Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerden gegen EALG erfolglos/Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2000

Pressemitteilung Nr. 149/2000 vom 22. November 2000

Urteil vom 22. November 2000
1 BvR 2307/94

Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Erste Senat des BVerfG über mehrere Verfassungsbeschwerden (Vb) gegen das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) entschieden. Eine Übersicht über die einzelnen angegriffenen Bestimmungen dieses Gesetzes und die wesentlichen Einwände der Beschwerdeführer (Bf) findet sich in der Pressemitteilung Nr. 39/2000 vom 28. März 2000, die auf Anfrage gern übersandt wird.

Im Verfahren 1 BvR 2471/95 hat das Gericht die Vb wegen Nichteinhaltung der Jahresfrist zur Einlegung der Vb verworfen. Die übrigen Vb hat es zurückgewiesen. Die Begründung des Ersten Senats lässt sich zu den wesentlichen Punkten der Entscheidung wie folgt zusammenfassen:

1. Hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabes ist zunächst festzustellen, dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG für die Überprüfung der Wiedergutmachung des Unrechts eines anderen Staates nicht heranzuziehen ist. Durch die Regelungen des EALG ist den Betroffenen auch keine vermögenswerte Rechtsposition verkürzt worden, die bis zum In-Kraft-Treten dieses Gesetzes entstanden sein könnte. Weder die Gemeinsame Erklärung noch die Ursprungsfassung des § 9 VermG hat konkrete Ansprüche der von der sowjetischen Besatzungsmacht und der Deutschen Demokratischen Republik Enteigneten begründet, die den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG genießen könnten.

Die Vorschriften des EALG sind auf ihre Verfassungsmäßigkeit deshalb nur anhand des Sozialstaats- und des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und 3 GG sowie anhand des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG zu überprüfen.

Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass die staatliche Gemeinschaft in der Regel Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einzelne Bürger oder bestimmte Gruppen von ihnen getroffen haben. Daraus folgt jedoch keine automatische Abwälzung solcher Lasten auf den Staat mit der Wirkung, dass dieser den Betroffenen unmittelbar zum vollen Ausgleich verpflichtet wäre; es besteht vielmehr lediglich die Pflicht zu einer Lastenverteilung nach Maßgabe einer gesetzlichen Regelung. Erst diese kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen. Bei der Ausgestaltung eines solchen Ausgleichs hat der Gesetzgeber einen besonders weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum sowohl für die Art der Wiedergutmachung als auch für deren Umfang. Der Gesetzgeber darf den Schadensausgleich nach Maßgabe dessen bestimmen, was unter Berücksichtigung der übrigen Lasten und der finanziellen Bedürfnisse für bevorstehende Aufgaben möglich ist. Auch müssen fundamentale Elemente des Rechtsstaats und die Rechtsstaatlichkeit im Ganzen, insbesondere die Idee der materiellen Gerechtigkeit, gewahrt bleiben. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG - hier in seiner Bedeutung als Willkürverbot - ist ebenfalls zu beachten. Danach ist dem Gesetzgeber die willkürlich ungleiche Behandlung von Sachverhalten, die in wesentlichen Punkten gleich sind, untersagt. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, dass ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, unterliegt regelmäßig seiner Entscheidung. Der Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo mit anderen Worten ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt.

2. Für die einzelnen Regelungskomplexe ergibt sich daraus:

a) Entschädigungsgesetz (EntschG)

aa) § 1 EntschG (der den Anspruch auf Entschädigung durch Zuteilung zeitlich gestaffelter Schuldverschreibungen vorsieht) und § 3 Abs. 1 EntschG (Regelung der Bemessungsgrundlage durch ein gestaffeltes Vielfaches des letzten vor der Schädigung festgestellten Einheitswerts) sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies stellt der Erste Senat einstimmig fest. Sie verstoßen nicht gegen das Rechts- oder das Sozialstaatsprinzip. Ein voller Ausgleich der erlittenen Schäden ist insoweit nicht geboten; die auf der Grundlage dieser Normen errechnete Entschädigung ist aber auch nicht so niedrig, dass dies mit dem Sozial- und dem Rechtsstaatsgrundsatz unvereinbar wäre.

