Bundesverfassungsgericht

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Benachrichtigung von observierten "Begleitpersonen"

Pressemitteilung Nr. 49/2001 vom 10. Mai 2001

Beschluss vom 25. April 2001
1 BvR 1104/92

Dem Bundesverfassungsgericht lagen die Verfassungsbeschwerden dreier Hamburger vor, die sich gegen die nach dem Hamburgischen Landesrecht mögliche Observation so genannter Kontakt- oder Begleitpersonen richteten. Die Beschwerdeführer (Bf) - ein Polizist, ein Pastor und ein Rechtanwalt - hatten Verfassungsbeschwerde (Vb) direkt gegen die Bestimmungen des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (HbgGDVP) eingelegt, durch die die Zulässigkeit der Observation bestimmter Kontakt- und Begleitpersonen von vermuteten Straftätern geregelt ist (§ 9 und § 10; die entsprechenden Normen sind im Anhang abgedruckt). Daneben haben die Bf gegen die Neufassung des Art. 13 GG Vb erhoben.

1. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Vb mit Beschluss vom 25. April 2001 nicht zur Entscheidung angenommen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfassungsbeschwerden direkt gegen die gesetzlichen Bestimmungen sind unzulässig, weil die Bf nicht dargelegt haben, selbst, gegenwärtig und unmittelbar von den angegriffenen Normen betroffen zu sein. Sie haben auch nicht hinreichend ausgeführt, dass es ihnen nicht zumutbar wäre, einen etwaigen Vollzug des Gesetzes ihnen gegenüber abzuwarten und sich sodann gegen den Vollzugsakt zu wenden.

Zwei der Bf, nämlich der Polizist und der Pastor, haben schon nicht dargelegt, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Betätigungen in besonderer Weise als potentielle Kontakt- oder Begleitpersonen in Betracht kommen. Auch soweit der dritte Bf auf seine Tätigkeit als Strafverteidiger verweist, ergibt sich daraus eine eigene Betroffenheit und die Unzumutbarkeit, einen Vollzugsakt abzuwarten, nicht. Soweit der Bf lediglich vorträgt, Strafverteidiger hätten häufiger Kontakt mit Menschen aus "kriminellen Szenen" als andere Personen und könnten deshalb unter die gesetzlichen Regelungen fallen, reicht dies nicht aus. Der Begriff der Kontakt- oder Begleitperson setzt voraus, dass die "Begleitperson" mit der Person, der an sich die Überwachungsmaßnahme gilt, derartig in Verbindung steht, dass die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung eine Erhebung der eigenen personenbezogenen Daten der Kontaktperson erfordert. Zusätzlich verlangt § 9 Abs. 1 Satz 1 HbgGDVP, dass eine Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre. Der Begriff der Kontakt- und Begleitperson ist restriktiv auszulegen. Vorausgesetzt sind konkrete Tatsachen für einen objektiven Tatbezug, insbesondere eine Verwicklung in den Hintergrund oder das Umfeld der Straftaten. Der Umstand, dass ein Rechtsanwalt seine Aufgabe der Strafverteidigung erfüllt, löst die vom Gesetz geforderte besondere Verbindung nicht aus. Anders mag der Fall liegen, wenn der Rechtsanwalt selbst in krimineller Weise in die Handlungen seines Mandanten verstrickt ist. Das Gesetz erlaubt insofern die Datenerhebung im Hinblick auf ein Handeln, das nicht in Erfüllung der anwaltlichen Berufspflichten, sondern bei Gelegenheit rechtsanwaltlicher Tätigkeit stattfindet.

Bei der Entscheidung über die Frage, ob ein solcher Fall vorliegt, ist von der Polizei zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung grundsätzlich Vertrauen in den Rechtsanwalt setzt.. Die Polizei hat bei der Auslegung und Anwendung der Normen zur Datenerhebung diesen besonderen rechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu respektieren. Dies hindert die Überwachungsbehörden daran, von einer Vermutung krimineller Kollusion auszugehen.

