Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Schuldrechtsanpassungsgesetz ist im wesentlichen mit dem GG vereinbar / einzelne Regelungen verstoßen gegen das GG

Pressemitteilung Nr. 120/1999 vom 17. November 1999

Beschluss vom 14. Juli 1999
1 BvR 995/95

Der Erste Senat des BVerfG hat entschieden, daß die angegriffenen Regelungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes (SchuldRAnpG) im wesentlichen mit dem GG vereinbar sind. Lediglich ein Teil der Regelungen verstößt gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG.

Folgende Regelungen hat der Senat verfassungsrechtlich beanstandet:

1. § 23 SchuldRAnpG (Kündigungsschutz)

Die Regelung ist insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar,

a) als sie dem Eigentümer für besonders große Erholungs- und Freizeitgrundstücke nicht die Möglichkeit einer Teilkündigung (für abtrennbare Grundstücksteile) ermöglicht,

b) und nichtig, soweit die Kündigung von Garagengrundstücken auch nach Ablauf des 31. Dezember 1999 Beschränkungen des SchuldRAnpG unterliegt und noch nicht nach den Vorschriften des BGB erfolgen kann (Abstimmung 5:3).

Hinsichtlich der fehlenden Möglichkeit einer Teilkündigung (s. o.a) hat der Gesetzgeber spätestens bis zum 30. Juni 2001 einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen.

2. § 14 Satz 1 SchuldRAnpG (Entschädigungspflicht des Eigentümers bei vorzeitiger Beendigung des Vertrages)

Wird dem Nutzer ausnahmsweise vor Ablauf der gesetzlichen Frist gekündigt, soll er nach dieser Vorschrift vom Eigentümer einen Ausgleich der ihm hierdurch entstandenen Vermögensnachteile erhalten.

Diese Vorschrift ist insoweit verfassungswidrig und nichtig, als sie eine Entschädigungspflicht des Eigentümers auch dann vorsieht, wenn die vorzeitige Kündigung für diesen nicht zu einem Vermögenszuwachs führt (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 SchuldRAnpG).

In diesen Fällen steht den Nachteilen auf seiten des Nutzers kein korrespondierender besonderer Vorteil des Eigentümers gegenüber.

3. § 20 Abs. 1 und 2 SchuldRAnpG i.V.m. § 3 Abs. 1 der Nutzungsentgeltverordnung/NutzEV (Nutzungsentgelte)

Die Regelung ist mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie eine angemessene Beteiligung der Nutzer der Grundstücke an den öffentlichen Lasten ausschließt. Der Gesetzgeber hat spätestens bis zum 30. Juni 2001 einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen.

Im übrigen sind die angegriffenen Vorschriften mit dem GG vereinbar.

Dies gilt insbesondere für

  • die zugunsten der Nutzer sozial abgefederten und zeitlich gestreckten Kündigungsschutzregelungen des § 23 SchuldRAnpG (hinsichtlich Abs. 2 und 3; Abstimmung 6:2),
  • die Entschädigungspflicht des Eigentümers für Bauwerke (§ 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 3 SchuldRAnpG),
  • die stufenweise Anhebung der Nutzungsentgelte (§ 20 SchuldRAnpG).

Die Senatsentscheidung ist einstimmig ergangen, soweit nicht zu einzelnen Punkten ein anderes Abstimmungsergebnis angegeben ist.

Wegen des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften und der übrigen Verfahrenseinzelheiten wird auf die Pressemitteilung vom 16. November Nr. 119/99 Bezug genommen.

Zur Beschlußbegründung:

I.

1. Prüfungsmaßstab ist in erster Linie Art. 14 Abs. 1 GG.

Der Gesetzgeber hat bei Erfüllung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrags sowohl der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstellung des Eigentümers als auch dem aus Art. 14 Abs. 2 GG folgenden Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung zu tragen. Er muß deshalb die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung steht mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozial gebundenen Privateigentums nicht in Einklang.

Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Rahmen des Art. 14 GG ist um so größer, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist.

Außerdem können grundlegende Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse den Regelungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erweitern. Schwierigkeiten, die die Überführung der sozialistischen Rechts- und Eigentumsordnung einschließlich der danach erworbenen Rechtspositionen in das Rechtssystem der Bundesrepublik mit sich bringt, darf er deshalb ebenso Rechnung tragen wie dem dazu erforderlichen Zeitbedarf.

2. Gemessen daran sind die angegriffenen Vorschriften nicht in vollem Umfang mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar.

a) Kündigungsschutz (§ 23 SchuldRAnpG)

aa) Im Grundsatz ist die Vorschrift nicht zu beanstanden. Das gilt sowohl für den absoluten Kündigungsausschluß bis zum 31. Dezember 1999 (Abs. 1) als auch für die Kündigungsbeschränkungen, die für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2004 und für den Anschlußzeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 3. Oktober 2015 weiter bestehen (Abs. 2 und 3; insoweit hat der Senat mit 6:2 entschieden).