Auch Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausgestaltung als Willkürverbot ist nicht verletzt. Es gibt hinreichende sachliche Gründe dafür, die Entschädigungsberechtigten anders zu behandeln als die Restitutionsberechtigten, wie dies insbesondere durch die Bemessungsgrundlage des § 3 Abs. 1 EntschG anstelle der Zugrundelegung des aktuellen Verkehrswerts geschieht: Die Rückgabe dient, wo sie möglich ist, auch dem Ziel, vernünftige, dezentrale, privatnützige Eigentumsstrukturen in den neuen Ländern wieder aufzubauen. Wo nur Entschädigung in Betracht kommt, kann bei deren Bemessung auf die finanziellen Möglichkeiten des Staates insbesondere in Anbetracht der sonstigen Aufbauleistungen Rücksicht genommen werden. Schließlich folgt bereits aus der Dynamik des Einigungsprozesses, dass eine Gleichbehandlung von Restitutionsberechtigten und Entschädigungsberechtigten nicht erforderlich ist. Bei der Abgabe der Gemeinsamen Erklärung 1990 herrschte allgemein die Erwartung, die Deutsche Demokratische Republik werde noch längere Zeit als eigenständiger Staat bestehen. Für diesen Fall wurde eine langsamere Entwicklung des Immobilienmarkts erwartet; Rückübertragung und Entschädigung hätten sich dann wertmäßig auf niedrigerem Niveau entsprochen. Diese Einschätzung wurde von der Realität überholt mit der Folge eines starken Ansteigens der Immobilienpreise in den neuen Ländern. Unter diesen Umständen erschienen Verkehrswertentschädigungen nicht finanzierbar. Der Bundeshaushalt wäre hierdurch überfordert gewesen, andere Aufbauprogramme hätten zurückstehen müssen. Auch deshalb ist eine unterschiedliche Behandlung von Restitutions- und Entschädigungsberechtigten hinnehmbar. Schließlich weist das Gericht darauf hin, dass auch Restitutionsberechtigten oft nicht der Verkehrswert zur Verfügung steht. Dieser kann durch den jeweiligen Zustand des Grundstücks gemindert sein; auch müssen Restitutionsberechtigte, deren Vermögensgegenstand dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz unterliegt, beträchtliche Werteinbußen hinnehmen.

Die Erfüllung der Entschädigungsansprüche durch Zuteilung zeitlich gestaffelter Schuldverschreibungen ab dem Jahr 2004 führt zwar zu einem Hinausschieben der Wiedergutmachung; dies ist als angemessener Kompromiss zwischen den Interessen des Staates und denen der Wiedergutmachungsberechtigten aber hinnehmbar. Die Schuldverschreibungen sind vererblich und handelbar, so dass die mit der Regelung verbundenen Nachteile den Betroffenen zuzumuten sind. Die Bemessungsgrundlage nach § 3 Abs. 1 EntschG ist - sowohl hinsichtlich der Differenzierung nach Grundstücksarten als auch hinsichtlich der Anknüpfung an den fiktiven Verkehrswert am 3. Oktober 1990, der durch die letzte Einheitswertfeststellung und den differenzierten Multiplikator erreicht werden soll - ebenfalls durch sachliche Erwägungen des Gesetzgebers gedeckt und deshalb nicht willkürlich festgelegt.

bb) Bezüglich der degressiven Kürzung der Entschädigungssumme nach § 7 Abs. 1 EntschG kann ein Verstoß gegen das Willkürverbot wegen Stimmengleichheit im Senat nicht festgestellt werden. Nach dieser Vorschrift werden die Entschädigungsansprüche mit steigender Höhe zunehmend gekürzt. Dies beginnt mit einer Minderung um 30% bei Entschädigungsansprüchen von 10.000 bis 20.000 DM, geht über eine Kürzung von 80% bei Beträgen zwischen 100.000 und 500.000 DM und erreicht die Kürzungshöhe von 95% bei Beträgen von mehr als drei Millionen DM.

