Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Verfassungsbeschwerde zum Gerichtsfernsehen erfolglos - Urteil auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2000

Pressemitteilung Nr. 12/2001 vom 24. Januar 2001

Urteil vom 24. Januar 2001
1 BvR 2623/95

Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Erste Senat des BVerfG die Verfassungsbeschwerden (Vb) der n-tv (Beschwerdeführerin; Bf) GmbH & CoKG gegen das Verbot von Fernsehaufnahmen während der Gerichtsverhandlung zurückgewiesen.

Die Hintergründe des Verfahrens sind in der Pressemitteilung Nr. 130/2000 vom 10. Oktober 2000 dargestellt, die auf Anfrage gern übersandt wird.

1. In der Begründung für seine Entscheidung führt der Senat zunächst Grundsätzliches zum Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG aus:

Die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt den Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquellen. Sie beinhaltet nicht das Recht auf die Eröffnung einer Informationsquelle. Ein solcher Anspruch folgt auch nicht aus der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Der jeweils Berechtigte kann vielmehr selbst darüber bestimmen, ob, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen er eine Information oder ein Ereignis allgemein zugänglich machen möchte. Erst dann, wenn eine Informationsquelle allgemein zugänglich ist und nur in dem vom Berechtigten gewählten Umfang, fällt der Zugang auch des Rundfunkveranstalters zu diesen Informationen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Legt der Staat die Art der Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so wird in diesem Umfang der Schutzbereich der Informationsfreiheit eröffnet. Haben die Medien Zugang zwecks Berichterstattung, aber in rechtlich einwandfreier Weise unter Ausschluss der Aufnahme und Verbreitung von Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen, liegt in dieser Begrenzung kein Grundrechtseingriff.

Wird eine Informationsquelle mit Einschränkungen - etwa hinsichtlich Funk- und Fernsehaufnahmen - eröffnet, hängt die Verfassungsmäßigkeit der einschränkenden Norm davon ab, ob eine solche Beschränkung vom Recht zur Bestimmung des Zugangs gedeckt ist, ohne dass sie sich zusätzlich an Art. 5 Abs. 2 GG messen lassen müsste. Wenn der Zugang zur Informationsquelle weiter oder gar unbeschränkt hätte eröffnet werden müssen, kann dies vom Träger des Grundrechts gerichtlich geltend gemacht werden.

Der Gesetzgeber hat im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens die öffentliche Zugänglichkeit von Gerichtsverhandlungen geregelt. Durch § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) hat er von seinem Bestimmungsrecht in der Weise Gebrauch gemacht, dass der allgemeine Zugang nur für diejenigen eröffnet ist, die der Gerichtsverhandlung in dem dafür vorgesehenen Raum folgen wollen.

2. § 169 Satz 2 GVG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und entspricht dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie.er Sinn der auf einer langen Tradition fußenden Gerichtsöffentlichkeit liegt zum einen darin, dass die im Verfahren Beteiligten in Gestalt einer Verfahrensgarantie gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz geschützt werden. Zum anderen wurde es als eigene

D Rechtsposition des Volkes empfunden, von den Geschehnissen im Lauf einer Gerichtsverhandlung Kenntnis zu nehmen und die durch die Gerichte handelnde Staatsgewalt durch Anwesenheit zu kontrollieren.

b) Bei der Ausgestaltung der Gerichtsöffentlichkeit muss der Gesetzgeber deren Funktion sowie unterschiedliche Interessen berücksichtigen. Prozesse finden in der, aber nicht für die Öffentlichkeit statt. Das Gerichtsverfassungsrecht berücksichtigt gegenläufige Belange durch Ausnahmen von dem Grundsatz der Öffentlichkeit, die allgemein bestehen oder im Einzelfall vorgesehen werden können.

c) Im Gerichtsverfassungsgesetz ist die Öffentlichkeit im Rahmen der Gerichtsverhandlung vorgesehen. Das Aufkommen des Fernsehens hat den Gesetzgeber in den 60er-Jahren veranlasst, durch Einfügung von § 169 Satz 2 GVG ausdrücklich die Öffentlichkeit auf die so genannte Saalöffentlichkeit zu begrenzen. Hierzu war er nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, wohl aber berechtigt. Das Ziel der öffentlichen Kontrolle des Gerichtsverfahrens sowie der Zugänglichkeit von Informationen, die für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung von Bedeutung sind, wird auch durch die beschränkte Saalöffentlichkeit erreicht. Das Demokratieprinzip gebietet keine andere als die Saalöffentlichkeit. Den Medien ist der Zugang zum Gerichtssaal eröffnet. Rundfunkjournalisten können an der Gerichtsverhandlung teilnehmen und über sie berichten. Damit trägt das Gesetz genügend dem Umstand Rechnung, dass Informationen heutzutage in erster Linie über Medien an die Öffentlichkeit vermittelt werden. Gerichtsverhandlungen gehören regelmäßig nicht zu den Ereignissen mit hohem Publikumsinteresse. Am ehesten besteht ein Interesse der Medien an Kurzberichten, die mit dem Ziel zusammengestellt werden, öffentliche Aufmerksamkeit auszulösen.

