Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Unterlassung rufschädigender Äußerungen

Pressemitteilung Nr. 141/1998 vom 29. Dezember 1998

Beschluss vom 10. November 1998
1 BvR 1531/96

Der Erste Senat des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde eines österreichischen Künstlers ein zivilgerichtliches Urteil aufgehoben. Das Zivilgericht hatte mit seiner Entscheidung die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen, Äußerungen über seine angebliche Verbindung zu Scientology zu unterlassen.

I.

Der Beschwerdeführer beschäftigte sich seit 1972 mit den Schriften und Lehren von Scientology und besuchte auch Kurse, die diese Organisation anbot. Seit 1975 wurde er in verschiedenen Zeitschriften als Scientologe bezeichnet oder sonst mit Scientology in Verbindung gebracht.

1994 sollte der Beschwerdeführer ein Modell für die künstlerische Gestaltung des KZ-Geländes "Neue Bremm" in Saarbrücken entwerfen. Zwei Vereine, die sich die Bekämpfung von Sekten zur Aufgabe gemacht haben, wollten eine Beteiligung des Beschwerdeführers verhindern und wandten sich zu diesem Zweck in einem offenen Brief an Medien und Politiker. Darin schrieben sie u.a.:

"Durch Medien und Politik wird somit ein Werbeträger einer kriminellen Vereinigung hofiert, der in unzähligen Veröffentlichungen für S. wirbt und sich selbst als 'Geistlicher' bezeichnet (Scientologyjargon: 'Auditor IV', d.h. er gehört zu der Gruppe der absoluten Laien, die in einem zwangshypnotischen Verfahren unter Zuhilfenahme eines Lügendetektors die Psyche von Menschen zerstören, um sie unter Bewußtseinskontrolle zu stellen).

Der Erlös einer limitierten Lithographie, die u.a. in der Saarbrücker 'Galerie 48', Julius-Kiefer-Str. 105, erhältlich ist, fließt nachweislich dem scientologischen Geheimdienst (OSA München) zu ...

Die mögliche Einflußnahme der kriminellen, menschenverachtenden Vereinigung 'Scientology' auf die öffentliche Kultur auch im Saarland steht hier auf dem Prüfstand.

In Erwartung Ihrer baldigen Maßnahmen..."

Nachdem der Beschwerdeführer zunächst beim Landgericht erfolgreich war, wies das Oberlandesgericht (OLG) im Berufungsverfahren die Klage des Beschwerdeführers auf Unterlassung dieser Äußerungen im wesentlichen ab. Es komme nicht darauf an, ob die beanstandeten Äußerungen ehrenrührig und unwahr seien. Wer eine herabsetzende Behauptung über Dritte aufstelle, die nicht aus dem eigenen Erfahrungsbereich stamme und die er nicht selbst überprüfen könne, müsse sich zur Begründung auf unwidersprochene Presseberichte beziehen dürfen.

Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügte die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Er sei kein Scientologe, habe sich nicht zum Geistlichen ausbilden lassen, keine derartige Funktion übernommen und sich auch nicht selbst als Geistlicher bezeichnet.

II.

Der Erste Senat hat dem Beschwerdeführer recht gegeben. Die angegriffene OLG-Entscheidung verletzt sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.

  1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Einzelnen auch gegenüber der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften in Vereinigungen oder Gruppen, sofern diese Zuschreibung Bedeutung für die Persönlichkeit und deren Bild in der Öffentlichkeit hat.