(1) Nach Auffassung der Richterinnen und Richter Kühling, Jaeger, Hohmann-Dennhardt und Hoffmann-Riem verstößt diese Regelung nicht gegen das Willkürverbot. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, sich bei der Höhe der Entschädigung am Verkehrswert des verlorenen Vermögens zu orientieren. Er konnte auch andere Faktoren berücksichtigen, z.B. das Verhältnis dieser Vermögensentschädigung zu anderen Entschädigungen und Wiedergutmachungsleistungen. Insbesondere musste er bei der Regelung der Entschädigungsansprüche die Restitutionsberechtigten nicht als die allein maßgebliche Vergleichsgruppe zu den Entschädigungsberechtigten ansehen. Auch andere an Freiheit, Gesundheit oder Vermögen geschädigte Personen durfte der Gesetzgeber in sein Wiedergutmachungskonzept einbeziehen.

Gleichermaßen durfte der Gesetzgeber die für notwendig erachteten weiteren Aufbauarbeiten der deutschen Einigung bei der Verteilung der finanziellen Ressourcen berücksichtigen. Der Finanzierungsvorrang für Gemeinwohlaufgaben wie dem Aufbau einer öffentlichen Infrastruktur auf dem Verkehrs-, Informations- oder Bildungssektor und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entspricht gemeinwohlorientierten und sozialstaatlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Um dieser Ziele willen durfte der Gesetzgeber die Summe der den Entschädigungsberechtigten zufließenden Haushaltsmittel auf ein finanzierbares Maß zurückführen. Der Gesetzgeber war an dieser Entscheidung nicht dadurch gehindert, dass er ursprünglich selbst eine geringere Wertdifferenz angestrebt hat. Das zunächst verfolgte Konzept, die Entschädigung durch eine Vermögensabgabe der Restitutionsberechtigten zu finanzieren, ist während des Gesetzgebungsverfahrens unter anderem wegen rechtlicher Bedenken fallen gelassen worden. Es würde zu einer unerträglichen Einschränkung des staatlichen Spielraums führen, wenn der Gesetzgeber gehindert wäre, von einem sich als Fehleinschätzung herausstellenden Plan abzuweichen. Aufgrund der Endlichkeit der insgesamt zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel hätte das Festhalten des Gesetzgebers an dem ursprünglich verfolgten Konzept dazu geführt, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse in den neuen und alten Ländern zugunsten einer Privilegierung der Entschädigungsberechtigten hinausgezögert worden wäre.

Im Übrigen entspricht es gewichtigen Gerechtigkeitsvorstellungen, die Höhe der finanziellen Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz auch an der Entschädigung für anderes erlittenes Unrecht zu messen. Hierzu gehören nicht nur die nach DDR-Recht rechtmäßig erfolgten Enteignungen, sondern auch Einbußen an Freiheit, Gesundheit oder Chancen des beruflichen Fortkommens. Auch diese Rechtsgüter werden von der Verfassung geschützt, die finanzielle Entschädigung hält sich jedoch in vergleichsweise engen Grenzen. Schließlich sind nahezu allen Bewohnern der Deutschen Demokratischen Republik erhebliche vermögensrechtlich relevante Benachteiligungen gegenüber den Bewohnern der alten Bundesrepublik dadurch erwachsen, dass sie im planwirtschaftlichen System und angesichts der konkreten Verhältnisse in ihrem gesamten Arbeitsleben privates Vermögen in nennenswertem Umfang nicht erwirtschaften konnten. Solche Benachteiligungen können ihrer Art nach nicht entschädigt werden. Ihnen kann nur mittels staatlich finanzierter Aufbauleistungen begegnet werden, durch die auf gleichwertige Lebensbedingungen und -chancen im gesamten Bundesgebiet hingewirkt wird. Angesichts der damit in der Folge der deutschen Wiedervereinigung aufgetretenen Ausgleichs- und Verteilungsprobleme kann eine Zurückführung von Entschädigungen für Eigentumsverluste auf das in § 7 EntschG vorgesehene Maß nicht als willkürlich angesehen werden.

Die Degression der Entschädigungsleistung findet ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung schließlich im Sozialstaatsgebot. Der Gesetzgeber hat sich wie beim Lastenausgleichsrecht davon leiten lassen, dass weniger Wohlhabende zwar zwangsläufig einen niedrigeren Vermögensverlust erleiden als vermögende Personen, hiervon aber stärker betroffen sind und deshalb einer größeren Solidarität der staatlichen Gemeinschaft bedürfen.

