Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Keine rechtsextreme Demonstration am Holocaust-Gedenktag

Pressemitteilung Nr. 23/2001 vom 14. Februar 2001

Dazu Beschlüsse vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - und 9. Februar 2001 - 1 BvQ 10/01 -
Siehe auch Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 8/01 -

Mit Beschluss vom 26. Januar 2001 hat die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem der Veranstalter einer rechtsextremen Demonstration durchsetzen wollte, dass diese am 27. Januar 2001 stattfinden kann.

1. Der Antragsteller (Ast.) hatte die Kundgebung mit dem Thema "Für Meinungsfreiheit - Demo statt Infotisch!" für den 27. Januar 2001 angemeldet. Die Versammlungsbehörde versuchte eine einvernehmliche Verlegung des Demonstrationstermines auf den 28. Januar zu erreichen. Hierauf ließ der Ast. sich nicht ein. Er meldete allerdings für den 28. Januar 2001 eine identische Veranstaltung an.

Die Versammlungsbehörde verfügte daraufhin im Wege der Auflage, dass der für den 27. Januar angemeldete Umzug auf den 28. Januar verlegt werde. Zur Begründung verwies sie darauf, dass rechtsextreme Aufzüge und Kundgebungen an dem Holocaust Gedenktag eine erhebliche Störung der öffentlichen Ordnung darstellten. Die Herabwürdigung des Gedenktages beeinträchtige quer durch alle Bevölkerungsschichten das sittliche Empfinden aller Bürgerinnen und Bürger. Der Eilantrag des Ast. blieb in beiden Instanzen erfolglos.

2. Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück. In den Gründen, deren schriftliche Fassung jetzt nachgereicht wurde, führt sie im Wesentlichen aus:

Bei der in Verfahren der einstweiligen Anordnung vorzunehmenden Folgenabwägung kann das BVerfG in Eilfällen wie dem vorliegenden in der Regel den Sachverhalt nicht selbst ermitteln und eigenständig würdigen. Es legt in diesen Fällen seiner Abwägung regelmäßig die Tatsachenfeststellungen und -würdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde, es sei denn, diese sind offensichtlich fehlsam. Entsprechendes gilt, wenn das für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut in rechtlicher Hinsicht die Einschränkung eindeutig nicht trägt.

Im vorliegenden Fall ist die Argumentation der Versammlungsbehörde und der Gerichte jedoch ohne weiteres nachvollziehbar. Zwar trägt eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht. Die öffentliche Ordnung scheidet aber nicht grundsätzlich als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts unterhalb der Verbotsschwelle aus. Die öffentliche Ordnung kann betroffen werden, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Versammlungsbehörde der Durchführung eines Aufzugs durch Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen "Kameradschaften" an dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz eine Provokationswirkung beimisst und dies als Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens der Bürgerinnen und Bürger bewertet.

Das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Demonstration steht der Anordnung der Auflage, diese zeitlich zu verschieben, nicht entgegen. Aus diesem Selbstbestimmungsrecht folgt lediglich, dass der Veranstalter sein Demonstrationsinteresse eigenständig konkretisieren darf. Kollidiert sein Grundrecht mit anderen Rechtsgütern, steht ihm nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten.

Wenn die Versammlungsbehörde die Auflage auf die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung stützen konnte, kommt diesem Gesichtspunkt gegenüber dem Interesse des Ast., gerade an diesem Tag zu demonstrieren, im Rahmen der Abwägung der Vorrang zu.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat einen weiteren Antrag desselben Ast. vom 9. Februar 2001 mit Beschluss vom gleichen Tage abgelehnt und dem Ast. eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 3.000,- DM auferlegt. Der Ast. hatte sich gegen das Verbot gewandt, auf einer Kundgebung in Hagen in Sprechchören und Parolen den Ausdruck "Nationaler Widerstand" zu verwenden.

Karlsruhe, den 14. Februar 2001