Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit einem Gegendarstellungsbegehren gegenüber "Focus"

Pressemitteilung Nr. 95/1998 vom 28. August 1998

Beschluss vom 25. August 1998
1 BvR 1435/98

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde des Leiters der vom Hamburger Institut für Sozialforschung veranstalteten Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944", Hannes Heer, ein Urteil des OLG München (OLG) vom 1. Juli 1998 aufgehoben. Mit diesem Urteil hatte das OLG im Berufungsverfahren ein Gegendarstellungsbegehren des Beschwerdeführers gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus zurückgewiesen. Das Urteil verstößt nach der Entscheidung der Verfassungsrichter gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Die Sache ist deshalb an das OLG zurückverwiesen worden, das unter Berücksichtigung des verfassungsgerichtlichen Beschlusses nochmals entscheiden muß.

I.

Anfang 1998 entfernte der Beschwerdeführer aus der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" ein mit der Textzeile "Juden werden exekutiert" versehenes Bild. Es waren Zweifel aufgekommen, ob es tatsächlich eine Exekutionsszene zeigt. Das Originalfoto wird bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg (Zentrale Stelle) in einer Lichtbildmappe zusammen mit drei weiteren Bildern aufbewahrt. Zwei der insgesamt vier Fotos sind auf die Vorderseite eines Kartons geklebt, die beiden weiteren auf der Rückseite. Das streitgegenständliche Bild befindet sich auf der Vorderseite unten. Zwischen den beiden Bildern auf der Vorderseite steht folgender Text:

"Nach Aushebung eines Massengrabes durch die Juden müssen diese sich nackt ausziehen und werden in die Grube getrieben. Darunter befinden sich Kinder, erstes Bild rechts. Angehörige der einheimischen Selbstschutzverbände (vermutlich Letten) sind an den Erschießungen beteiligt. Tatort und -Zeit: Vermutlich Lettland, Sommer 1941".

In der Focus-Ausgabe vom 9. März 1998 erschien ein Artikel mit der Überschrift "Wehrmachtsausstellung - Verfälschtes Bild ausgetauscht". In dem Artikel heißt es u.a.:

"Doch Heer, der Kritiker als "Philister und Spießbürger" bezeichnet, lügt und fälscht selbst in der Begründung für den Bilderwechsel. In seiner Errata-Liste behauptet Heer, die von ihm erfundene Bildzeile 'Juden werden exekutiert' sei durch ähnliche Angaben in der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg dokumentiert. Das ist falsch. Das Foto, ..., ist dort ohne jeden Hinweis archiviert".

Der Bf nahm daraufhin den Verlag vor dem Landgericht vergeblich auf Abdruck einer Gegendarstellung in Anspruch. Im Berufungsverfahren vor dem OLG beantragte er folgende Gegendarstellung:

"... Das Foto befindet sich in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg in einer eine Vielzahl von Fotos enthaltenden Lichtbildmappe des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Es ist eines von vier Fotos, von denen je zwei auf der Vorder- und auf der Rückseite des Blattes 10 der Lichtbildmappe aufgeklebt sind. Auf der Vorderseite des Blattes 10, unter dem ersten Foto und über dem Foto, über das Focus berichtet, befindet sich folgender Hinweis:

"Nach Aushebung eines Massengrabes ...".

Das OLG hat die Berufung des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Im Focus-Bericht werde ausgeführt, daß die vom Beschwerdeführer erfundene Bildzeile durch ähnliche Angaben der Zentralstelle in Ludwigsburg dokumentiert sei und daß dies falsch sei. Dieser Teil der Mitteilung sei Meinungsäußerung, nicht Tatsachenbehauptung. Die Frage sei, ob sich der Vermerk zwischen den beiden Bildern auch auf das streitgegenständige Foto oder nur auf das darüber abgebildete beziehe. Hierzu könnten unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Es gehe nicht um die subjektive Einschätzung des Dokumentierers, sondern um den objektiven Bezug des Zwischentextes auf das hier streitige Bild. Auch für den Leser liege der Schwerpunkt der Äußerung bei dieser objektiven Zuordnung des Zwischentextes. Gegen dieses Urteil erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde.

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat dem Beschwerdeführer recht gegeben. Das OLG Urteil verstößt gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Einordnung der Focus-Meldung als Meinungsäußerung hält einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht Stand.

Die insoweit vom OLG vorgenommene Begründung wird den Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen nicht gerecht. Der unbefangene Focus-Leser, dem in dem Artikel die Art der Archivierung des Bildes in der Zentralen Stelle nicht mitgeteilt worden ist, kann die Meldung nur so verstehen, daß es an jeder textlichen Erläuterung fehle. Für ihn stellt sich daher die Frage nach einer objektiven Zuordnung des Textes überhaupt nicht. Vielmehr wird er aufgrund der Aussage, es fehle jeder Hinweis, zu der Auffassung gelangen, der Beschwerdeführer habe seine Behauptung aus der Luft gegriffen und den Vorwurf, er lüge und fälsche, für wohl begründet halten.

Auf die Frage, ob der zwischen den Bildern dokumentierte Text auch dem unteren Bild zugeordnet werden kann, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Sie betrifft vielmehr das Ergebnis einer möglichen Beweisaufnahme, nicht aber die für den Leser vor einer Beweisaufnahme offene Frage, ob es im Zusammenhang mit der Archivierung der Bilder überhaupt einen Texthinweis gibt und dieser einen ähnlichen Inhalt hat wie die in der Ausstellung verwendete Bildzeile. Focus hätte es in der Hand gehabt, durch die Mitteilung der Umstände die Annahme, der Text beziehe sich nicht auf das umstrittene Foto, als seine Beurteilung erscheinen zu lassen. Ohne diese Mitteilung handelt es sich bei der Äußerung, es fehle jeder Hinweis, nicht um eine Meinungsäußerung, sondern um eine Tatsachenbehauptung, die grundsätzlich gegendarstellungsfähig ist.