(2) Nach Auffassung des Vizepräsidenten Papier, der Richterin Haas und der Richter Hömig und Steiner wird die Regelung des § 7 Abs. 1 EntschG den Anforderungen des Willkürverbots hingegen nicht in jeder Hinsicht gerecht. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, dass Restitution und Entschädigung sich wertmäßig voll entsprechen. Verfassungsrechtlich unabdingbar ist jedoch, dass die Entschädigung noch einen realen Bezug zum tatsächlichen Wert des entzogenen und nicht mehr rückgebbaren Vermögensgegenstandes hat. Restitution und Entschädigung sollen das gleiche Unrecht tilgen. Die ihnen zugrunde liegenden Vermögensschäden gehören dem gleichen Lebensbereich an. Sie sind deshalb im Grunde gleich zu behandeln. Dies setzt nicht nur voraus, dass die Entschädigung am Verkehrswert der nicht mehr restituierbaren Vermögensobjekte ausgerichtet wird, wie dies mit Blick auf den Stichtag des 3. Oktober 1990 in § 3 Abs. 1 EntschG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geschehen ist. Erforderlich ist vielmehr auch, dass zwischen Entschädigung und diesem Verkehrswert in der Masse der typischen Wiedergutmachungsfälle tatsächlich noch ein erkennbarer wertmäßiger Zusammenhang besteht. Hieran fehlt es, wenn die Entschädigung in diesen Fällen weniger als 50% des vom Gesetzgeber gewählten Verkehrswerts beträgt. Eine Kürzung bis 50% im Bereich der typischen Schadensfälle kann dagegen als sachlich noch vertretbar und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen werden. Sie trägt all den Gesichtspunkten noch ausreichend Rechnung, die allgemein ein wertmäßiges Zurückbleiben der Geldwertentschädigung nach dem EntschG hinter der Wiedergutmachung durch Rückgabe in Natur tragen. Dass diese Entschädigungshöhe nur in der Masse der leichteren bis mittleren Schadensfälle zu berücksichtigen ist, findet seine Rechtfertigung in sozialen Erwägungen, nämlich in der höheren Schutzwürdigkeit der weniger vermögenden Personen.

Danach sind die Degressionsstufen des § 7 EntschG nicht zu beanstanden, soweit sie sich auf Entschädigungsansprüche bis rund 90.000 DM beziehen. Im unteren Bereich dieses Rahmens wird der halbe Verkehrswert nach dem Stand von Oktober 1990 durch die Entschädigung zum Teil erheblich überschritten, bis rund 90.000 DM ist die Entschädigung auch überwiegend höher als der halbe Verkehrswert am 3. Oktober 1990.

Gleichermaßen ist die Degression für Ansprüche von mehr als 500.000 DM aus den dargelegten sozialen Gründen nicht zu beanstanden. Im Bereich der Entschädigungsansprüche zwischen 90.000 DM und 500.000 DM fehlt es dagegen an sachlich einleuchtenden Gründen, die den mit der Degression verbundenen tiefen Einschnitt in die Wiedergutmachung der Betroffenen legitimieren könnten. In diese Spanne dürften vor allem Vermögenswerte fallen, die wie Ein- und Zweifamilienhäuser oder auch kleinere Mietshäuser den in der großen Masse typischen Wiedergutmachungsfall bilden, in dem es aus Gründen der sozialen Solidarität auch verfassungsrechtlich geboten ist, den eingetretenen Verlust durch eine noch fühlbare Entschädigungsleistung auszugleichen. Die Hälfte der für den 3. Oktober 1990 angenommenen Verkehrswerte darf deshalb hier nicht unterschritten werden. Geschieht dies doch, verfehlt die Entschädigungsregelung das Ziel einer sozial ausgewogenen Wiedergutmachung und ist mit dem Gerechtigkeitsgedanken nicht mehr vereinbar.

Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass die Fälle im Bereich von 90.000 DM bis einschließlich 500.000 DM besonders zahlreich sein werden und deshalb bei Erlass einer verfassungskonformen Neuregelung in finanzieller Hinsicht nicht unerheblich ins Gewicht fallen dürften.

