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Vergütung von Berufsbetreuern hier: Zur Verfassungsmäßigkeit der bis 1998 gültigen Regelung

Pressemitteilung Nr. 4/2000 vom 12. Januar 2000

Beschluss vom 15. Dezember 1999
1 BvR 1904/95

Der Erste Senat des BVerfG hat hinsichtlich der Vergütung für Berufsbetreuer aufgrund der von 1990 bis 1998 gültigen gesetzlichen Regelung folgendes entschieden:

1. Die Vergütung stand im Grundsatz mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) im Einklang.

2. Es verstieß allerdings gegen Art. 12 Abs. 1 GG, bei der Festsetzung der Vergütung des Berufsbetreuers die Umsatzsteuerpflicht des Anspruchsberechtigten unberücksichtigt zu lassen.

Das Betreuungsrecht ist durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz im Juni 1998 novelliert worden. Seit dieser Novelle, die nicht Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist, wird die Umsatzsteuer erstattet. Zugleich wurden Einsparungen bei der Vergütung vorgenommen.

I.

1. Mit dem Betreuungsgesetz von 1990 wurden Vormundschaften, Gebrechlichkeitspflegschaften und Entmündigungen abgeschafft. Volljährigen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen können, wird nunmehr ein Betreuer bestellt. Neben der Betreuung durch einen Verein oder eine Behörde kommt vorrangig die Bestellung natürlicher Personen, die entweder ehrenamtlich oder freiberuflich tätig sind, in Betracht. Sie setzt deren Bereitschaft zur Übernahme der Betreuung voraus. Berufsmäßige Betreuer haben bei Vermögenslosigkeit des Betreuten einen Vergütungsanspruch gegen den Staat. Seine Höhe richtet sich nach der Zeugenentschädigung, nicht nach der erheblich höheren Entschädigung für Sachverständige. Je nach Schwierigkeit der Betreuung erhielt der berufsmäßige Betreuer nach der damaligen Rechtslage einen Stundensatz von 25 DM bis maximal 125 DM. Zur Frage der Erstattung der Umsatzsteuer, die Berufsbetreuer auf ihre Vergütung zu zahlen haben, enthielt das Gesetz keine eindeutige Aussage. Diese Frage ist nicht nur in der Literatur umstritten, sondern wurde auch von den Gerichten in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet. Nach der Gesetzesnovelle von 1998 wird diese Steuer nunmehr erstattet.

2. Bei den insgesamt zehn Beschwerdeführern (Bf) handelt es sich u.a. um Rechtsanwälte, Diplomtheologen und Diplomsozialpädagogen, die als Berufsbetreuer eingesetzt waren. Sie sind mit Anträgen auf Bewilligung von Vergütung oder Aufwendungsersatz teilweise ohne Erfolg geblieben und erhoben gegen die entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen Verfassungsbeschwerde. Die Bf sind der Auffassung, die zu geringe Vergütung und die Nichterstattung der Umsatzsteuer verstoße gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

II.

Der Erste Senat hat den Bf hinsichtlich der Umsatzsteuer recht gegeben. Im übrigen ist das den gerichtlichen Entscheidungen zugrundeliegende Regelungskonzept mit dem GG vereinbar.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Vergütungsanspruch

a) Die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Bf sind durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Denn die Ziele des Gesetzgebers, die Rechtsstellung des Betreuers zu stärken, qualifizierte Betreuer zu gewinnen und die Anzahl auch der Berufsbetreuer zu finanziell tragbaren Konditionen zu erhöhen, entsprechen insgesamt vernünftigen Erwägungen. Die Begrenzung der Stundensätze und die Auswahl der Eckdaten aus der Zeugenentschädigung sollen deutlich machen, daß außer Rechtsanwälten auch andere Berufsgruppen zur Wahrnehmung der Tätigkeit geeignet sind. Deshalb erschien es dem Gesetzgeber angemessen, mit einem geringeren als dem für die Sachverständigenentschädigung geltenden Grundbetrag zu beginnen. Zugleich sollten damit absehbare Finanzierungsprobleme bewältigt werden, die darauf beruhen, daß die Betreuten überwiegend selbst die Kosten der Betreuung nicht aufbringen können. Auch diese Zielsetzung, die vor allem die Schonung der öffentlichen Kassen bezweckt, ist als eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls nicht zu beanstanden.