Die Aufgabe des Gesetzgebers war besonders schwierig und betraf einen in hohem Maße sensiblen Bereich. Aufgrund ihrer starken Rechtsstellung durften die Nutzer zu DDR-Zeiten auf den langfristigen oder gar dauernden Fortbestand ihrer Nutzungsrechte vertrauen und haben in diesem Vertrauen oft erhebliche Investitionen in Errichtung und Ausbau von Baulichkeiten, insbesondere von Datschen, vorgenommen und an diesen Eigentum erworben. Infolgedessen bildete sich auch in ihrem Bewußtsein eine eigentümerähnliche Stellung hinsichtlich des Grundstücks heraus.

Dagegen konnten die Eigentümer bis zur Wiedervereinigung nicht damit rechnen, ihre Eigentümerbefugnisse jemals wieder zu erlangen. Ihnen wurden auch rechtlich keine Befugnisse genommen, die sie vorher gehabt hätten oder hätten ausüben können. Sie erhielten lediglich weniger, als sie erhofft haben mochten, nachdem der Prozeß der Wiedervereinigung in Gang gekommen war.

Der Senat führt aus, daß der Gesetzgeber mit den abgestuften Kündigungsregelungen die schutzwürdigen Interessen von Eigentümern und Nutzern grundsätzlich in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht hat.

Das gilt auch für die Regelung, wonach der Eigentümer den Vertrag über die Nutzung eines bebauten Grundstücks zu Lebzeiten des Nutzers dann nicht kündigen darf, wenn dieser am 3. Oktober 1990 das 60. Lebensjahr vollendet hatte (§ 23 Abs. 5 SchuldRAnpG). Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, daß für solche Nutzer der mit einer Kündigung ihres Nutzungsvertrags einhergehende Verlust an Lebensqualität nur schwer erträglich sein würde und daß ihnen daher eine völlige Neuorientierung nicht mehr zugemutet werden könne. Dies gilt um so mehr, als die Eigentümer ihre Grundstücke in der Regel seit Jahrzehnten nicht (mehr) nutzen konnten und eine vergleichbare soziale Bindung zu diesen Grundstücken deshalb nicht entstanden ist.

bb) In zweifacher Hinsicht bedarf § 23 SchuldRAnpG allerdings einer verfassungskonformen Auslegung:

  • Wird das betreffende Grundstück sei es bebaut oder unbebaut vom Berechtigten auf Dauer tatsächlich nicht mehr genutzt, so muß der Eigentümer die Möglichkeit haben, den Vertrag schon jetzt nach den Vorschriften des BGB zu kündigen. Ihm kann nicht weiter zugemutet werden, den Beschränkungen des SchuldRAnpG zu unterliegen. Denn bei dauerhafter Aufgabe der Nutzung hat der Nutzer keine schutzwürdige Rechtsposition mehr inne, die den Vorrang vor dem Rückerlangungsinteresse des Eigentümers verdiente.
  • Ein Nutzer, der das ihm überlassene Grundstück zu DDR-Zeiten vertragswidrig bebaut hat, ist wie derjenige zu behandeln, der bis zum 16. Juni 1994 ein Bauwerk nicht errichtet hat. Das hat zur Folge, daß der Eigentümer bereits ab 1. Januar 2003 nach den Vorschriften des BGB kündigen kann und nicht länger auf die Kündigungsgründe des § 23 Abs. 2 SchuldRAnpG beschränkt ist. Allein eine solche verfassungskonforme Interpretation bringt die Interessen der Beteiligten in ein ausgewogenes Verhältnis.

cc) Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, daß § 23 SchuldRAnpG dem Eigentümer für besonders große - bebaute oder unbebaute - Erholungs- und Freizeitgrundstücke nicht die Möglichkeit einer Teilkündigung eröffnet.

Gerade wenn es dem Eigentümer grundsätzlich zugemutet wird, im Interesse des Nutzers die eigene Nutzung und anderweitige Verwertung des eigenen Grund und Bodens unter Umständen auf Lebzeiten zu verzichten, ist es verfassungsrechtlich geboten, ihm den Zugang zu einer solchen Nutzung und Verwertung zu ermöglichen, soweit dies ohne nachhaltige Beeinträchtigung der Nutzerinteressen oder von Gemeinwohlbelangen geschehen kann. Es läßt sich also nicht rechtfertigen, dem Nutzer das gesamte von ihm genutzte Grundstück bis zum Ablauf der einschlägigen Bestandsschutzfrist auch dann zu belassen und den Grundstückseigentümer demzufolge von jeder Nutzung auszuschließen, wenn Teile des Grundstücks abtrennbar und vom Grundstückseigentümer selbständig nutzbar sind und die verbleibende Grundstücksfläche immer noch so groß ist, daß der Nutzer auf ihr die bisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußen fortsetzen kann.

Der Gesetzgeber hat insoweit bis zum 30. Juni 2001 eine verfassungsgemäße Regelung zu erlassen.

dd) Verfassungsrechtlich zu beanstanden und im Ergebnis nichtig ist auch die Regelung, wonach die Kündigung der Nutzung von Garagengrundstücken auch noch nach dem 31. Dezember 1999 beschränkt wird (§ 23 Abs. 2 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 und 3 SchuldRAnpG; Abstimmungsverhältnis 5 : 3).