Zwar können auch finanzielle Erwägungen sachgerecht und geeignet sein, den Vorwurf der Willkür zu entkräften. Doch gilt dies nicht ausnahmslos, ja nicht einmal als Regel und trifft jedenfalls bei einer Ungleichbehandlung in dem hier gegebenen Ausmaß nicht zu. Abgesehen davon ist der Gesetzgeber nicht gezwungen, die Wiedergutmachungsleistungen betragsmäßig zu erhöhen. Er kann vielmehr stattdessen, soweit die dafür benötigten Objekte zur Verfügung stehen, für die Betroffenen auch die Möglichkeit schaffen, Grundstückseigentum zu bevorzugten Bedingungen zu erwerben.

b) Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG)

Zum AusglLeistG hat der Erste Senat festgestellt, dass der Gesetzgeber aufgrund des Sozialstaatsprinzips legitimiert war, die Gewährung von Ausgleichsleistungen auf natürliche Personen zu beschränken, juristische Personen also auszuschließen. Eine Gleichbehandlung mit Berechtigten nach dem Entschädigungsgesetz (das Entschädigungsleistungen auch für juristische Personen vorsieht) ist nicht geboten, weil das Entschädigungsgesetz die Fälle betrifft, in denen grundsätzlich ein Anspruch auf Rückübertragung des Vermögenswertes in Natur besteht, im Einzelfall aber eine Rückgabe nicht möglich oder nicht gewollt ist. An einer entsprechenden Ausgangslage fehlt es im Anwendungsbereich des AusglLeistG von vornherein, weil die Rückgängigmachung von Enteignungen, die in der Zeit von 1945 bis 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage vorgenommen worden sind, grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Das BVerfG legt dar, warum die verschiedene Behandlung von Berechtigten nach dem AusglLeistG gegenüber anderen Personengruppen im Einzelnen wegen unterschiedlicher Ausgangssachverhalte gerechtfertigt ist.

Zur Höhe der Wiedergutmachung, die bei Ansprüchen nach dem AusglLeistG in entsprechender Anwendung des EntschG festgesetzt wird, stellt das Gericht fest, dass es verfassungsrechtlich keinen Bedenken begegnet, Art und Höhe der Entschädigungs- und der Ausgleichsleistungen nach den gleichen Grundsätzen zu regeln. Es verstößt nach der Auffassung von sieben Richtern auch nicht gegen das Willkürverbot, die auf einem Grundstück liegenden Belastungen bei der Wertberechnung für die Wiedergutmachung voll anzurechnen. Demgegenüber ist der von Restitutionsberechtigten zu zahlende Ablösebetrag für Belastungen im Verhältnis zwei zu eins in DM umgerechnet worden. Hier liegt jedoch ein rechtfertigender Unterschied darin, dass die Restitutionsberechtigten diese Summe tatsächlich aufbringen müssen, während sie bei den Ausgleichsleistungsberechtigten nur als Rechengröße zur Bestimmung des tatsächlichen Verlustes zugrunde gelegt werden.

Auch die Anrechnung von Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) auf die Entschädigungssumme verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie folgt den gleichen Grundsätzen wie die Rückforderung der Hauptentschädigung von Restitutionsberechtigten. Die Einbeziehung des Zinszuschlages für verzögert gezahlte Hauptentschädigung ist nach der Ansicht von sechs Richtern ebenfalls nicht willkürlich, da es sich hierbei um einen Annex zum Anspruch auf die Hauptentschädigung handelt. Der Zinszuschlag teilt im Fall des nachträglichen Schadensausgleichs durch Rückübertragung oder anderweitige Wiedergutmachung also das rechtliche Schicksal des Endgrundbetrags der Hauptentschädigung. Der Abzug dieses Zuschlags ist im Übrigen auch deswegen sachlich gerechtfertigt, weil ohne ihn die Unterschiede zwischen denen, die nach dem LAG anspruchsberechtigt waren, und den Bewohnern der Deutschen Demokratischen Republik, die Lastenausgleich nicht beanspruchen konnten, noch größer geworden wären.

