Bundesverfassungsgericht

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Zur Speicherung des "genetischen Fingerabdrucks" verurteilter Personen

Pressemitteilung Nr. 8/2001 vom 18. Januar 2001

Beschluss vom 14. Dezember 2000
2 BvR 1741/99

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat sich in einem Beschluss grundsätzlich zur Verfassungsmäßigkeit der Speicherung des "genetischen Fingerabdrucks" bei verurteilten Straftätern geäußert.

Die zu Grunde liegenden Verfassungsbeschwerden (Vb) von drei Beschwerdeführern (Bf) richteten sich gegen Gerichtsentscheidungen, wonach ihnen Zellproben entnommen werden dürfen, das DNA-Identifizierungsmuster molekulargenetisch bestimmt und in einer Datenbank gespeichert werden darf. Grundlage der Gerichtsbeschlüsse sind die §§ 81g StPO und 2 DNA-Identitätsfest-stellungsgesetz (DNA-IFG), die in der Anlage abgedruckt sind.

Die Kammer hat die Gerichtsentscheidungen hinsichtlich des Bf zu 1. aufgehoben, die Vb der Bf zu 2. und 3. hingegen nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus:

1. Die Regelungen des DNA-IFG in Verbindung mit § 81g StPO sind formell und materiell verfassungsgemäß. Dem Bund steht die Gesetzgebungskompetenz für das DNA-IFG aus der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das gerichtliche Verfahren in Strafsachen zu. Die Frage der Gesetzgebungskompetenz ist dabei anhand des Ziels und der Rechtsfolge der Maßnahmen zu beantworten. Die Speicherung des "genetischen Fingerabdrucks" dient dazu, die Beweisführung in einem künftigen Strafverfahren zu erleichtern. Ihr Zweck ist hingegen nicht die Verhinderung neuer Straftaten durch die untersuchten Personen, also nicht die Gefahrenabwehr, für die die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt.

2. Die Regelungen sind auch inhaltlich mit dem Grundgesetz vereinbar. Der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit, in den auch auf Grund eines Gesetzes nicht eingegriffen werden dürfte, ist nicht betroffen. Dies gilt jedenfalls, solange lediglich der nicht - codierende Teil der DNA erfasst und ausschließlich die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren vorgenommen sowie das Genmaterial anschließend vernichtet wird. Insoweit kann der "genetische Fingerabdruck" mit dem herkömmlichen Fingerabdruck und anderen Identifikationsmethoden verglichen werden, auch wenn sein Beweiswert ungleich höher ist.

Entscheidend ist, dass durch die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen, nicht ermöglicht werden und ein "Persönlichkeitsprofil" nicht erstellt wird.

Soweit die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung des "genetischen Fingerabdrucks" in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, hält sich dies innerhalb der durch den Schrankenvorbehalt für solche Grundrechtseingriffe gezogenen Grenzen. Der Eingriff dient einem Gemeinwohlbelang von hohem Rang, nämlich der an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung genügt auch den Erfordernissen der Normklarheit und der Nachprüfbarkeit der auf dieser Grundlage ergangenen Entscheidungen. Insbesondere der Begriff "Straftaten von erheblicher Bedeutung", die Anlass für die Maßnahme sind, kann durch die herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden hinreichend klar definiert werden. Nach überwiegender Auffassung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Die vorsorgliche Beweisbeschaffung durch Feststellung und Speicherung des DNA-Identifi-zierungsmusters verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot. Sie knüpft an eine Verurteilung wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung an und setzt zusätzlich die auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraus, dass gegen den Betroffenen künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Damit wird die Maßnahme auf besondere Fälle beschränkt. Das Interesse des Betroffenen an effektivem Grundrechtsschutz wird durch einen Richtervorbehalt für die Anordnung der Maßnahme berücksichtigt, der die zuständigen Gerichte auch zur Einzelfallprüfung zwingt. Ein Missbrauch der gewonnenen Daten wird durch die strenge Zweckbindung der molekulargenetischen Untersuchung der Zellproben und das Gebot der Vernichtung des gesamten entnommenen Zellmaterials nach der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters verhindert.

