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CDU/CSU-Fraktion erfolglos in Sachen Pofalla

Pressemitteilung Nr. 22/2001 vom 13. Februar 2001

Beschluss vom 24. Januar 2001
2 BvE 1/00

Mit Beschluss vom 24. Januar 2001 hat der Zweite Senat des BVerfG einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages verworfen. Diese wollte festgestellt wissen, dass die Bundesregierung durch ihre Weigerung, ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG gegen das Land Nordrhein-Westfalen wegen der Anträge auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Pofalla durchzuführen, die Rechte des Bundestages und der CDU/CSU-Fraktion verletzt.

I.

1. Zur Vorgeschichte

Die Staatsanwaltschaft Kleve leitete am 30. April 2000 ein Ermittlungsverfahren gegen den Bundestagsabgeordneten Pofalla wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein. Generalstaatsanwalt und Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatten dies zuvor gebilligt. Der Bundestag machte von seinem Recht aus Art. 46 Abs. 4 GG, die Aussetzung des Verfahrens zu verlangen, keinen Gebrauch. Am 4. Mai 2000 ordnete das Amtsgericht Kleve die von der Staatsanwaltschaft beantragten Durchsuchungen und Beschlagnahmen an. Am 11. Mai 2000 beschloss der Bundestag auf Empfehlung des zuständigen Ausschusses und ohne Beratung, den Vollzug der gerichtlichen Durchsuchungsmaßnahmen zu genehmigen. Daraufhin durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft die Wohn- und Geschäftsräume des Abgeordneten Pofalla und seiner früheren Ehefrau sowie verschiedene Kreditinstitute noch am gleichen Tag. Dies geschah drei Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Der Abgeordnete Pofalla war designierter Justizminister im "Schattenkabinett" des CDU-Spitzenkandidaten. Die Notwendigkeit der Durchsuchungsmaßnahmen zu diesem Zeitpunkt begründete die Staatsanwaltschaft im Antragsverfahren vor dem Deutschen Bundestag mit der drohenden Verjährung.

Am 11. August stellte das Landgericht Kleve auf Antrag des Abgeordneten fest, dass die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des Amtsgerichts rechtswidrig waren. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren am 14. August mangels Tatverdachts ein. Am 19. September entschuldigte sich der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen beim Abgeordneten für das rechtswidrige Vorgehen seiner Behörden. Der zuständige Generalstaatsanwalt wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

2. Zur Rechtslage

Die Immunität der Bundestagsabgeordneten ist in Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG festgelegt. Der Bundestag hat in seiner Geschäftsordnung Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten geregelt. Ziffer 2a dieser Grundsätze lautet: Hat der Bundestag für die Dauer einer Wahlperiode die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen Straftaten genehmigt, so ist vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dem Präsidenten des Bundestages und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen, dem betroffenen Mitglied des Bundestages Mitteilung zu machen; unterbleibt eine Mitteilung an das Mitglied des Bundestages, so ist der Präsident auch hiervon unter Angabe der Gründe zu unterrichten. Das Recht des Bundestages, die Aussetzung des Verfahrens zu verlangen (Art. 46 Abs. 4 des GG), bleibt unberührt.

Die entsprechende Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren hat der Bundestag zu Beginn der Legislaturperiode erteilt. Sie umfasst nicht den Vollzug von Durchsuchungen oder Beschlagnahmen; hierfür ist eine Genehmigung im Einzelfall erforderlich.

3. Der Antrag

Die Antragstellerin hält die Bundesregierung verfassungsrechtlich für verpflichtet, einen Bund-Länder-Streit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu beantragen. Ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zwischen beiden ergebe sich aus Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG i.V.m. dem Grundsatz der Bundestreue. Aus der über Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG dem Bundestag zustehenden Kompetenz folgten Rechte und Pflichten des Bundes im Bund-Länder-Streit. Zur Wahrung dieser verfassungsrechtlich begründeten Rechte sei der Bund auf die angemessene Kooperation mit den für die Rechtspflege zuständigen Ländern angewiesen. Diese hätten im Verfahren zur Aufhebung der Immunität eine sachgemäße Vorarbeit zu leisten. So sei gewährleistet, dass nur Anträge gestellt würden, die zur Wahrnehmung der Rechte des Bundestages aus Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG führten. Das "Verhalten aller beteiligten Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen, das zu den Anträgen der Staatsanwaltschaft in Kleve vom 17. April und 5. Mai 2000 geführt habe" verletze diese Verpflichtung. Durch das Unterlassen der Bundesregierung, einen Antrag im Bund-Länder-Streit zu stellen, seien die Rechte des Bundestages und der Antragstellerin aus der Verfassungsorgantreue und dem Immunitätsrecht verletzt worden. Nur wenn die Bundesregierung den Antrag stelle, werde verfassungsgerichtlich die Frage geklärt, was die Länder in Immunitätsangelegenheiten dem Bund verfassungsrechtlich schuldeten und inwiefern das Land Nordrhein-Westfalen dem genüge getan habe.