Nach den weiteren Ausführungen des Gerichts verstößt auch das so genannte Flächenerwerbsprogramm weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen das Willkürverbot. Mit diesem Programm verfolgt der Gesetzgeber zwei unterschiedliche Ziele. Zum einen soll denen, denen 1945 bis 1949 und in der Deutschen Demokratischen Republik land- und forstwirtschaftliches Vermögen rechtsstaatswidrig entzogen wurde, die Wiedereinrichtung ihres land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes zu bevorzugten Bedingungen ermöglicht werden. Zum anderen stellt das Flächenerwerbsprogramm ein eigenständiges Förderprogramm zugunsten der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Ländern dar, mit dem die Eigentumsbildung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe erleichtert werden soll. Beide Ziele konnte der Gesetzgeber legitimerweise verfolgen. Die durch das Flächenerwerbsprogramm begünstigten Alteigentümer haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen Wiedergutmachung in der Form des subventionierten Rückerwerbs land- und forstwirtschaftlicher Flächen unter Ausschluss anderer gewährt wird. Auch im Übrigen stehen die angegriffenen Regelungen des Flächenerwerbsprogramms mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, wie das Gericht im Einzelnen ausführt.

Gleiches gilt nach der Auffassung von sechs Richtern für die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG, nach der zur Ausstellung für die Öffentlichkeit bestimmte Kulturgüter auch nach ihrer Rückübertragung an den ursprünglichen Eigentümer für die Dauer von 20 Jahren ostdeutschen Museen unentgeltlich zur Nutzung durch die Öffentlichkeit überlassen bleiben müssen. Auch die in § 5 Abs. 2 Satz AusglLeistG vorgesehene Verlängerung dieser Nutzung über die Frist von 20 Jahren hinaus unter der Voraussetzung, dass nunmehr ein angemessenes Entgelt zu entrichten ist, hält das Gericht für verfassungsrechtlich unbedenklich. Es interpretiert diese Regelung allerdings verfassungskonform dahin, dass die Verlängerung nicht gegen den Willen des Eigentümers verlangt werden kann.

c) NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG)

Auch die Angriffe gegen das NS-VEntschG hat der Erste Senat zurückgewiesen. Sie richteten sich namentlich gegen § 2 Satz 2 NS-VEntschG, wonach sich die Höhe der Entschädigung für Grundstücke nach dem Vierfachen des vor der Schädigung zuletzt festgestellten Einheitswerts bemisst. Diese Vorschrift greift nicht in vermögenswerte Rechtspositionen ein, die den Anspruchberechtigten vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zugestanden hätten, Art. 14 Abs. 1 GG ist daher nicht betroffen.

§ 2 Satz 2 NS-VEntschG steht auch mit dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang. Ziel des NS-VEntschG ist es, die Anspruchsberechtigten so zu stellen, als hätten sie im Beitrittsgebiet Wiedergutmachung wie im Westen erhalten, mithin nach dem Wiederbeschaffungswert des entzogenen Objekts am 1. April 1956. Dies wird durch die Verdoppelung des maßgebenden Einheitswerts erreicht. Die weitere Verdoppelung auf das Vierfache trägt dem Verzinsungsaspekt Rechnung.

Diese Bemessungsregelung ist unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Zwar führt sie wegen des einheitlichen Multiplikators vier dazu, dass etwa unbebaute Grundstücke erheblich niedriger bewertet werden als nach den Regelungen des EntschG. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass Entschädigungen nach dem NS-VEntschG wertmäßig hinter dem aktuellen Verkehrswert restituierbarer Vermögensobjekte zurückbleiben. Beides ist jedoch durch sachliche Gründe hinreichend gerechtfertigt. Gegenüber den nach dem EntschG und dem AusglLeist Berechtigten werden die hier Betroffenen insbesondere dadurch erheblich besser behandelt, dass ihre Ansprüche nicht einer degressiven Kürzung unterliegen. Auch in der Anrechnung einzelner Altverbindlichkeiten gilt eine für die Anspruchsberechtigten günstigere Gestaltung. Im Endeffekt werden die zu zahlenden Entschädigungen nach dem NS-VEntschG in den meisten Fällen wesentlich höher sein als die Entschädigungen nach dem EntschG und die Ausgleichsleistungen nach dem AusglLeistG. Wird im Einzelfall dennoch der aktuelle Verkehrswert des nicht rückgebbaren Vermögensgegenstands nicht erreicht, ist auch dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wie sich aus den Ausführungen zu § 7 EntschG ergibt, ist eine volle Entschädigung verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Die nach Auffassung eines Teils der Richter gebotene Grenze von mindestens 50% des Verkehrswerts nach dem Stand vom Oktober 1990 wird in den nach dem NS-VEntschG zu regelnden Fällen jedoch regelmäßig erreicht.

Karlsruhe, den 22. November 2000