Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit der Nutzung eines Patents für Arzneimittel

Pressemitteilung Nr. 77/2000 vom 8. Juni 2000

Beschluss vom 10. Mai 2000
1 BvR 1864/95

In dem zugrundeliegenden Zivilverfahren ging es um die Frage, ob ein patentgeschützter Arzneimittelstoff durch Dritte für klinische Versuche genutzt werden darf. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte letztinstanzlich den Nutzern dieses Recht zugestanden. Eine gegen dieses Urteil von der Beschwerdeführerin (Bf) erhobene Verfassungsbeschwerde (Vb) hat die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

Die Bf ist für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausschließliche Lizenznehmerin des europäischen Patents für einen Wirkstoff mit Human-Immuninterferon-Eigenschaften.

Die Beklagten des zivilrechtlichen Ausgangsverfahrens betrieben mit diesem Wirkstoff klinische Versuche, um weitere für möglich gehaltene Indikationen herauszufinden. Die Bf wollte u.a. diese Nutzung verhindern, unterlag jedoch mit ihrer Klage in letzter Instanz beim BGH. Dieser vertritt die Ansicht, dass eine rechtmäßige Handlung zu Versuchszwecken im Sinne des § 11 Nr. 2 Patentgesetz vorliegen könne, wenn ein patentierter Arzneimittelstoff bei klinischen Versuchen mit dem Ziel eingesetzt werde, zu erfahren, ob und ggfs. in welcher Form er geeignet sei, bestimmte weitere Krankheiten bei Menschen zu heilen oder zu lindern.

§ 11 Nr. 2 Patentgesetz lautet:

"Die Wirkung des Patents erstreckt sich nicht auf Handlungen zu Versuchszwecken, die sich auf den Gegenstand der patentierten Erfindung beziehen."

Gegen dieses Urteil erhob die Bf Vb und rügte eine Verletzung ihres Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG).

II.

Die Vb ist im Ergebnis ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Urteil des BGH verstößt nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Das Versuchsprivileg des § 11 Nr. 2 Patentgesetz stellt eine verfassungsgemäße Bestimmung des Inhalts des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ("Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.") dar. Forschung und Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik sind nur mittels Versuchen möglich, die jeweils auf den neuesten Forschungsergebnissen aufbauen. Von Verfassungs wegen ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Interessen des Patentinhabers hinter diesen Belangen insoweit zurücktreten lässt. Der BGH hat bei seiner Entscheidung den verfassungsrechtlichen Schutz des Patentrechts als Eigentum berücksichtigt und ist auch bei der Abwägung der widerstreitenden Belange der Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht geworden.

Er hat in diesem Zusammenhang in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass ein uneingeschränkter Schutz des Patents mit Rücksicht auf die Grundsätze der Freiheit der Forschung und die Sozialbindung des Eigentums dort nicht gerechtfertigt sei, wo die Weiterentwicklung der Technik gehindert werde. Dem Zweck des Patentrechts, den technischen Fortschritt zu fördern und den Erfindergeist für das Gewerbe in nutzbringender Weise anzuregen, liefe es zuwider, wenn Versuchshandlungen ausgeschlossen würden, die der Forschung und Fortentwicklung der Technik dienten.

Der BGH hat auch erkannt, dass der Patentinhaber in der ausschließlichen Nutzung seines Patents empfindlich beeinträchtigt werden kann, vor allem dann, wenn Dritte aufgrund der gefundenen Versuchsergebnisse Verwendungspatente anstreben und erzielen. Dies müsse der Patentinhaber jedoch hinnehmen, da er nur für den Beitrag belohnt werden soll, den er zur Bereicherung der Technik durch die Bereitstellung dieses Erzeugnisses beigetragen habe. Es sei nicht geboten, ihm allein den vollen Lohn auch für solche Verwendungsarten seines Erzeugnisses zuzuweisen, zu deren Auffindung es erst noch der erfinderischen Tätigkeit eines Dritten bedürfe.

Es ist mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG allerdings nur vereinbar, dem Patentinhaber solche Einbußen zuzumuten, die durch Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind. Unverhältnismäßige und mit der Eigentumsgarantie nicht vereinbare Einbußen wären dann zu erwarten, wenn unter missbräuchlicher Ausnutzung des Versuchsprivilegs die tatsächliche Verwertung des Wirkstoffs betrieben würde. Im Ausgangsverfahren bestand für den BGH kein Anlass, den Ausschluss derartiger Missbrauchsfälle vom Versuchsprivileg zu erörtern.

Vergleichsweise noch gewichtiger für den Patentinhaber sind die Rechtsfolgen, die sich nach erfolgreichem Abschluss der Versuche ggfs. aus der Erteilung von Verwendungspatenten an Dritte und deren wirtschaftlicher Verwertung ergeben. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Inhaber des jüngeren Verwendungspatents dieses ohne Zustimmung des Inhabers des Erzeugnispatents nicht verwerten kann. Der Inhaber des Erzeugnispatents partizipiert, da er für seine Zustimmung ein entsprechendes Entgelt erhalten wird, somit an dem wirtschaftlichen Wert des Verwendungspatents. Damit erhält er zugleich einen finanziellen Ausgleich dafür, dass er die Versuchshandlungen, die auf Erlangung des Verwendungspatents zielten, dulden musste. Insoweit bleibt der wirtschaftliche Wert des Erzeugnispatents seinem Inhaber wie grundsätzlich von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gefordert zugeordnet.

Die Freistellung klinischer Versuche führt auch nicht zu einer mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mehr zu vereinbarenden Verkürzung der Patentschutzzeit. Zwar werden möglicherweise Konkurrenten des Stoffpatentinhabers, die während der Patentschutzzeit unter Ausnutzung des Versuchsprivilegs klinische Versuche betreiben, nach Ablauf der Patentschutzzeit früher konkurrierende Produkte anbieten können, als ihnen dies möglich wäre, wenn sie erst nach Ablauf des Patentschutzes die notwendigen Versuche unternehmen dürften. Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgt jedoch keinesfalls, dass der Patentinhaber auch nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Patentschutzzeit vor Konkurrenz geschützt werden müsste. Bei der so genannten faktischen Entwicklungssperre im Anschluss an die Patentschutzzeit handelt es sich lediglich um eine bloße Erwartung des Patentinhabers, dass er möglichst lange von Konkurrenz verschont bleiben möge.

Karlsruhe, den 8. Juni 2000