Bundesverfassungsgericht

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Unzulässige gerichtliche Vorlagen zu Vorschriften des Gewerbesteuer- und des Grunderwerbsteuergesetzes

Pressemitteilung Nr. 59/1998 vom 5. Juni 1998

Beschluss vom 05. Mai 1998, Beschluss vom 05. Mai 1998
1 BvL 23/97
1 BvL 24/97

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat zwei Vorlagen des Niedersächsischen Finanzgerichts für unzulässig erklärt. Eine Vorlage betraf die Frage, ob es die Verfassung gebiete, Steuerpflichtige beim Erwerb eines selbstgenutzten durchschnittlichen Einfamilienhausgrundstücks von der Grunderwerbsteuer freizustellen. Die andere Vorlage betraf im wesentlichen die Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Gewerbesteuergesetzes. In beiden Fällen sind die Vorlagen für unzulässig erklärt worden, weil sie jeweils nur durch den Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) als Einzelrichter erfolgten, nicht durch den Senat (drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter).

I.

1. Nach der Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheiden bei den FG die jeweiligen Senate, soweit nicht ein Einzelrichter entscheidet.

Die insoweit maßgeblichen Vorschriften lauten auszugsweise:

§ 6 FGO Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter

Abs. 1: Der Senat kann den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

  1. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
  2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

§ 79a FGO Entscheidung im vorbereitenden Verfahren

Abs. 3: Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle des Senats entscheiden.

Abs. 4: Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.

2. a) Gewerbesteuer (1 BvL 23/97)

Die Klägerin des beim FG anhängigen Verfahrens - eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts - betreibt eine Goldschmiede und Schmuckgalerie. In dieser wird u.a. auch selbst hergestellter (künstlerischer) Schmuck verkauft. Das Finanzamt erließ einen Gewerbesteuermeßbescheid, in dem es auch den Gewinn aus der Veräußerung des selbst hergestellten Schmucks erfaßte. Dagegen erhob die Gesellschaft Klage und vertrat die Auffassung, es sei allenfalls der Gewinn aus der Veräußerung des zugekauften Schmucks bei der Gewerbeertragssteuer zu erfassen. Bei der Herstellung und Veräußerung des selbst hergestellten (künstlerischen) Schmucks handele es sich um die Ausübung eines freien Berufes, die nicht der Gewerbesteuer unterliege. Sowohl die Klägerin als auch das Finanzamt erklärten sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden. Dieser legte dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor, ob die dem Steuerbescheid zugrundeliegenden Normen des Gewerbesteuergesetzes und des Einkommensteuergesetzes mit dem GG vereinbar seien. Nach Auffassung des Berichterstatters verstoßen die Normen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

b) Grunderwerbsteuer (1 BvL 24/97)

In dem Verfahren beim FG geht es um die Klage eines Ehepaares gegen einen Grunderwerbsteuerbescheid. Sie hatten ein Baugrundstück erworben und eine Baugesellschaft mit der Errichtung eines Wohnhauses beauftragt. Mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats erklärten sich sowohl die Kläger als auch das beklagte Finanzamt einverstanden. Der Berichterstatter legte dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor, ob § 3 Grunderwerbsteuergesetz, der die allgemeinen Ausnahmen von der Besteuerung regelt, mit dem GG vereinbar sei. Nach Auffassung des Berichterstatters verstößt diese Vorschrift gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) und den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil sie nicht vorsehe, auch das Gebrauchsvermögen (existenznotwendiges Vermögen) in Form des selbstgenutzten durchschnittlichen Einfamilienhausgrundstücks grunderwerbsteuerfrei zu stellen.

II.

Die 3. Kammer des Ersten Senats hat die Vorlagen für unzulässig erklärt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ist eine Vorlage an das BVerfG den Gerichten vorbehalten. "Gericht" kann auch der Einzelrichter sein, soweit er nach der jeweiligen Prozeßordnung dazu berufen ist, die Entscheidung allein zureffen. Das ist hier nicht der Fall. Nach § 79a Abs. 3 und Abs. 4 FGO kann im vorbereitenden Verfahren ein Richter unter bestimmten Voraussetzungen zwar allein entscheiden. Es stellt jedoch einen Ermessensmißbrauch dar, wenn der Berichterstatter danach einen Vorlagebeschluß an das BVerfG erläßt. Die Ermessensausübung hat sich zunächst und primär an dem mit der Neuregelung des § 79a FGO vom Gesetzgeber verfolgten Gesetzeszweck, die Senate der FG zu entlasten und die finanzgerichtlichen Verfahren zu straffen, auszurichten. Eine Verfahrensstraffung wird jedoch dadurch, daß der Einzelrichter einen Vorlagebeschluß faßt, keinesfalls erreicht.

Als weiterer Gesichtspunkt ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, daß die FGe im Grundsatz als Kollegialgerichte ausgestaltet sind. Dem liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, daß richterlichen Entscheidungen eines Kollegiums eine höhere Richtigkeitsgewähr beizumessen ist. Dies macht auch § 6 Abs. 1 FGO deutlich, der anordnet, daß nur solche Verfahren alrichter zu übertragen sind, die keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen. Dieser den Gerichtsaufbau und die Prozeßordnung bestimmende Grundsatz ist auch im Rahmen des § 79a FGO zu berücksichtigen. Jedenfalls bei Rechtsfragen von überragender Bedeutung, wie sie die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Vorschriften darstellt, kann im Rahmen der Ermessensentscheidung die Abwägung nur dahingehen, daß die Vorlage an das BVerfG dem Richterkollegium vorbehalten bleibt. Schon das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (§ 93c Abs. 1 S. 3 BVerfGG) bestimmt, daß die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes (und gegebenenfalls seine Nichtigerklärung) nur dem Senat, also dem gesamten Richterkollegium, nicht aber einer Kammer des Senats obliegt. Dann muß erst recht gefordert werden, daß von den Fachgerichten verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Gesetz nur vom gesamten Spruchkörper getragen werden.

Der Zuständigkeit des Einzelrichters für einen Vorlagan das BVerfG steht schließlich auch der Gedanke der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit entgegen. Die mit dem Normenkontrollverfahren verbundene Inanspruchnahme des BVerfG läßt sich nur rechtfertigen, wenn sie zur Entscheidung eines konkreten Verfahrens unerläßlich ist. Der Berichterstatter, der eine seiner Auffassung nach entscheidungserhebliche Norm für verfassungswidrig hält, hat deshalb eine Entscheidung in seinem Senat herbeizuführen. Bei dieser Verfahrensweise erübrigt sich eine Vorlage an das BVerfG möglicherweise deshalb, weil der Senat in seiner Mehrheit die Verfassungsmäßigkeit der Norm bejaht oder deren Entscheidungserheblichkeit verneint.

Der Grundsatz der Subsidiarität soll zudem auch gewährleisten, daß der Streitstoff und die Rechtslage in einfach-rechtlicher wie in verfassungsrechtlicher Hinsicht von den Fachgerichten umfassend und eingehend erörtert werden. Die Gewähr hierfür bietet der Senat als Kollegialorgan in deutlich höherem Maße als ein Einzelrichter. Den Kläangsverfahrens werden ihre Rechte dadurch nicht verkürzt. Faßt der zuständige Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts keinen Vorlagebeschluß, so ist es den Klägern nach Erschöpfung des Rechtswegs unbenommen, Verfassungsbeschwerde zu erheben.