Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen DDR-Richters gegen die Ablehnung der Berufung als Richter auf Probe im Freistaat Thüringen

Pressemitteilung Nr. 53/1998 vom 15. Mai 1998

Beschluss vom 04. Mai 1998
2 BvR 2555/96

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde eines früheren DDR-Richters, mit der er sich gegen die Ablehnung seiner Berufung als Richter auf Probe im Freistaat Thüringen wendete, nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

Der 1938 geborene Beschwerdeführer war von 1973 an Richter am Kreisgericht Suhl, von 1986 an stellvertretender Direktor dieses Gerichts. Er wurde in Straf- und Familiensachen, zeitweilig auch als Militärrichter eingesetzt.

Der Thüringer Minister für Justiz-, Bundes- und Europaangelegenheiten (= Justizminister) teilte dem Richterwahlausschuß im November 1991 mit, daß er beabsichtige, den Beschwerdeführer nicht zum Richter auf Probe zu berufen. Der Beschwerdeführer scheine für das Amt persönlich ungeeignet. In seiner Amtszeit habe er sich als linientreuer Richter erwiesen, der insbesondere in Strafverfahren wegen ungesetzlichen Grenzübertritts (§ 213 DDR-StGB) überdurchschnittlich harte Freiheitsstrafen verhängt habe.

Der Richterwahlausschuß stimmte im Dezember 1991 mehrheitlich der Berufung des Beschwerdeführers zum Richter auf Probe zu. Gleichwohl lehnte der Justizminister im Januar 1992 den Antrag auf Einstellung in den Justizdienst des Landes Thüringen ab.

Die Klage des Beschwerdeführers vor dem Verwaltungsgericht führte zur Verpflichtung des Freistaates Thüringen zur Neubescheidung. Dieses Urteil wurde vom Thüringer Oberverwaltungsgericht geändert und die Klage abgewiesen; die Revision des Beschwerdeführers zum Bundesverwaltungsgericht hatte keinen Erfolg.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt aus Art. 33 Abs. 2 GG, des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG und des Gebots effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG.

II.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist sie zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Eine Verletzung des Rechts auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt (Art. 33 Abs. 2 GG) ist der Verfassungsbeschwerde nicht zu entnehmen. Einen Anspruch auf Übernahme in den öffentlichen Dienst begründet dieses Grundrecht nicht.

    a) Es geht im vorliegenden Fall um die Übernahme in ein öffentliches Dienstverhältnis, nicht um die Entfernung aus einem solchen. In der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschluß des Zweiten Senats vom 8. Juli 1992; Az. 2 BvL 27, 31/91; BVerfGE 87, 68ff.) ist geklärt, daß bei der Berufung ehemaliger DDR-Richter in den Richterdienst der neuen Bundesländer maßgeblich einem Prinzip der Diskontinuität gefolgt wurde: Zwar blieben die amtierenden Richter, um einen Stillstand der Rechtspflege zu vermeiden, vorläufig zur Ausübung der Rechtsprechung ermächtigt, eine "Überleitung" bestehender richterlicher Beschäftigungsverhältnisse wurde aber strikt vermieden. Statt dessen erfolgte wie bei außenstehenden Bewerbern eine neue Berufung in ein Richterverhältnis auf Probe oder auf Zeit.

    b) Der Beschwerdeführer wurde nicht dadurch in seinen Rechten verletzt, daß ihm - wie er anführt - bei der Eignungsprüfung sein Alter zum Vorwurf gemacht worden sei, das zwangsläufig eine jahrzehntelange Einbindung in das System der DDR nach sich gezogen habe. In den angegriffenen Entscheidungen wird nicht auf das Lebensalter und auch nicht - pauschal - auf die Dauer seiner Einbindung in die spezifischen Verhältnisse der ehemaligen DDR abgestellt, sondern auf einzelne sich aus dieser Biographie ergebende Gesichtspunkte. Bei der Prüfung der Eignung des Beschwerdeführer für die Berufung in das Amt eines Richters auf Probe ist als Hinderungsgrund angeführt worden, daß ein Bewerber wegen seiner nachhaltigen Befassung mit dem politischen Strafrecht der früheren DDR nunmehr der rechtsuchenden Bevölkerung nicht zumutbar sein kann. Im Fall des Beschwerdeführers sind hiervon ausgehend die unter seiner Mitwirkung ergangenen mindestens acht Verurteilungen nach § 213 DDR-StGB als gegen seine Eignung sprechend herangezogen worden. Die Zugrundelegung dieses in gewissem Umfang objektivierten und generalisierenden Maßstabes der persönlichen Eignung, der auf das erforderliche Vertrauen in der Bevölkerung und die Glaubwürdigkeit bei der Wahrnehmung des Richteramts in einem demokratischen Rechtsstaat abhebt, verletzt Art. 33 Abs. 2 GG nicht. Eine solche nachhaltige, sich über mehrere Jahre hinziehende und nicht nur vereinzelte Mitwirkung bei der Anwendung politischen Strafrechts kann einen Bewerber für das Amt eines Richters auf Probe ungeeignet erscheinen lassen. Das gilt unabhängig von der Höhe der verhängten Strafen und selbst dann, wenn aus den Verurteilungen kein individueller Vorwurf gegenüber dem jeweiligen Richter abgeleitet werden kann.

  2. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1) liegt ebenfalls nicht vor.

    Der Beschwerdeführer hat sich insoweit auf die andere Beurteilung einer ehemaligen DDR-Staatsanwältin berufen. Solche verschiedene Beurteilungen von Richtern und Staatsanwälten läßt sich jedoch aus deren unterschiedlicher Funktion rechtfertigen. Selbst wenn die Eignung dieser Staatsanwältin falsch beurteilt worden sein sollte, würde hieraus kein Anspruch des Beschwerdeführers auf eine erneute oder gar andere Entscheidung über seine Berufung zum Richter auf Probe folgen.

  3. Darin, daß der Justizminister nicht an die zustimmende Entscheidung des Richterwahlausschusses gebunden ist, liegt keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Der Beschwerdeführers wendet sich damit in Wahrheit gegen die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens. Welches seiner Rechte dadurch verletzt sein soll, zeigt er nicht auf. Er läßt im übrigen unberücksichtigt, daß die Letztverantwortung für die Ernennung zum Richter beim Landesjustizminister liegen muß. Der Richterwahlausschuß ist hier Parlament und Regierung nicht verantwortlich; schon deshalb würde seine alleinige Entscheidungsbefugnis das Demokratieprinzip verletzen.