Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung eines Schadensersatzanspruches gegen die PDS wegen politischer Verfolgung in der Deutschen Demokratischen Republik

Pressemitteilung Nr. 22/2000 vom 1. März 2000

Beschluss vom 07. Februar 2000
1 BvR 262/99

In dem Verfassungsbeschwerde (Vb)-Verfahren ging es um die Frage, ob es von Verfassungs wegen geboten ist, dem in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aus politischen Gründen verfolgten Beschwerdeführer (Bf) einen Schadensersatzanspruch gegen die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), vormals Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) bzw. gegen die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) als Treuhänderin des Altvermögens der SED zuzuerkennen.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat einstimmig beschlossen, die Vb nicht zur Entscheidung anzunehmen.

I.

Der Bf war, nachdem er sich vergeblich um eine Erlaubnis zur Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland bemüht und auch nach Ablehnung seines Antrages sein Begehren mit anderen Ausreisewilligen weiterverfolgt hatte, im Jahre 1985 verhaftet und im Jahre 1986 wegen dieser Aktivitäten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Diese Freiheitsstrafe verbüßte der Bf teilweise, bis er nach einem "Freikauf" durch die Bundesregierung im September 1986 in die Bundesrepublik Deutschland entlassen wurde. Durch Beschluss des Landgerichts Berlin wurde im Jahre 1991 die strafgerichtliche Verurteilung aufgehoben und der Bf rehabilitiert. Zugleich wurde ihm ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für die durch den Freiheitsentzug erlittenen Nachteile zuerkannt.

Die Klage des Bf auf Schadensersatz wegen Verdienstausfalls während seiner Inhaftierung, gerichtet gegen die PDS sowie gegen die BvS als Treuhänderin des Altvermögens der SED, wies das Landgericht Berlin ab. Berufung und Revision waren ebenfalls erfolglos. Der Bundesgerichtshof (BGH) verneinte in seinem mit der Vb angegriffenen Urteil eine Haftung der PDS sowie der BvS sowohl aus den Vorschriften des Deliktsrechts als auch denjenigen des Staatshaftungsrechts.

II.

Die Kammer hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Der Bf hat nicht dargetan, dass die von ihm als verletzt gerügten Grundrechte geboten hätten, seine Inhaftierung und die die damit verbundenen Folgeschäden der SED delikts- bzw. staatshaftungsrechtlich zuzuordnen. Da die ursprüngliche Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter des Bf von einem aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland Dritten ausgegangen ist, wäre eine Verletzung der Grundrechte des Bf durch das angegriffene Urteil nur dann in Betracht gekommen, wenn der BGH bei Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften die sich aus den Grundrechten ergebenden Schutzpflichten verkannt hätte. Zwar können grundsätzlich auch deliktsrechtliche Ersatzansprüche der Verwirklichung der grundrechtlich gebotenen Schutzpflichten des Staates dienen. Hier ist jedoch zu beachten, dass die Wiedergutmachung früheren, von einer anderen Staatsgewalt zu verantwortenden Unrechts ihre Wurzeln ausschließlich im Rechts- und Sozialstaatsgedanken hat, nicht aber Ausfluss einzelner Grundrechte ist. Demnach hat nicht nur der Gesetzgeber bei der Gestaltung der normativen Regeln einer solchen Wiedergutmachung allein aus dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip folgende verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten; dies gilt dann entsprechend auch für die Gerichte, wenn sie im konkreten Einzelfall über Ansprüche auf Wiedergutmachung für Unrecht, das außerhalb des Verantwortungsbereichs der Bundesrepublik Deutschland zugefügt worden ist, entscheiden.

2. Auch ein Verstoß gegen die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), der zu einer Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Bf (Art. 2 Abs. 1 GG) hätte führen können, scheidet offensichtlich aus. Der BGH hat die Grenzen einer zulässigen Normanwendung nicht überschritten. Dem Wortlaut der von ihm in Betracht gezogenen maßgeblichen delikts- und staatshaftungsrechtlichen Normen mag unmittelbar nicht zu entnehmen sein, ob die SED für das dem Bf zugefügte Unrecht nicht nur politisch, sondern auch im Sinne dieser Vorschriften rechtlich verantwortlich war, so dass im Rahmen der Normanwendung eine Bewertung der Stellung und Funktion der SED im System der DDR erforderlich war. Der BGH hat in nachvollziehbarer Weise begründet, dass er insbesondere die "Lenkungsmaßnahmen" der SED nicht als zivilrechtlich im Sinne der deliktsrechtlichen Normen der DDR ansieht, zugleich aber die Eigenschaft der SED als Staatsorgan oder staatliche Einrichtung im Sinne des Staatshaftungsgesetzes der DDR verneint.

Karlsruhe, den 1. März 2000