Bundesverfassungsgericht

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Grundstücke dürfen bei der Anrechnung auf "BAföG" nicht nach dem Einheitswert berücksichtigt werden, wenn andere Vermögensgegenstände nach dem Kurs- oder Zeitwert angesetzt werden

Pressemitteilung Nr. 28/1999 vom 11. März 1999

Beschluss vom 02. Februar 1999
1 BvL 8/97

Der Erste Senat des BVerfG hat auf eine gerichtliche Vorlage folgendes festgestellt:

  1. § 28 Abs. 1 S. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG; in der Fassung von Juli 1991) ist insoweit mit der Verfassung unvereinbar, als bei der Berechnung des auf den Bedarf anzurechnenden Vermögens des Auszubildenden Grundstücke lediglich mit dem Einheitswert berücksichtigt werden. Dies verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil im Gegensatz dazu Wertpapiere und sonstige Vermögensgegenstände mit dem Kurs- oder Zeitwert anzusetzen sind.
  2. Die Vorschrift darf bis zum Erlaß einer verfassungsgemäßen Regelung, längstens bis zum 31. Dezember 2000, angewandt werden.

I.

Eine Studentin hatte sich dagegen gewehrt, daß ihr die Bewilligung von "BAföG" mit der Begründung versagt worden war, sie verfüge u.a. über Wertpapiervermögen. Im Klageverfahren machte die Studentin in der Berufungsinstanz vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geltend, die Anrechnung ihres Wertpapiervermögens beruhe auf einer verfassungswidrigen Regelung. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß Grundvermögen lediglich nach dem den Verkehrswert regelmäßig deutlich unterschreitenden Einheitswert auf den Anspruch auf Ausbildungsförderung angerechnet werde, während bei anderem Vermögen grundsätzlich der Zeitoder Kurswert für die Höhe des Anrechnungsbetrages maßgeblich sei.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vorgelegt, ob § 28 Abs. 1 S. 1 BAföG (Wortlaut s. Anlage)

"... insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als er vorschreibt, daß der Wert eines Gegenstandes bei Grundstücken auf die Höhe des Einheitswertes auf der Grundlage der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 (§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BAföG) oder 140 v.H. dieses Einheitswertes (§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BAföG), bei Wertpapieren auf die Höhe des Kurswertes am 31. Dezember des Jahres vor der Antragstellung (§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2 BAföG), bei sonstigen Gegenständen auf die Höhe des Zeitwertes im Zeitpunkt der Antragstellung (§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 2 BAföG) zu bestimmen ist."

Das vorlegende Gericht ist der Überzeugung, die unterschiedlichen Regelungen über die Wertbestimmung für Grundvermögen einerseits und für sonstiges Vermögen andererseits verstießen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

II.

Der Erste Senat teilt diese Auffassung.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Das BAföG benachteiligt Auszubildende mit Vermögen im Sinne des § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 5 gegenüber Förderungsberechtigten, die zumindest auch über Grundvermögen im Sinne der Nr. 1 und 2 des Satzes 1 verfügen. Die Benachteiligung ergibt sich dadurch, daß nach dieser Vorschrift der Wert von Grundstücken nach dem Einheitswert bestimmt wird, während bei sonstigen Vermögensgegenständen für die Wertbestimmung der Kurs- oder Zeitwert maßgeblich ist. Es ist außer Streit, daß der Einheitswert eines Grundstücks heute nur noch einen Bruchteil des Verkehrswerts ausmacht.

    Hinzu kommt, daß nach Abs. 3 des § 28 BAföG von dem aufgrund des Abs. 1 dieser Vorschrift ermittelten Betrag die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten im Nominalwert abzusetzen sind; dies wirkt sich für die Inhaber von Grundvermögen bei der Feststellung des Bedarfs nach § 11 Abs. 2 BAföG besonders vorteilhaft aus.