3. Die Anwendung dieser Maßstäbe auf die einzelnen Fälle ergibt, dass nur im Fall des Bf zu 1. die Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Die Kammer führt aus, dass es insoweit bereits an einer tragfähig begründeten Entscheidung des Amtsgerichts fehlt. Eine solche setzt voraus, dass das Gericht zuvor Sachaufklärung betreibt. Hierzu gehört insbesondere die Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister. Auf dieser Grundlage ist eine auf den Einzelfall bezogene abwägende Entscheidung zu fällen. Dabei ist das Gericht zwar nicht an eine von einem anderen Gericht ausgesprochene Sozialprognose gebunden. Es bedarf aber eines erhöhten Begründungsaufwands, will das erkennende Gericht von einer solchen Sozialprognose abweichen. Die Annahme, dass gegen den Betroffenen künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind, muss auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruhen. Wie die Kammer ausführt, ist all dies im Fall des Bf zu 1. nicht geschehen.

Dieser war im Laufe von 10 Jahren zu drei Freiheitsstrafen jeweils mit Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer positiven Sozialprognose und zwei Geldstrafen verurteilt worden. Die ihn betreffende Anordnung der Entnahme von Körperzellen hatte das Amtsgericht lediglich mit einer Wiederholung des Gesetzestextes und einer Aufzählung seiner Verurteilungen begründet.

Insoweit fehlte es bereits an einer Begründung dafür, dass es sich bei den Anlasstaten dieses Bf um Straftaten von erheblicher Bedeutung gehandelt hatte. Hierfür ist wiederum eine Einzelfallprüfung erforderlich. Vor allem hat das Amtsgericht die Negativprognose nicht tragfähig begründet. Die Aufzählung allein des Inhalts des Bundeszentralregisters lässt vermuten, dass eine weiter gehende Sachaufklärung, die schon wegen der günstigen Sozialprognosen in den Bewährungsentscheidungen angezeigt war, unterblieben ist.

Die Vb der Bf zu 2. und 3., die wegen versuchten Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten (Bf zu 2.) bzw. Vergewaltigung in fünf Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung (Bf. zu 3.) verurteilt worden waren, blieben hingegen erfolglos. Die erhebliche Bedeutung ihrer Straftaten lag auf der Hand. Die Gefahr künftiger weiterer Straftaten von erheblicher Bedeutung war in diesen Fällen von den Gerichten tragfähig begründet worden.

Karlsruhe, den 16. Januar 2001

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 8/2001 vom 18. Januar 2001

§ 81g StPO

(1) Zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist, Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind.

(2) Die entnommenen Körperzellen dürfen nur für die in Absatz 1 genannte molekulargenetische Untersuchung verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind. Bei der Untersuchung dürfen andere Feststellungen als diejenigen, die zur Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters erforderlich sind, nicht getroffen werden; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig.

(3) § 81a Abs. 2 und § 81f gelten entsprechend.

§ 2 DNA-IFG

(1) Maßnahmen, die nach § 81g der Strafprozessordnung zulässig sind, dürfen auch durchgeführt werden, wenn der Betroffene wegen einer der in § 81g Abs. 1 der Strafprozessordnung genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt oder nur wegen erwiesener oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit, auf Geisteskrankheit beruhender Verhandlungsunfähigkeit oder fehlender oder nicht ausschließbar fehlender Verantwortlichkeit (§ 3 des Jugendgerichtsgesetzes) nicht verurteilt worden ist und die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister oder Erziehungsregister noch nicht getilgt ist.

(2) Für Maßnahmen nach Absatz 1 gelten § 81a Abs. 2, §§ 81f und 162 Abs. 1 der Strafprozessordnung entsprechend.