Diese Regelung führt zu einer einseitigen, die Interessen der Eigentümer nicht mehr hinreichend berücksichtigenden und deshalb verfassungsrechtlich unzulässigen Bevorzugung der Nutzer. Sie läßt außer Betracht, daß die Bedeutung von Garagengrundstücken für deren Nutzer in der Lebenswirklichkeit der DDR hinter der von Erholungsgrundstücken deutlich zurückblieb. Garagengrundstücke dienten nicht als Refugium für einen privaten Freiraum im sozialistischen Alltag.

b) Entschädigungspflicht der Eigentümer (§§ 12, 14 Satz 1 SchuldRAnpG)

aa) Die im § 12 SchuldRAnpG geregelten Pflichten des Eigentümers, den Nutzer für errichtete Bauwerke nach Beendigung des Vertrages zu entschädigen, sind sachgerecht und mit dem GG vereinbar.

bb) § 14 Satz 1 SchuldRAnpG, der bei vorzeitiger Kündigung den Eigentümer verpflichtet, die dem Nutzer hierdurch entstehenden Vermögensnachteile zu ersetzen, ist nur zum Teil mit dem GG vereinbar:

  • Soweit die vorzeitige Kündigung erfolgt, weil der Eigentümer sein Grundstück der Nutzung im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder einem besonderen investiven Zweck im Sinne des Investitionsvorranggesetzes zuführen will (§ 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und Abs. 6 Satz 3 SchuldRAnpG) ist gegen die Entschädigungspflicht verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. In einem solchen Fall bringt die Kündigung dem Eigentümer regelmäßig erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Deshalb ist es angemessen, dem Nutzer wegen seiner Nachteile einen Entschädigungsanspruch einzuräumen.
  • Anders verhält es sich, wenn der Eigentümer den Vertrag vorzeitig kündigt, weil er das Grundstück für die Zwecke des § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 SchuldRAnpG z.B. für die Errichtung eines Wohnhauses nutzen will. Insoweit ist § 14 Satz 1 SchuldRAnpG mit dem GG unvereinbar und nichtig.

In einem solchen Fall steht dem Verlust des Nutzungsrechts und den darauf beruhenden Vermögensnachteilen auf seiten des Nutzers kein korrespondierender besonderer Vorteil des Grundstückseigentümers gegenüber. Dieser erhält zwar aufgrund der zulässigen Kündigung wieder den Besitz an seinem Grundstück, das er sodann zu eigenen Zwecken nutzen kann. Ihm die Möglichkeit dazu zu eröffnen, ist aber im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geboten.

c) Nutzungsentgelte (§ 20 Abs. 1 und 2 SchuldRAnpG i.V.m. § 3 Abs. 1 NutzEV)

aa) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist diese Regelung insoweit, als sie die Abgeltung der Grundstücksüberlassung als solche betrifft.

Die Regelung dient dem legitimen Ziel, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Eigentümer an der wirtschaftlichen Verwertung ihres Grundstücks und denen der Nutzer an einer schonenden Erhöhung des Pachtzinses herzustellen.

Preisrechtliche Vorschriften, die sozialpolitische Ziele verfolgen, sind verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Die Eigentumsgarantie gewährleistet nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums. Der Gesetzgeber durfte deshalb bei der Anpassung der Nutzungsentgelte an marktwirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigen, daß in der DDR die Entgelte sehr niedrig waren (zwischen 3 und 20 Pfennig je m² und Jahr) und vom Überlassenden nicht einseitig angehoben werden konnten. Der sofortige Anstieg dieser Entgelte auf ein Niveau, das dem wirtschaftlichen Verwertungsinteresse der Eigentümer voll Rechnung getragen hätte, wäre für die meisten Nutzer angesichts ihrer Einkommensverhältnisse finanziell nicht tragbar gewesen und hätte vermutlich viele von ihnen zur Aufgabe ihrer Nutzungsrechte bewogen.

bb) Es verstößt allerdings gegen Art. 14 Abs. 1 GG, daß weder § 20 SchuldRAnpG noch die Nutzungsentgeltverordnung die Möglichkeit vorsieht, die Nutzer von Erholungs- und Freizeitgrundstücken an den öffentlichen Lasten der Grundstücke angemessen zu beteiligen.

Das Regelungsziel, die Nutzungsentgelte sozialverträglich an marktwirtschaftliche Verhältnisse anzupassen, rechtfertigt die einseitige Belastung der Eigentümer nicht. Ihnen soll durch die Anpassung auch zum Ausgleich für die langen Kündigungsschutzfristen eine angemessene wirtschaftliche Verwertung ihrer Grundstücke ermöglicht werden. Diese wird aber durch Einbußen, die den Eigentümern durch hohe öffentliche Abgaben entstehen können, in Frage gestellt.

Der Gesetz- oder Verordnungsgeber hat bis zum 30. Juni 2001 eine verfassungsgemäße Regelung über die angemessene Beteiligung der Nutzer an den öffentlichen Lasten zu erlassen. In diese Regelung sind auch "Altfälle" einzubeziehen, es sei denn, entsprechende Klagen sind bereits rechtskräftig abgewiesen worden.