  2. Die ungleiche Behandlung wird nicht durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt.

    a) Der mit der Ermittlung des Verkehrswerts im Vergleich zum Einheitswert regelmäßig verbundene höhere Verwaltungsaufwand reicht zur Rechtfertigung nicht aus. Eine genaue Festsetzung des Verkehrswerts eines Grundstücks ist regelmäßig nicht erforderlich. Es genügte - wie das vorlegende Gericht überzeugend dargelegt hat - meistens eine grobe Einschätzung, damit festgestellt werden kann, ob der Auszubildende über Grundvermögen verfügt, das sich auf den Bedarf auswirkt und den Förderungsanspruch ausschließt. Zudem könnte der Gesetzgeber eine dem Art. 3 Abs. 1 GG entsprechende Rechtslage dadurch herbeiführen, daß er beispielsweise die Einheitswerte für die Wertbestimmung anhebt oder durch die Anerkennung eines angemessenen Freibetrages für Vermögensgegenstände nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 5 BAföG die Inhaber unterschiedlicher Vermögensarten im Ergebnis gleichstellt.

    b) Die Gruppe der Auszubildenden mit Grundvermögen ist auch nicht so klein, daß der Gesetzgeber diese Vermögensart unter Berufung auf seine Typisierungsbefugnis ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz in einem so weitgehenden Maße von der Anrechnung ausnehmen konnte, wie dies durch die Anknüpfung an den Einheitswert der Fall ist. Im Vergleich zu den 70er Jahren hat sich die Situation der Auszubildenden wesentlich geändert. Die Generation, die heute in der Ausbildung steht, verfügt aufgrund von Erbfolge und Schenkungen im größeren Umfang als früher über Grundvermögen. Die von § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BAföG begünstigte Gruppe dürfte daher deutlich größer sein als zum Zeitpunkt der Neuregelung der Vermögensanrechnung im Jahre 1977.

  3. § 28 Abs. 1 S. 1 BAföG ist in dem beanstandeten Umfang mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Vorschrift darf jedoch bis zum Erlaß einer neuen gesetzlichen Regelung, längstens bis zum 31. Dezember 2000 angewandt werden, weil anderenfalls Grundvermögen überhaupt nicht angerechnet werden könnte und damit eine noch stärkere Ungleichbehandlung einträte. Ist bis zu diesem Zeitpunkt eine verfassungsgemäße Neuregelung nicht erfolgt, muß die Anrechnung des Vermögens des Auszubildenden auf den Bedarf nach § 11 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 1, §§ 27 und 28 BAföG unterbleiben.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 28/99 vom 11. März 1999

§ 28 BAföG Wertbestimmung des Vermögens

(1) Der Wert eines Gegenstandes ist zu bestimmen

  1. bei Grundstücken, die nach dem Bewertungsgesetz als zum Betrieb der Land- und Forstwirtschaft gehörig bewertet sind, auf die Höhe des Einheitswertes auf der Grundlage der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964,
  2. bei nicht unter Nummer 1 fallenden Grundstücken auf 140 vom Hundert des Einheitswertes auf der Grundlage der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964,
  3. bei Betriebsvermögen, mit Ausnahme der Grundstücke, auf die Höhe des Einheitswertes,
  4. bei Wertpapieren auf die Höhe des Kurswertes,
  5. bei sonstigen Gegenständen auf die Höhe des Zeitwertes.

Grundstücke und Betriebsvermögen werden, soweit sie in dem in § 12 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a bezeichneten Gebiet liegen, nur bei Entscheidungen für die Bewilligungszeiträume berücksichtigt, die nach dem 31. Juli 1992 (jüngste Fassung: 31. Dezember 1999) beginnen.

(2) Maßgebend ist der Wert im Zeitpunkt der Antragstellung, bei Wertpapieren der Kurswert am 31. Dezember des Jahres vor der Antragstellung.

(3) Von dem nach den Absätzen 1 und 2 ermittelten Betrag sind die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten abzuziehen. Dies gilt nicht für das nach diesem Gesetz erhaltene Darlehen.

(4) Veränderungen zwischen Antragstellung und Ende des Bewilligungszeitraums bleiben unberücksichtigt.