Bundesverfassungsgericht

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Ausschluss eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand ist mangels gesetzlicher Grundlage verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 54/2000 vom 20. April 2000

Beschluss vom 17. April 2000
1 BvR 1331/99

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Rechtsanwalts einen gerichtlichen Beschluss aufgehoben, mit dem die staatsanwaltschaftliche Entscheidung, den Beschwerdeführer (Bf) in einem Ermittlungsverfahren als Beistand eines Zeugen auszuschließen, bestätigt worden war.

Der Bf hatte in einem Strafverfahren wegen Verdachts der Beihilfe der Steuerhinterziehung die Interessen einer Bank vertreten und wollte bei der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung eines Bankmitarbeiters als dessen Beistand anwesend sein. Die Staatsanwaltschaft ließ dies nicht zu, weil in der Person des Bf ein Interessenkonflikt auftreten könne, solange dieser von seinem Mandat gegenüber der Bank nicht entpflichtet werde. Das Landgericht bestätigte diese Entscheidung.

Hiergegen erhob der Bf Vb und rügte u.a. einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat in seiner von der Kammer des Ersten Senats erbetenen Stellungnahme ausgeführt, dass er die Auffassung des Bf grundsätzlich teile. Für den Ausschluss des Zeugenbeistands in diesem Verfahrensstadium fehle es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage.

Die 2. Kammer des Ersten Senats teilt diese Auffassung. Sie hat die angegriffene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Bereits mit Beschluss vom 8. Oktober 1974 (BVerfGE 38, 105 ff.) hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass für den Ausschluss des Zeugenbeistands eine ausdrückliche formelle gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Obwohl der anwaltliche Zeugenbeistand seit 1998 in der Strafprozessordnung gesetzlich verankert ist, hat der Gesetzgeber eine solche gesetzliche Ausschlussmöglichkeit nicht geschaffen, wenn man von der eng umgrenzten Ausnahme für den Beistand des nebenklageberechtigten Verletzten absieht.

Die Kammer führt aus, dass sich für einen solchen Ausschluss keine Normen aus dem Regelungszusammenhang des Rechtsanwaltsrechts oder aus übergreifenden Prinzipien der Strafprozessordnung gewinnen lassen. Welche Vorkommnisse als Ausschlussgründe in Betracht kommen, mit welchem Grad des Verdachts ein Vorkommnis zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts feststehen muss und wem die Kompetenz zum Ausschluss als Beistand zustehen soll, ist ungeklärt. Solche Unklarheiten lassen sich weder durch Auslegung noch durch Rechtsanalogien oder Fortentwicklung des Prozessrechts beseitigen. Das gilt auch, soweit der Generalbundesanwalt eine Grundlage hierfür in der Verantwortung des vernehmenden Staatsanwalts für die Justizförmigkeit und Rechtmäßigkeit des Verfahrens für denkbar hält. Dem ist nicht beizutreten, weil auch diese Rechtsfigur an den verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen für eine Rechtsfortbildung außerhalb gesetzlich legitimierter Eingriffsbefugnisse scheitert.

Karlsruhe, den 20.04.2000