Bundesverfassungsgericht

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Zur Reisekostenerstattung für Pflichtverteidiger

Pressemitteilung Nr. 160/2000 vom 21. Dezember 2000

Beschluss vom 24. November 2000
2 BvR 813/99

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat festgestellt, dass einem Pflichtverteidiger Reisekosten zur Hauptverhandlung und deren Vorbereitung im erforderlichen Umfang zu erstatten sind, auch wenn er vorher Wahlverteidiger war.

Der Verfassungsbeschwerde liegt ein Verfahren zugrunde, in dem der Beschwerdeführer (Bf), ein Rechtsanwalt aus Hamburg, einen in Hamburg inhaftierten Untersuchungshäftling vertrat. Die zuständige Strafkammer des Landgerichts bestellte den Bf auf seinen Antrag zum Verteidiger. Nach Anklageerhebung wurde der Mandant nach Hanau verlegt. Der Vorsitzende der Strafkammer genehmigte eine Informationsreise des Bf zu seinem Mandanten und verfügte, dass die Kosten dafür aus der Staatskasse vorzulegen seien. Die Hauptverhandlung fand an zwei Verhandlungstagen in Hanau statt. Der Bf reiste dazu jeweils aus Hamburg an.

Nach Abschluss des Verfahrens verweigerte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts Hanau die Festsetzung der Erstattung der Reisekosten und der Zahlung von Abwesenheitsgeld an den Bf. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts (OLG) seien die Reisekosten eines auswärtigen Pflichtverteidigers, der zuvor Wahlverteidiger gewesen sei, nicht erstattungsfähig. Rechtsmittel und Beschwerde des Bf blieben erfolglos.

Auf die Vb hat die 3. Kammer des Zweiten Senats die ablehnenden Beschlüsse des Landgerichts Hanau und des OLG Frankfurt am Main aufgehoben und die Sache an das OLG Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus:

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Bf in seiner Berufsausübungsfreiheit.

Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sie erfolgt im öffentlichen Interesse daran, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen die Verteidigung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens notwendig ist, rechtskundigen Beistand erhält. Aus der Bestellung zum Pflichtverteidiger folgen für den Rechtsanwalt teilweise weiter gehende Verpflichtungen im Verhältnis zum Wahlverteidiger, insbesondere hat er an der Hauptverhandlung ununterbrochen selbst teilzunehmen. Nach § 97 BRAGO hat der Pflichtverteidiger Anspruch auf eine Vergütung für seine Tätigkeit und Ersatz seiner Auslagen. Die im Prozesskostenhilfeverfahren vorgesehene Ausnahme für Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat, gilt für Pflichtverteidiger nach § 97 BRAO nicht. Ein anderer gesetzlicher Grund für die Versagung notwendiger Auslagen findet sich nicht und kommt auch bei Gesamtbetrachtung der Vergütungsregelungen nicht in Betracht, da der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers bereits erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt. Letzteres ist zwar durch das öffentliche Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos gerechtfertigt. Dies gilt jedoch nur, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die Gebühren für die Verteidigertätigkeit vollständig aufgezehrt werden, weil die Kosten für die zur sachgerechten Verteidigung notwendigen Reisen nicht erstattet werden. Hätten die angegriffenen Beschlüsse Bestand, müsste der Bf durch seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger im konkreten Fall wirtschaftliche Verluste erleiden. Dadurch wird die Grenze des Zumutbaren überschritten. Ein solches Ergebnis wäre auch mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbaren. Die Frage, ob die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger erforderlich ist, wird bereits bei seiner Auswahl geprüft. Daher sind dann, wenn das Gericht die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger beschließt, grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten erstattungsfähig, die dadurch entstehen, dass er seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat.

Karlsruhe, den 21. Dezember 2000