Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Vorschrift des Landesabfallgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen über Lizenzpflicht nichtig

Pressemitteilung Nr. 75/2000 vom 6. Juni 2000

Beschluss vom 29. März 2000
2 BvL 3/96

Der Zweite Senat des BVerfG hat entschieden, dass § 10 des Abfallgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesabfallgesetz) in der Fassung vom 21. Juni 1988 mit dem GG unvereinbar und nichtig war.

I.

Die Vorschrift (Wortlaut s. Anlage) regelte die Lizenzpflicht zur Behandlung und Ablagerung solcher Abfälle, die entsorgungspflichtige Körperschaften auf der Grundlage des Abfallgesetzes des Bundes (Abfallgesetz) von ihrer Entsorgung ausgeschlossen hatten. Die Lizenz durfte nur erteilt werden, wenn die mit ihr beabsichtigte Nutzung mit den abfallwirtschaftlichen Zielvorstellungen des Landes, insbesondere den Abfallentsorgungsplänen, im Einklang stand. Die Lizenz galt denjenigen Abfallentsorgern als erteilt, die bei Inkrafttreten des Landesabfallgesetzes rechtmäßig Abfälle im Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen behandelt oder abgelagert haben.

Die Vorschrift gilt nunmehr nach dem Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes des Bundes in geänderter Fassung.

Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen hatte die Vorschrift in der für seine Entscheidung maßgeblichen Fassung dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung vorgelegt. Es vertrat die Auffassung, dass das Land zur Regelung dieser Materie keine Gesetzgebungskompetenz besaß. Vielmehr unterfalle diese Materie der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG). Der Bund habe mit dem Erlass des Abfallgesetzes wirksam und erschöpfend von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht. Das Land sei deshalb von eigener Gesetzgebung ausgeschlossen.

II.

Der Zweite Senat teilt diese Auffassung.

1. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung steht die Befugnis zur Gesetzgebung den Ländern gemäß Art. 72 Abs. 1 GG zu, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Anderenfalls entfaltet das Bundesgesetz Sperrwirkung für die Länder. Diesen bleibt Raum für eine eigene Regelung nur, wenn und soweit die bundesrechtliche Regelung nicht erschöpfend ist.

Hat der Bund einen Sachbereich in Wahrnehmung einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz in diesem Sinne abschließend geregelt, so tritt die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG für eine Regelung der Länder im selben Sachbereich unabhängig davon ein, ob die landesrechtlichen Regelungen den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreiten oder sie nur ergänzen, ohne ihnen sachlich zu widersprechen.

Die Länder sind auch nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine - abschließende - Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten; das GG weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzmäßig getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers "nachzubessern".

2. Von diesem Maßstab ausgehend war die zur Prüfung vorgelegte Norm ungültig. Der Bund hatte in Ausfüllung der umfassend das Recht der Abfallwirtschaft umgreifenden Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG im Abfallgesetz von 1986 die Planung und Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, in denen Abfälle in Erfüllung der Entsorgungspflicht ausschließlich zu behandeln, zu lagern und abzulagern waren, abschließend geregelt. Damit war dem Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen eine Regelung verwehrt, die für die Behandlung und Ablagerung von ausgeschlossenen Abfällen zusätzlich die Erteilung einer Lizenz verlangt. Von der Lizenz kann deren Inhaber nur durch Benutzung einer Abfallentsorgungsanlage Gebrauch machen. Die Lizenzpflicht wirkt sich deshalb mit den in § 10 Abs. 2 Landesabfallgesetz bestimmten Voraussetzungen für die Erteilung einer Lizenz notwendig als weiteres Zulassungserfordernis aus.

Karlsruhe, den 6. Juni 2000