II.

Das BVerfG hat den Antrag als unzulässig verworfen und führt zur Begründung im Wesentlichen aus:

Als Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren - in dem die Fraktionen des Deutschen Bundestages parteifähig sind - kommen nur Maßnahmen oder Unterlassungen in Betracht, die rechtserheblich sind. Rechtserheblich ist das Unterlassen einer Maßnahme nur dann, wenn eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Vornahme der unterlassenen Maßnahme nicht ausgeschlossen werden kann. Fehlt es hieran, ist der Organstreit mangels eines zulässigen Angriffsgegenstandes unzulässig. So liegt der Fall hier. Zwischen der Bundesregierung und dem Land Nordrhein-Westfalen bestehen keine konkreten Meinungsverschiedenheiten über grundgesetzliche Rechte und Pflichten. Bei Meinungsverschiedenheiten im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG muss es sich um verfassungsrechtliche Streitigkeiten handeln. Solche streitigen Rechte oder Pflichten aus einem materiellen Verfassungsrechtsverhältnis zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen lassen sich weder unmittelbar aus Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG noch aus dem Immunitätsrecht in Verbindung mit dem Grundsatz der Bundestreue ableiten. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Bundestag die diesem vom Grundgesetz eingeräumte Genehmigungsbefugnis in Immunitätsangelegenheiten nicht streitig gemacht. Es hat das Verfahren entsprechend den Grundsätzen in Immunitätsangelegenheiten beachtet, den Bundestag pflichtgemäß von dem geplanten Ermittlungsverfahren unterrichtet und eine Genehmigung für die beabsichtigte Durchsuchung und Beschlagnahme eingeholt. Ein rechtswidrig eingeleitetes Ermittlungsverfahren sowie ein rechtswidrig gestellter Antrag stellen den im Grundgesetz garantierten Genehmigungsvorbehalt des Bundestages in Immunitätsangelegenheiten grundsätzlich nicht in Frage. Die Verletzung des Straf- oder Strafverfahrensrechts spielt im Bund-Länder-Streit keine Rolle, weil es in diesem Verfahren nur darum geht, in der Verfassung festgelegte Zuständigkeiten und Kompetenzen gegeneinander abzugrenzen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn das Land sachfremd und willkürlich den Bundestag irreführt, um die Genehmigung zum Vollzug der gerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse zu erwirken. Ein solcher Missbrauch wird allerdings nicht bereits dadurch belegt, dass die staatsanwaltlichen Maßnahmen drei Tage vor der Landtagswahl gegen den designierten Justizminister des "Schattenkabinetts" der CDU durchgeführt worden sind. Andere ausreichende Anhaltspunkte für eine bewusste Irreführung des Bundestages sind nicht vorgetragen.

Auch aus dem Grundsatz der Bundestreue in Verbindung mit dem Immunitätsrecht lässt sich ein Bund und Land verbindendes materielles Verfassungsrechtsverhältnis nicht herleiten. Das verfassungsrechtliche Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens als solches schafft kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und Land. Nur innerhalb eines anderweitig begründeten gesetzlichen oder vertraglichen Rechtsverhältnisses oder einer anderweitig rechtlich begründeten selbständigen Rechtspflicht kann die Regel vom bundesfreundlichen Verhalten Bedeutung gewinnen, in dem sie diese anderen Rechte und Pflichten moderiert, modifiziert oder durch Nebenpflichten ergänzt. Dabei brauchen diese anderweitigen selbständigen Rechte und Pflichten keineswegs verfassungsrechtlicher Natur zu sein. Zur Geltendmachung in einem Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG eignet sich das Prinzip bundesfreundlichen Verhaltens jedoch nur dann, wenn es im Rahmen eines verfassungsrechtlichen Verhältnisses zur Anwendung gelangt. Da der Bund-Länder-Streit nur für Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten aus der Verfassung offen steht, nicht jedoch für Auseinandersetzungen über einfachgesetzliche Rechte und Pflichten, vermag auch der Bezug zum Immunitätsrecht ein streitiges materielles Verfassungsrechtsverhältnis hier nicht zu begründen. Im vorliegenden Fall steht lediglich die Verletzung einfachgesetzlicher Pflichten in Rede. Dem Bund kommt keine allgemeine Verfassungs- und Rechtsaufsicht zu. Der Bund-Länder-Streit dient wie das Organstreitverfahren dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungs- und Rechtsaufsicht.

Durch die Entscheidung in der Hauptsache hat sich ein von der Antragstellerin ebenfalls gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt.

Karlsruhe, den 13. Februar 2001