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Zur "moralischen Rehabilitierung" von Bodenreformopfern

Pressemitteilung Nr. 16/2001 vom 30. Januar 2001

Beschluss vom 09. Januar 2001
1 BvL 6/00

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat zwei Vorlagen des Verwaltungsgerichts (VG) Dresden zum Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für unzulässig erklärt.

1. Die Kläger der Ausgangsverfahren begehren die Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) für den entschädigungslosen Entzug von Vermögenswerten in der sowjetischen Besatzungszone. Die zuständigen Behörden lehnten die Anträge unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwRehaG ab. Danach findet das Gesetz auf besatzungsrechtliche und besatzungshoheitliche Enteignungen keine Anwendung. Das VG Dresden hat die Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die genannten Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Durch sie werde für die Opfer der Bodenreform- und Industrieenteignungen jegliche, insbesondere auch moralische, Rehabilitierung ausgeschlossen. Dies entspreche nicht mehr dem Gerechtigkeitsgebot. Es sei nicht zur Erzielung der deutschen Einheit erforderlich gewesen, über die Rückgabe in Natur hinaus auch jede andere Form der Wiedergutmachung auszuschließen.

2. Nach der Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG sind die Vorlagen unzulässig. Das VG hat sich im Rahmen seiner Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit nicht hinreichend mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinander gesetzt:

Die Position der Sowjetunion zur Enteignungsfrage bei den Verhandlungen, die zur Wiedervereinigung Deutschlands geführt haben, war durch zwei Forderungen gekennzeichnet: Das vereinigte Deutschland müsse - erstens - die Gesetzlichkeit, Rechtmäßigkeit oder Legitimität der von 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Enteignungsmaßnahmen anerkennen. Die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse dürfe - zweitens - nicht revidiert werden. Es sollte verhindert werden, dass deutsche Gerichte oder andere staatliche Stellen gegenüber den unter der sowjetischen Besatzungshoheit durchgeführten Enteignungen nachträglich einen Unrechtsvorwurf zum Ausdruck bringen. Das VG hätte sich angesichts dessen mit der Frage auseinander setzen müssen, ob eine förmliche moralische Rehabilitierung der Opfer besatzungshoheitlicher Enteignungen nicht zwangsläufig einen solchen Unrechtsvorwurf einschließen würde. Es wäre zu prüfen gewesen, ob der Ausschluss dieser Enteignungen aus dem Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes deshalb sachlich gerechtfertigt ist, weil der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, auch mit einer förmlichen moralischen Rehabilitierung der Betroffenen werde gegenüber der Sowjetunion nachträglich ein Unrechtsvorwurf erhoben.

Zwar enthält der so genannte Zwei-Plus-Vier-Vertrag keine Aussage über die Behandlung der besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Enteignungen. Dies beruht aber darauf, dass im September 1990 der nach der Einschätzung der Bundesregierung von der Sowjetunion erstrebte Restitutionsausschluss im Einigungsvertrag bereits vereinbart war und sich diese deshalb mit einer einseitigen förmlichen Mitteilung dieser Regelung durch den Gemeinsamen Brief der beiden deutschen Außenminister an die Außenminister der vier Mächte zufrieden geben konnte.

In der Gemeinsamen Erklärung beider deutscher Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 wurde in diesem Zusammenhang ausdrücklich vereinbart, dass einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss. Dies ist mit dem Ausgleichsleistungsgesetz geschehen. Das legt die Annahme nahe, dass nach der maßgeblichen Einschätzung der Bundesregierung eine Wiedergutmachung für die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nur in diesem Gesetz in Betracht kommen kann. Auch eine bloß moralische Rehabilitierung der Enteignungsbetroffenen nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wäre danach ausgeschlossen. Auch darauf hätte das VG eingehen müssen.

Schließlich hätte sich dem VG schon nach seiner eigenen Auffassung eine Auseinandersetzung mit der Frage aufdrängen müssen, ob in der Gewährung von Ausgleichsleistungen mittelbar nicht zugleich zum Ausdruck kommt, dass die Bundesrepublik Deutschland die besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Enteignungen als großes Unrecht und daher als missbilligenswert ansieht. Es hat ausführlich dargelegt, dass die Bodenreform- und Industrieenteignungen der politischen Verfolgung der Betroffenen gedient und deren Menschenwürde verletzt hätten. Diese Ansicht deckt sich der Sache nach mit der Bewertung dieser Maßnahmen durch das BVerfG. Dieses hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zu erkennen gegeben, dass es die genannten Enteignungen für ein großes Unrecht hält, welches im Hinblick auf das mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes unvereinbare Zustandekommen und die Begleiterscheinungen sowie Tragweite der eingetretenen Vermögensverluste im Rahmen des Ausgleichsleistungsgesetzes wiedergutzumachen ist. Vor diesem Hintergrund hätte das VG darlegen und begründen müssen, warum in der Gewährung von Ausgleichsleistungen nach diesem Gesetz nicht zugleich die Würdigung und Anerkennung des den Betroffenen zugefügten Unrechts und Leids und damit eine Form moralischer Rehabilitierung erblickt werden kann.

Karlsruhe, den 30. Januar 2001