland unterwerfe sich insbesondere mit der Ratifikation des Unionsvertrages nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren "Automatismus" zu einer Währungsunion; der Vertrag eröffne den Weg zu einer stufenweisen weiteren Integration der europäischen Rechtsgemeinschaft, der in jedem weiteren Schritt entweder von gegenwärtig für das Parlament voraussehbaren Voraussetzungen oder aber von einer weiteren, parlamentarisch zu beeinflussenden Zustimmung der Bundesregierung abhänge. Die Inanspruchnahme weiterer Aufgaben und Befugnisse durch Europäische Union und Europäische Gemeinschaften seien von Vertragsergänzungen und Vertragsänderungen abhängig gemacht und daher der zustimmenden Entscheidung der nationalen Parlamente vorbehalten. Insgesamt sei die Besorgnis des Beschwerdeführers, die Europäische Gemeinschaft werde aufgrund ihrer weitgesteckten Ziele ohne erneute parlamentarische Rechtsanwendungsbefehle sich zu einer politischen Union mit nicht vorausbestimmbaren Hoheitsrechten entwickeln können, nicht begründet.

Auch seien die vertraglich eingeräumten Aufgaben und Befugnisse und die dort geregelte Form der Willensbildung in der Europäischen Union und in den Organen der Europäischen Gemeinschaften nach Umfang und Verselbständigung nicht so ausgestaltet, daß die Entscheidungs- und Kontrollzuständigkeiten des Deutschen Bundestages in einer mit dem unantastbaren Demokratieprinzip unvereinbaren Weise entleert werde.

Das Erfordernis einer hinreichend bestimmten Regelung der den europäischen Organen eingeräumten Hoheitsbefugnisse bedeutet zugleich, daß spätere wesentliche Änderungen des im Unionsvertrag angelegten Integrationsprogramms und seiner Handlungsermächtigungen nicht mehr vom Zustimmungsgesetz zu diesem Vertrag gedeckt seien. Wenn etwa europäische Einrichtungen oder Organe den Unionsvertrag in einer Weise handhabten oder fortbildeten, die von dem Vertrag, so wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liege, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich. Die deutschen Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht prüfe daher, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich an die Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte hielten oder aus ihnen ausbrächen.

Auch Hoheitsakte der Europäischen Gemeinschaften beträfen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland und berührten damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben. Allerdings übe das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem "Kooperationsverhältnis" zum Europäischen Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaft garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken kann.

Urteil vom 12. Oktober 1993 - 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92

Karlsruhe, den 12. Oktober 1993