Bundesverfassungsgericht

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Namensrecht und Vertrauensschutz

Pressemitteilung Nr. 45/2001 vom 3. Mai 2001

Beschluss vom 11. April 2001
1 BvR 1646/97

Führt jemand über lange Zeit auch in amtlichen Dokumenten einen bestimmten Namen, so genießt er damit eine geschützte Position. Auch wenn die Namenseintragung ursprünglich nicht korrekt gewesen sein mag, kann dies nicht ohne Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rückgängig gemacht werden. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Deutschen indischer Herkunft festgestellt.

Der Beschwerdeführer (Bf), ein Angehöriger der Sikh-Religion, der den Namenszusatz "Singh" führte, heiratete 1986 in Deutschland. Als Ehename wurde "Singh" in das deutsche Familienbuch eingetragen. Nach der Einbürgerung des Bf 1992 lautete sein Familienname in der Einbürgerungsurkunde wie auch in Personalausweis und Reisepass ebenfalls "Singh". Nach einer Scheidung heiratete der Bf in Indien erneut, für diese Ehe wurde kein Ehename bestimmt. Eine gemeinsame Tochter trägt sowohl im indischen Geburtsregister als auch im deutschen Kinderausweis den Familiennamen "Singh".

Den Antrag des Bf, als Ehenamen "Singh" in das Familienbuch einzutragen, lehnte das Amtsgericht 1996 ab. "Singh" sei als Ehename nicht eintragungsfähig. Dies sei kein Familienname, sondern ein bloßer Namenszusatz. Er weise bei Angehörigen der Sikh auf die Religionszugehörigkeit und auf das Geschlecht hin, bei Männern mit der Bedeutung "Löwe". Das Oberlandesgericht Hamm bestätigte letztinstanzlich diesen Beschluss.

Die Kammer hat die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil sie den Bf in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und mit dem rechtstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes nicht vereinbar ist. Das BVerfG bezieht sich auf Art. 2 Abs. 1 GG zur Begründung im Wesentlichen darauf, dass der Name eines Menschen, der Ausdruck der Identität und Individualität des Namensträgers ist, sich als solcher nicht beliebig austauschen lässt. Eine Namensänderung beeinträchtigt die Persönlichkeit und darf nicht ohne gewichtigen Grund gefordert werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Dies gilt auch für den von einem Menschen tatsächlich geführten Namen, nicht nur für den rechtmäßig erworbenen, sofern er auf die Richtigkeit der Namensführung vertrauen durfte. Dagegen muss das öffentliche Interesse an der Richtigkeit von Eintragungen in Personenstandsurkunden abgewogen werden. Damit hat sich das Oberlandesgericht nicht auseinandergesetzt. Da der Bf seit der Eintragung in das Familienbuch im Jahre 1986 und damit über fast 11 Jahre als Familienname "Singh" geführt hat und verschiedene Behörden zum Ausdruck gebracht haben, dass sie keinen Zweifel an seiner Berechtigung zum Führen dieses Namens haben, ist für ihn ein rechtlich schutzwürdiger Vertrauenstatbestand entstanden. Zugleich hat sich auch eine Identität mit dem Familiennamen "Singh" gebildet. Unter diesem Namen ist er, seit er in der Bundesrepublik Deutschland lebt, in seinem sozialen Umfeld bekannt. Mit diesem Namen identifiziert er sich auch.

Das Oberlandesgericht wird nunmehr unter Berücksichtigung dieser Persönlichkeitsrechte des Bf und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine erneute Abwägung dieser Belange mit dem öffentlichen Interesse an der Richtigkeit von Eintragungen in Personenstandsurkunden vornehmen müssen.

Karlsruhe, den 3. Mai 2001