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"Heidemörder"

Pressemitteilung Nr. 61/1999 vom 11. Juni 1999

Beschluss vom 28. Mai 1999
1 BvR 77/99

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat einstimmig Urteile des Landgerichts (LG) und des Oberlandesgerichts Hamburg (OLG) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Mit den Urteilen war ein Presseverlag zur Auskunftserteilung über die Person des Lieferanten mehrerer von dem Verlag veröffentlichter Fotos verpflichtet worden.

I.

Die Beschwerdeführerin - ein Presseverlag aus Hamburg - hatte im Juli 1997 in ihrer Zeitschrift drei Fotos von der standesamtlichen Trauung eines zu lebenslanger Haft verurteilten Straftäters ("Heidemörder") mit seiner früheren Therapeutin veröffentlicht. Die Stadt Hamburg hatte Medienvertreter von der Trauung, die in einer Hamburger Haftanstalt stattgefunden hat, ausgeschlossen und lediglich zugelassen, daß ein Anstaltsbediensteter drei Polaroid-Fotos fertigte. Diese waren dem Straftäter als private Erinnerungsfotos ausgehändigt worden.

Bei den von der Beschwerdeführerin veröffentlichten Bildern handelt es sich um Ablichtungen dieser Polaroid-Fotos.

Auf die Klage der Stadt Hamburg verurteilte das LG die Beschwerdeführerin, Schadenersatz zu zahlen und Auskunft darüber zu geben, von wem sie die drei Fotos erhalten habe. Dieses Urteil wurde in der Berufungsinstanz vom OLG bestätigt.

Gegen beide Urteile erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde, soweit sie zur Auskunftsmitteilung verurteilt worden ist, und rügte eine Verletzung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat der Beschwerdeführerin recht gegeben.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Der Schutz der Pressefreiheit umfaßt im Interesse eines breiten Informationsflusses auch die Vertraulichkeit zwischen Presse und ihren Informanten. Jeder Zwang zur Auskunft hebt die Vertraulichkeit auf und ist damit geeignet, den für die Funktion der Presse unerläßlichen Informationsfluß zu behindern. Dieser Schutz der Pressefreiheit gilt auch für die Bildberichterstattung.

Allerdings gilt die Pressefreiheit nicht schrankenlos. Eine solche Schranke ergibt sich u.a. aus den allgemeinen Gesetzen. Hierzu gehört § 101a Urheberrechtsgesetz (UrhG), auf den die Zivilgerichte ihre Verurteilung gestützt haben.

Geht es um eine Auskunftsverpflichtung der Presse, ist in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit auf der einen und dem Rang des von der privatrechtlichen Norm geschützten Rechtsgutes (hier: § 101a UrhG) auf der anderen Seite erforderlich.

2. Eine solche verfassungsrechtlich erforderliche konkrete Abwägung haben weder das LG noch das OLG vorgenommen.

Das Urteil des LG enthält keine Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Auskunftsverpflichtung. Das OLG hat sich insoweit lediglich mit der Frage befaßt, welcher Aufwand mit der Auskunftserteilung verbunden ist. Erwägungen dazu, ob die Stadt Hamburg ein durch § 101a UrhG rechtlich geschütztes Interesse an der verlangten Auskunft hat, die Auskunftserteilung zum Schutz eines solchen Interesses erforderlich ist und dieses Interesse so gewichtig ist, daß eine Durchbrechung der Vertraulichkeitssphäre zwischen Presse und Informant gerechtfertigt ist, sind nicht angestellt worden. Die Gerichte haben die Auskunftsverpflichtung allein deshalb als zulässigen Eingriff in die Pressefreiheit angesehen, weil die Veröffentlichung der Bilder rechtswidrig war und die Urheberrechtsverletzung von der Beschwerdeführerin und dem Lieferanten als Mittäter begangen worden sei. Unabhängig davon, ob die Annahme der Mittäterschaft des Informanten gerechtfertigt war, führt diese Auffassung dazu, daß der Informantenschutz generell im Falle einer zumindest in Kauf genommenen Urheberrechtsverletzung entfällt. Das trägt den Belangen der Pressefreiheit jedoch nicht hinreichend Rechnung. Denn einerseits würde damit die vertrauliche Weitergabe jeglichen Bildmaterials, an dem fremde Urheberrechte bestehen, unterbleiben, insbesondere auch solchen, das einen Informationswert verkörpert, auf den die Presse zur Aufdeckung oder Verifizierung von Vorgängen im Rahmen der Berichterstattung angewiesen ist. Andererseits kann allein die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung einen Eingriff in die von dem Bereich der Veröffentlichung zu unterscheidende Sphäre der Informationsbeschaffung nicht rechtfertigen. Vielmehr bedarf ein solcher Eingriff eines vom Schutzzweck des § 101a UrhG erfaßten und das Geheimhaltungsbedürfnis der Presse überwiegenden Interesses an der begehrten Auskunft. Hierzu lassen die angegriffenen Entscheidungen jegliche Ausführungen vermissen.