d) Die geltende Regelung verwehrt dem Rundfunkjournalisten lediglich die Herstellung und Verbreitung von Originalbildern und Tönen aus der Verhandlung. Dies führt jedoch auch angesichts der in der jüngeren Vergangenheit gesteigerten Bedeutung des Fernsehens nicht dazu, dass eine wirkungsvolle Fernsehberichterstattung vereitelt wird. Neben Korrespondentenberichten kommen Ton- und Bildaufnahmen vor Beginn und nach Ende der Verhandlung sowie aus den Sitzungspausen in Betracht.

Zwar entfällt die Möglichkeit für das Fernsehen, den Eindruck der Authentizität und des Miterlebens zu vermitteln. Es ist jedoch keineswegs gesichert, dass eine Fernsehberichterstattung zu einer möglichst wirklichkeitsgetreuen Abbildung von Gerichtsverhandlungen führen würde. Medien dürfen Sendungen nach ihren eigenen Interessen und nach den Gesetzmäßigkeiten ihrer Branche gestalten. Insbesondere der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das publizistische Bemühen um die immer schwerer zu gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen häufig zu wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen, etwa zu der Bevorzugung des Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöse zu entnehmen. Normalität ist meist kein attraktiver Berichtsanlass. Mit den gängigen Medienpraktiken sind daher Risiken der Selektivität bis hin zur Verfälschung verbunden.

e) Die Begrenzung der Gerichtsöffentlichkeit auf die Saalöffentlichkeit trägt Belangen des Persönlichkeitsschutzes und den Erfordernissen eines fairen Verfahrens sowie der Wahrheits- und Rechtsfindung Rechnung.

Vor Gericht müssen sich Angeklagte und Zeugen häufig in einer emotional angespannten Situation der Verhandlung und damit auch der Öffentlichkeit stellen. Informationen werden mit Hilfe staatlicher Gerichte und gegebenenfalls unter Zwang erhoben. Werden sie durch Ton- und Fernsehaufnahmen festgehalten und in den Kontext einer Fernsehsendung gebracht, wird der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht verstärkt. Die Verbreitung solcher Aufnahmen kann abgelöst von den Verfahren erhebliche Folgen bewirken, zum Beispiel durch eine Prangerwirkung oder durch negative Folgen für eine spätere Resozialisierung (siehe BVerfGE 35, 202 Lebach-Entscheidung). Durch Schnitt, technische oder sonstige Bearbeitungen kann zudem der Gehalt einer Aussage manipuliert, mit anderen Aussagen zusammengestellt und in anderen inhaltlichen Zusammenhängen erneut verwendet werden. Solche Gefahren für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuwehren, ist Ziel des generellen Ausschlusses von Aufnahmen und deren Verbreitung.

Die Möglichkeit von Ton- und Bildaufnahmen durfte zugleich im Interesse eines fairen Verfahrens und der Sicherung einer ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung ausgeschlossen werden. Viele Menschen ändern ihr Verhalten in Anwesenheit von Kameras und Tonbändern. Die Fairness des Verfahrens ist insbesondere im Strafprozess für Angeklagte oder Zeugen gefährdet, wenn diese sich infolge der Medienaufnahmen scheuen, intime, peinliche oder unehrenhafte Umstände vorzutragen, die zur Wahrheitsfindung wichtig sind. Auch der äußere Verfahrensablauf kann durch die Anwesenheit und die Tätigkeiten eines Kamerateams beeinflusst werden. Solche Störungen des äußeren Verfahrensablaufs können zwar durch organisatorische Maßnahmen in Grenzen gehalten, nicht aber vollständig ausgeschlossen werden.

f) Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, Ausnahmen vom strikten Aufnahmeverbot für einzelne Verfahrensarten oder Abschnitte mit Rücksicht darauf zuzulassen, dass die Gefahren für den Persönlichkeitsschutz und die Verfahrensdurchführung unterschiedlich sind. So sind die Risiken der Beeinflussung der Verfahrensdurchführung in bestimmten Verfahrensabschnitten (Urteilsverkündung) geringer als in anderen (Zeugenvernehmung). Gefährdungen des Persönlichkeitsrechts sind in einem Strafverfahren anders als in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Trotz solcher Unterschiede gibt es in allen Verfahrensarten und für alle Verfahrensabschnitte jedoch Gefährdungen und kann die Verhandlungsleitung erschwert werden, wenn sie auch die verfahrensfremden Interessen der Medien berücksichtigen muss. So kann eine mündliche Urteilsverkündung direkt im Anschluss an die Verhandlung ihren Charakter verändern, wenn sie aufgezeichnet und damit fixiert wird.

