Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur Verurteilung aufgrund mittelbarer Beweisführung

Pressemitteilung Nr. 25/2001 vom 22. Februar 2001

Beschluss vom 20. Dezember 2000
2 BvR 591/00

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen eine strafrechtliche Verurteilung nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Die Beschwerdeführerin (Bf) war 1998 vom Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wegen ihrer Beteiligung an der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu im Oktober 1977 verurteilt worden. Das OLG sah es als erwiesen an, dass die Bf die bei der Entführung eingesetzten Waffen von Algier nach Palma de Mallorca transportiert hatte, wo sie dem Entführungskommando übergeben wurden. Das OLG stützte seine Überzeugung von der Tatbeteiligung der Bf im Wesentlichen auf die Aussagen des in Beirut inhaftierten Mitbeteiligten S., der in der Hauptverhandlung gegen die Bf nicht vernommen werden konnte, weil die libanesischen Behörden eine Überstellung zum Zwecke der Vernehmung ablehnten. S. hatte jedoch in Beirut aufgrund eines Rechtshilfeersuchens gegenüber der libanesischen Polizei ausführliche Angaben als Beschuldigter gemacht. Bei diesen Vernehmungen waren zwei BKA-Beamte zugegen, die dem OLG in der Hauptverhandlung als Zeugen über Aussageentstehung und -inhalt berichteten.

Das OLG hielt die so eingeführten Aussagen des S. für glaubhaft, da sie durch schwerwiegende andere Beweismittel bestätigt würden. Hierzu zählte die Aussage des Zeugen P., Leitender Regierungsdirektor beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der bekundete, ihm lägen Unterlagen vor, die den Flug der Bf von Algier nach Palma de Mallorca bestätigten. Aus Gründen des Quellenschutzes könne er jedoch weder die Personen nennen, von denen das BfV die Unterlagen erhalten habe, noch diese Unterlagen selbst offen legen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass der Beschaffer enttarnt werde.

Auch der Zeuge G., ehemals Leitender Kriminaldirektor beim BKA, bekundete in der Hauptverhandlung, aus zuverlässiger "Quelle" Unterlagen erhalten zu haben, die die Identität der Bf als diejenige Person, die Waffen nach Mallorca gebracht habe, bestätigten. Auch er könne jedoch weder die Unterlagen vorlegen noch seine "Quellen" benennen.

Bemühungen des OLG, für beide so genannte "Zeugen vom Hörensagen" beim Bundesministerium des Innern jeweils eine Erweiterung der Aussagegenehmigungen zu erreichen, blieben erfolglos.

Neben weiteren Umständen und Beweismitteln stützte das OLG seine Überzeugung von der Tatbeteiligung der Bf auch auf die Aussage des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und ehemaligen RAF-Mitgliedes B., der angab, die Bf während der Entführungsvorbereitungen in Bagdad gesehen zu haben. Damit werde die Einlassung der Bf, Aden nicht verlassen zu haben, zusätzlich widerlegt und zugleich die Einlassung des Tatbeteiligten S. weiter bestätigt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision der Bf verworfen.

Mit der Vb rügt die Bf Verstöße gegen das Gebot eines fairen Strafverfahrens und das Willkürverbot. Ihre Verurteilung stehe nicht mit Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK in Einklang, da sie zentral auf die Bekundungen von Zeugen vom Hörensagen und die Ergebnisse kriminalpolizeilicher und geheimdienstlicher Quellenabschöpfungsprozesse gestützt worden sei. Die Verurteilung beruhe damit maßgeblich auf anonym gebliebenen Quellen. Die Überzeugung des OLG, durch diese Beweismittel werde das aus der Vernehmungssituation des S. folgende Defizit des Beweiswerts seiner Angaben kompensiert, verkenne die von Verfassungs wegen zu beachtenden Vorgaben. Ein Kumulationseffekt mehrerer - von den Verfahrensbeteiligten in ihren Entstehungsvoraussetzungen nicht eigenständig zu beurteilender - Zeugnisse vom Hörensagen sei mit der Rechtsprechung des BVerfG schlechterdings nicht zu vereinbaren.

2. Die Kammer hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt ein Anspruch auf materielle Beweisteilhabe, also auf Zugang zu den Quellen der Sachverhaltsfeststellung. Ein verfassungsrechtlich erheblicher Verstoß hiergegen ist nur dann anzunehmen, wenn sich bei einer Gesamtschau aller Umstände eindeutig ergibt, dass rechtstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind. Die angegriffenen Urteile werden jedoch dem Anspruch auf ein faires Verfahren auch in Ansehung der - hier als Auslegungshilfe verstandenen - Regelungsinhalte des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EMRK und seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung des EuGHMR und des BGH noch gerecht, wenn auch die der Urteilsfindung vorangegangene Handhabung des Verfahrensrechts durch das Tatgericht im Grenzbereich einer von Verfassungs wegen erlaubten Verfahrensgestaltung liegen mag.

Bekundungen, die auf in der Hauptverhandlung nicht vernommene Gewährsleute zurückgehen, genügen hinsichtlich ihres Beweiswertes regelmäßig nicht für die richterliche Überzeugungsbildung, wenn sie nicht durch andere wichtige Gesichtspunkte und Beweisanzeichen bestätigt werden. Gesteigerte Sorgfalt des Tatgerichts ist deshalb geboten, wenn - wie hier - polizeiliche oder nachrichtendienstliche Gewährspersonen nur deshalb nicht als Zeugen gehört werden können, weil die zuständige Behörde sich weigert, ihre Identität preis zu geben oder eine Aussagegenehmigung zu erteilen. Hier ist es die Exekutive, die eine erschöpfende Sachaufklärung verhindert und es den Verfahrensbeteiligten unmöglich macht, die persönliche Glaubwürdigkeit der im Dunkeln bleibenden Gewährsperson zu überprüfen. Die Beweisgrundlage des angegriffenen tatrichterlichen Urteils erschöpft sich jedoch nicht in der Würdigung der Aussagen der polizeilichen "Zeugen vom Hörensagen", der durch sie vermittelten Angaben des mitbeschuldigten S. und mehrerer im Ausland verdeckt operierender polizeilicher und nachrichtendienstlicher Gewährsleute, Kontaktpersonen und eines "Quellenführers". Vielmehr stützt das OLG das Beweisergebnis neben der Einlassung der Bf selbst vor allem auf die Aussage des (unmittelbaren) Zeugen B. Dieser hat die Einlassung der Bf, sie habe sich zur Tatzeit nicht am Tatort, sondern ausschließlich in Aden aufgehalten, zur Überzeugung des Gerichts widerlegt. Zugleich hat das OLG darin eine weitere Bestätigung der durch die BKA-Beamten eingeführten Angaben des S. gesehen. Unter diesen Umständen ist im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auch nicht zu beanstanden, dass das OLG seine Überzeugung von der Richtigkeit der Angaben des S. und der im Übrigen wiedergegebenen "Quellen" auf weitere Ermittlungen der beteiligten Ämter gestützt hat, die diese aufgrund und zur Überprüfung ihrer "Quellen"-Informationen durchgeführt haben. War das Verfahren damit - als Ganzes betrachtet - nach dem Maßstab des GG noch fair, dann ist die Auffassung des BGH, ein Verstoß gegen die Fairnesskriterien des Art. 6 Abs. 1 EMRK liege im Ergebnis nicht vor, jedenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Karlsruhe, den 22. Februar 2001