Die gesetzliche Vergütungsregelung, die Raum für die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls läßt, ist geeignet, diese Ziele zu erreichen und belastet die Betroffenen nicht übermäßig. So gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß den Betreuern unangemessen niedrige Einkünfte zugemutet werden. Berücksichtigt man die Tatsache, daß sich Angehörige vielfältiger Berufsgruppen für die freiberufliche Tätigkeit als Berufsbetreuer entscheiden, daß auch Rechtsanwälte eine entsprechende Spezialisierung nicht grundsätzlich ablehnen, wird man dem Grundsatz nach davon ausgehen können, daß der in der Vergütungsregelung angelegte Zielkonflikt zwischen dem Anreiz zur Gewinnung qualifizierter Betreuer einerseits und der kostengünstigen Gestaltung der Betreuung andererseits angemessen gelöst ist. Daß auf der Grundlage der bestehenden Vergütungsregelung generell eine wirtschaftliche Existenz möglich ist, zeigt auch der Vergleich mit anderen Gebührenordnungen (beispielsweise Steuerberatergebührenverordnung, Honorarordnung für Architekten und Ingenieure), deren Zeitgebühren nicht wesentlich höher liegen.

Schließlich läßt sich auch nicht belegen, daß die wirtschaftliche Existenz von Berufsbetreuern mit den Vergütungsansprüchen gegenüber der Staatskasse nicht mehr gewährleistet ist. Keiner der Bf hat die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse in einer Weise offengelegt, die darauf schließen lassen, daß sie mit den Vergütungen nicht imstande wären, ihre Kosten zu decken und ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Es kann daher nur anhand der Gesetzeslage und der tatsächlichen Entwicklung des Betreuungswesens festgestellt werden, daß die Betreuung im Zweitberuf für Rechtsanwälte wirtschaftlich weniger interessant ist als für Berufstätige, die mit ihrem Hauptberuf geringere Einkünfte erzielen, und daß sich in Kenntnis der Vergütungsregelung eine Vielzahl qualifizierter Personen dem neu eröffneten Berufsfeld zugewandt haben. Die Vergütung hat demnach das Ziel des Gesetzgebers, geeignete Personen zu gewinnen, nicht gefährdet. Dem entsprechen auch die Ergebnisse einer neueren empirischen Studie, wonach die befragten Berufsbetreuer ganz überwiegend mit ihrer allgemeinen beruflichen Situation zufrieden waren.

b) Das gesetzliche Regelungskonzept hinsichtlich der Vergütung verletzt die Bf auch nicht in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Soweit Einkommens- oder Gebührenunterschiede zwischen Vereinsbetreuern, Behördenbetreuern und selbständigen Berufsbetreuern bestehen, sind diese durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Zwischen ihnen bestehen so erhebliche Unterschiede, daß auch die Vergütung eigenständig geregelt werden darf. Das gilt umso mehr, als das Gesetz davon ausgeht, daß den Betreuungsvereinen und schließlich den Behörden jeweils die schwierigeren Betreuungen zuzuweisen sind, die von den ehrenamtlich Tätigen oder von den selbständigen Berufsbetreuern nicht mehr bewältigt werden können. Auch die unterschiedliche Vergütung eines Rechtsanwalts, je nach dem, ob er als Rechtsanwalt oder "nur" als Betreuer tätig wird, ist sachlich gerechtfertigt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, Tätigkeiten im Zweitberuf wie solche im Hauptberuf zu honorieren. Vergütungsregelungen dürfen auf die jeweils konkret erbrachte Leistung zugeschnitten sein.

2. Umsatzsteuer

Mit Erfolg rügen einige Bf einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG, soweit ihnen in den beanstandeten Gerichtsentscheidungen die Umsatzsteuer vorenthalten worden ist. Im Gegensatz zur selbständigen Berufsausübung ist die Entschädigung für Verdienstausfall, die Zeugen gebührt, nicht umsatzsteuerpflichtig. Es gibt also keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß in der Zeugenentschädigung, an die die Vergütung für Berufsbetreuer anknüpft, die Umsatzsteuer enthalten sein könne. Die Gerichte hätten deshalb bei der Festsetzung der Vergütung im Einzelfall prüfen müssen, ob die Vergütung vom Betreuer tatsächlich vollständig vereinnahmt werden kann oder sich um die Umsatzsteuer mindert. Nur so können die Gerichte vermeiden, daß der gesetzliche Mindeststundensatz nicht unterschritten oder der an sich gebotene Höchstsatz für einen umsatzsteuerpflichtigen Berufsbetreuer tatsächlich nicht erreicht wird. Diese Prüfung, die auch das Bundesministerium der Justiz für erforderlich hält und deren Notwendigkeit der Gesetzgeber inzwischen klargestellt hat, haben die Gerichte hinsichtlich einiger Bf verabsäumt und damit die angemessene Vergütung um die Umsatzsteuer verkürzt.

Karlsruhe, den 12. Januar 2000