Konkrete Wirkungen und Risiken für das jeweilige Verfahren sind schwer vorherzusehen; es ist ihnen deshalb auch nur schwer vorzubeugen. Diese Schwierigkeiten durften den Gesetzgeber veranlassen, das Gerichtsverfahren umfassend von möglichen negativen Wirkungen speziell der Ton- und Fernsehaufnahmen frei zu stellen. Insbesondere war er nicht verpflichtet, die schon bestehende Sonderregelung für das Bundesverfassungsgericht auf andere Gerichtsbarkeiten zu übertragen.

Der Gesetzgeber durfte auch davon absehen, Ausnahmemöglichkeiten für Einzelfälle zu schaffen. Die Durchführung eines Gerichtsverfahrens stellt erhebliche Anforderungen an das Gericht, insbesondere den Vorsitzenden. Dieser müsste jeweils darüber entscheiden, ob ein Ausnahmefall vorliegt und dafür zunächst die Verfahrensbeteiligten anhören, sodann schwierige Einschätzungen der Wirkungen der Aufnahmen auf das Verhalten der Beteiligten und über die Zumutbarkeit von Beeinträchtigungen vornehmen. Nachfolgende gerichtliche Auseinandersetzungen wären nicht ausgeschlossen. Auch ist anzunehmen, dass die Medien in den sie besonders interessierenden Verfahren öffentlichen Druck auf das Gericht ausüben würden. Der Gesetzgeber durfte die Gerichte im Interesse einer möglichst ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung von solchen zusätzlichen Belastungen durch ein ausnahmsloses Verbot freistellen. Dies gilt selbst bei Einwilligung der Beteiligten.

3. Die Richter Kühling und Hoffmann-Riem sowie die Richterin Hohmann-Dennhardt haben dem Urteil eine abweichende Meinung beigefügt.

Sie tragen die Gründe der Entscheidung im Wesentlichen mit, sind aber der Auffassung, dass sich angesichts der Entwicklungen sowohl des Rechtsschutzsystems als auch der Medienlandschaft ein ausnahmsloses Verbot von Funk- und Fernsehaufnahmen nicht mehr rechtfertigen lässt.

In früheren Zeiten war die Saalöffentlichkeit zugleich Medienöffentlichkeit als Presseöffentlichkeit. In der gegenwärtigen Informationsgesellschaft haben andere Medien zum Teil die Rolle der Zeitungen und Zeitschriften übernommen. Können die audiovisuellen Medien nur unter Ausschluss der für sie typischen Ton- und Bewegtbildaufnahmen berichten, besteht Medienöffentlichkeit nur noch begrenzt. Ein derartiger Eingriff des Staates in die Freiheit der Medien, über die Art und Weise ihrer Darstellung selbst zu entscheiden, ist rechtfertigungsbedürftig. Im Urteil werden zwar die einer unbegrenzten Medienöffentlichkeit entgegenstehende Belange zutreffend beschrieben, es wird jedoch nicht begründet, warum sie in allen Verfahrensarten und -abschnitten überwiegen. Sowohl die drastischen Veränderungen in der Medienrealität als auch die im Ausland mit Gerichtsfernsehen gesammelten Erfahrungen müssen den Gesetzgeber veranlassen, das ausnahmslose Verbot zu überdenken und gegebenenfalls zunächst Pilotprojekte zuzulassen. Eine Rechtfertigung des ausnahmslosen Ausschlusses der Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen entfällt schon jetzt jedenfalls für Abschnitte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die auf den Prozess der Rechts- und Wahrheitsfindung keinen inhaltlichen Einfluss haben, wie in der Regel die Eröffnung des Verfahrens und der Abschluss durch Verkündung der Entscheidung. Die Öffnung von bestimmten Verfahrensabschnitten für audiovisuelle Aufnahmen ist jedenfalls nicht nur in atypischen und deshalb zu vernachlässigenden Sonderfällen geboten. Auch Gründe der Praktikabilität stehen ihr nicht entgegen. Die mit der Medienöffentlichkeit verbundenen rechtlichen Belange sind zu gewichtig, als dass sie nur aus Gründen leichterer Handhabung des Verfahrens zurückgestellt werden dürften.

Urteil vom 24. Urteil 2001 - Az. 1 BvR 2623/95 und 1 BvR 622/99 -

Karlsruhe, den 24. Januar 2001