    Gerichtliche Entscheidungen, die persönlichkeitsrelevante Aussagen zulassen, gegen die sich der Betroffene mit der Begründung wehrt, sie seien falsch, beeinträchtigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

    Das ist bei der Abweisung der Klage des Beschwerdeführers auf Unterlassung der Äußerungen, er sei Mitglied der Scientology-Gruppe, habe sich selbst als Geistlicher dieser Gemeinschaft bezeichnet und sei auch Geistlicher, der Fall. Die ihm vorgeworfene enge Verbindung zu Scientology kann das Bild negativ beeinflussen, das sich die Öffentlichkeit von ihm macht. Das gilt um so mehr, als gerade diese Organisation in der Gesellschaft äußerst umstritten ist und des öfteren Gegenstand staatlicher Warnungen und kritischer Presseberichte war. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Behauptung, der Beschwerdeführer sei Scientologe in führender Position, seine künstlerische Betätigung erschwert, weil sich eine Rufschädigung bei Aufträgen oder Ankäufen nachträglich auswirken kann.

  2. a) Bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Grundrechte "Allgemeines Persönlichkeitsrecht/Meinungsfreiheit" gilt: Bei Werturteilen geht der Persönlichkeitsschutz regelmäßig der Meinungsfreiheit vor, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Schmähkritik oder als Formalbeleidigung darstellt. Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht.

    Nach der - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - Rechtsprechung der Zivilgerichte unterliegt derjenige, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Sorgfaltspflichten, die sich im einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten richten und etwa für die Medien strenger sind als für Privatleute.

    Weiterhin wird demjenigen, der sich nachteilig über einen Dritten äußert, im Zivilprozeß eine erweiterte Darlegungslast auferlegt, die ihn anhält, Belegtatsachen für die Wahrheit seiner Behauptung anzugeben. Ist der sich Äußernde nicht in der Lage, seine Behauptung mit Belegtatsachen zu erhärten, wird sie wie eine unwahre behandelt.

    Auch diese Rechtsprechung begegnet grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Erfüllung der Darlegungslast macht aber die Wahrheitsermittlung nicht entbehrlich. Auch eine durch Belegtatsachen gestützte Behauptung kann falsch sein. Daher verlangt das allgemeine Persönlichkeitsrecht, daß dem von der Tatsachenbehauptung nachteilig Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptung im Verfahren geltend zu machen, nicht unter Berufung auf die Erfüllung der Darlegungslast abgeschnitten wird. Nur wenn er den Belegtatsachen seinerseits nichts entgegenzusetzen hat, kann die Wahrheit der Äußerung unterstellt werden. Im übrigen ist der Wahrheitsgehalt aufzuklären, sofern die prozessualen Voraussetzungen dafür vorliegen. Das gilt auch, wenn die behauptete Tatsache Presseberichten entnommen ist.

    b) Diesen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist das OLG nicht gerecht geworden.

    Das Gericht hätte auf die Darlegung des Beschwerdeführers, der Artikel, aus dem sich die Selbstbezeichnung als Geistlicher ergebe, sei von ihm nicht gebilligt worden und - was die Auditoreneigenschaft angehe - falsch, sowie seine Angabe, er habe sich 1992 von Scientology distanziert, im Verfahren berücksichtigen müssen.

    Dasselbe gilt, soweit der Beschwerdeführer unter Vorlage von Erklärungen der Scientology-Kirche Deutschland bestreitet, eine Ausbildung zum Auditor gemacht und eine derartige Funktion innegehabt zu haben. Auch auf die behauptete Distanzierung von Scientology, insbesondere ihre Ernsthaftigkeit, hätte das Gericht eingehen müssen.

    Schließlich verletzt auch die Abweisung des Unterlassungsbegehrens hinsichtlich der Äußerung, der Beschwerdeführer gehöre "...zu einer Gruppe, die in einem zwangshypnotischen Verfahren unter Zuhilfenahme eines Lügendetektors die Psyche von Menschen zerstören, um sie unter Bewußtseinskontrolle zu stellen", den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das Gericht hat auch insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer den Darlegungen der Beklagten im Ausgangsverfahren seine Abkehr von Scientology entgegengesetzt hat. Diese Übergehung wurzelt ebenfalls in dem unzutreffenden Verständnis von Schutzgehalt und Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.