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Zu den Pflichten des Bundesbeauftragten im Asylverfahren

Pressemitteilung Nr. 3/2001 vom 5. Januar 2001

Beschluss vom 19. Dezember 2000
2 BvR 143/98

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Chemnitz wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Asylverfahren aufgehoben.

1. Die Beschwerdeführer (Bf), ein Ehepaar türkischer Staats- und kurdischer Volkszugehörigkeit, beantragten 1994 politisches Asyl. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) die Asylanträge ab, stellte jedoch Abschiebungshindernisse nach §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG fest. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Bescheid wurde dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) ausweislich eines Vermerks in den Behördenakten am 14. Dezember 1994 "formlos zugeleitet". Die Bf erhoben Klage auf Anerkennung als Asylberechtigte beim VG Chemnitz; das Gericht übersandte die Klageschrift dem Bundesbeauftragten mit Schreiben vom 30. Dezember 1994. Am 21. Dezember 1995 wurde der Bescheid vom 12. Dezember 1994 dem Bundesbeauftragten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Daraufhin erhob der Bundesbeauftragte am 29. Dezember 1995 Klage gegen die Feststellung der Abschiebungshindernisse. Er habe erstmals am 21. Dezember 1995 von der Entscheidung des Bundesamtes Kenntnis erhalten.

Mit Schriftsatz vom 16. September 1996 wiesen die Bf darauf hin, der Bundesbeauftragte habe bereits durch die formlose Zuleitung des Bescheides am 14. Dezember 1994 von der Feststellung der Abschiebungshindernisse Kenntnis erlangt und deshalb sein Klagerecht verwirkt. In einem Schriftsatz vom 28. Februar 1997 trugen sie zur Sache weiter vor. Keiner dieser beiden Schriftsätze befindet sich in den vom BVerfG beigezogenen Gerichtsakten des VG.

Mit Urteil vom 3. März 1997 hob das VG Chemnitz auf die Klage des Bundesbeauftragten die Feststellung der Abschiebungshindernisse auf. Der Bundesbeauftragte habe sein Klagerecht nicht verwirkt. Zum Zeitpunkt seiner Klageerhebung sei die für eine Verwirkung zu Grunde zu legende Frist von mindestens einem Jahr noch nicht abgelaufen gewesen, da der Bundesbeauftragte frühestens mit dem gerichtlichen Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 Kenntnis von dem ergangenen Bescheid erhalten habe. Die Klage sei auch begründet.

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) lehnte den Antrag der Bf auf Zulassung der Berufung ab; eine Versagung rechtlichen Gehörs liege nicht vor.

2. Im Vb-Verfahren hat der Bundesbeauftragte ausgeführt: Selbst wenn ihm der Bescheid des Bundesamtes im Dezember 1994 zugegangen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er damit auch Kenntnis von seinem Inhalt erlangt habe. Üblicherweise würden Bescheide des Bundesamtes, die einen Asylanspruch oder das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 51, 53 AuslG bejahten, dem Bundesbeauftragten förmlich zugestellt. Dies diene der verlässlichen Fristenberechnung und führe dazu, dass er leicht erkennen könne, dass es sich hier um eine Entscheidung handele, die möglicherweise sein Tätigwerden erforderlich mache. Ablehnende Bundesamtsbescheide würden ihm hingegen formlos übersandt; eine Überprüfung erfolge hier nur bei Hinzutreten besonderer Umstände. Sei ihm der Bescheid des Bundesamtes im Dezember 1994 formlos übersandt worden, so habe keine Veranlassung bestanden, seinen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Entsprechendes gelte für die Übersendung der Klageschrift. Dem Bundesbeauftragten sei es schon im Hinblick auf seine personelle Ausstattung nicht möglich, von den oftmals sehr umfangreichen Klageschriften näher Kenntnis zu nehmen.

Das Bundesamt hat ebenfalls Stellung genommen und die vom Bundesbeauftragten geschilderte Praxis bestätigt. Wie es im vorliegenden Fall zu der von dieser Praxis abweichenden formlosen Zuleitung gekommen sei, sei nicht mehr feststellbar.

3. Die Kammer hat das Urteil des VG Chemnitz wegen Verletzung des Anspruchs der Bf auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG aufgehoben. Zur Begründung stellt sie fest, dass das VG Chemnitz erhebliches Vorbringen der Bf bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt hat. Die Bf haben mit Schriftsatz vom 16. September 1996 ausdrücklich auf die formlose Zuleitung des Bundeamtsbescheides an den Bundesbeauftragen am 14. Dezember 1994 hingewiesen. Das VG hat zwar diese Zuleitung des Bescheides am 14. Dezember 1994 im Tatbestand seines Urteils erwähnt, in den Entscheidungsgründen jedoch ausgeführt, der Bundesbeauftragte habe "frühestens" mit dem gerichtlichen Mitteilungsschreiben vom 30. Dezember 1994 Kenntnis von dem ergangenen Bescheid erhalten. Dies widerspricht bereits den Feststellungen im Tatbestand und lässt den Vortrag der Bf vom 16. September 1996 außer Acht. Zudem ist eine Abschrift des besagten Schriftsatzes zwar vom VG an das Bundesamt übersandt worden, in den Gerichtsakten selbst jedoch nicht enthalten. Dies rechtfertigt den Schluss, dass das VG die von den Bf ausdrücklich vorgetragene formlose Zuleitung des Bescheids am 14. Dezember 1994 bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Klage nicht in Erwägung gezogen hat.

Die Kammer führt weiter aus, dass das Urteil des VG Chemnitz auf dem festgestellten Gehörsverstoß beruht. Legt man den Eingang des Bescheids beim Bundesbeauftragten in den Tagen nach dem 14. Dezember 1994 zu Grunde, hätte das VG nach eigener Auffassung die Möglichkeit einer Verwirkung des Klagerechts des Bundesbeauftragten näher prüfen müssen.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Bundesbeauftragten, er habe jedenfalls von dem formlos zugestellten Bescheid keine Kenntnis genommen. Denn der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (§ 6 AsylVfG) ist verpflichtet, auch ablehnende Asylbescheide zur Kenntnis zu nehmen. Seine Auffassung, formlos zugeleitete - ablehnende - Bescheide nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, verkennt seine Aufgaben. Der Bundesbeauftragte soll als Korrektiv gegenüber den weisungsungebundenen Entscheidungen des Bundesamtes dienen, auf eine einheitliche Entscheidungspraxis der Gerichte hinwirken sowie Fragen grundsätzlicher Bedeutung einer ober- oder höchstrichterlichen Klärung zuführen. Dies schließt ein Tätigwerden sowohl zu Lasten wie auch zu Gunsten von Asylbewerbern ein. Die zu beobachtende einseitige Praxis des Bundesbeauftragten, nur zu Lasten der Asylbewerber gegen ganz oder teilweise stattgebende Entscheidungen vorzugehen, wird dem gesetzgeberischen Auftrag nicht gerecht. Dies kann auch durch den Hinweis auf eine beschränkte personelle Ausstattung nicht gerechtfertigt werden.

Das VG wird nun zu prüfen haben, ob der Bundesbeauftragte noch zulässig Klage erheben konnte.

Karlsruhe, den 5. Januar 2001