2. Zudem ist rechtlich gesichert, dass die Kontaktperson von möglichen Vollzugsakten Kenntnis erhält und gegen diese vorgehen kann. § 9 Abs. 3 HbgGDVP verpflichtet die Polizei zur Unterrichtung der von einer Datenerhebung Betroffenen. Nach dieser Norm sind observierte Personen hierüber zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung geschehen kann. Dieses "sobald" bezeichnet eine zeitliche Komponente. Besteht die Annahme, bestimmte Personen würden Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen, nicht mehr oder sind die fraglichen Straftaten nicht mehr zu verhüten, lebt die Unterrichtungspflicht wieder auf.

Soweit der Wortlaut des § 9 Abs. 3 S. 2 HbgGDVP vorsieht, dass eine Unterrichtung durch die Polizei bei Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die potentiellen Straftäter unterbleibt, ist diese Norm verfassungskonform auszulegen. Der Beschuldigte selbst ist schon nach § 170 StPO zwingend durch die Ermittlungsbehörden zu informieren. Auch für die übrigen von einer Datenerhebung betroffenen Personen verlangt aber das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Verbindung mit dem Erfordernis effektiven Rechtsschutzes die Bekanntgabe der polizeilichen Maßnahme, damit der Betroffene sich gegebenenfalls gegen eine Verletzung dieses Grundrechts wehren, insbesondere Rechte auf Löschung oder Berichtigung der Daten geltend machen kann.

Bei derartiger verfassungskonformer Interpretation des § 9 Abs. 3 HbgGDVP ist dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung getragen. Die Polizei wird gegebenenfalls mit der Strafverfolgungsbehörde abzustimmen zu haben, wie die Benachrichtigung sicherzustellen ist.

Karlsruhe, den 10. Mai 2001

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 49/2001 vom 10. Mai 2001

Auszug aus dem Hamburgischen Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei

§ 1

Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen

(1) Dieses Gesetz findet Anwendung, soweit die Vollzugspolizei (Polizei) zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) vom 14. März 1966 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 77), zuletzt geändert am 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 187), in der jeweils geltenden Fassung Daten verarbeitet. Zu den in Satz 1 genannten Aufgaben gehört auch die Erhebung und weitere Verarbeitung von Daten

1. zur Verhütung von Straftaten und zur Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) und

2. ..........

(4) Straftaten von erheblicher Bedeutung sind .......... ............

(6) Kontakt- oder Begleitpersonen im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die mit einer Person, von der tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass diese Person Straftaten begehen wird, in einer Weise in Verbindung stehen, die die Erhebung ihrer personenbezogenen Daten zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erfordert.

§ 9

Datenerhebung durch Observation

(1) Die Polizei darf personenbezogene Daten erheben durch eine planmäßig angelegte Beobachtung, die innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden oder über den Zeitraum einer Woche hinaus vorgesehen ist oder tatsächlich durchgeführt wird, (längerfristige Observation)

1. über die für eine Gefahr Verantwortlichen und unter den Voraussetzungen von § 10 SOG über die dort genannten Personen, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist,

2. über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, wenn die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist, sowie über deren Kontakt- oder Begleitpersonen, wenn die Aufklärung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos wäre. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2) ...

(3) Personen, gegen die sich Datenerhebungen richteten, sind nach Abschluss der Maßnahme hierüber durch die Polizei zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung geschehen kann. Eine Unterrichtung unterbleibt, wenn sich an den auslösenden Sachverhalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt. ...

§ 10

Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel

(1) Die Polizei darf unter den Voraussetzungen von § 9 Absatz 1 Satz 1 Daten erheben durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes. Der Einsatz unter den Voraussetzungen des § 9 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist zulässig, wenn Tatsachen die dringende Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. § 9 Absatz 2 gilt entsprechend.

(2) Ein Einsatz nach Absatz 1 zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen ist nur unter den Voraussetzungen von § 9 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 zulässig.

(3) - (5) ...

(6) § 9 Absatz 3 gilt entsprechend.

(7) ...