Bundesverfassungsgericht

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Zur Aufhebung von Demonstrationsverboten am 1. Mai

Pressemitteilung Nr. 50/2001 vom 11. Mai 2001

Beschluss vom 01. Mai 2001, Beschluss vom 01. Mai 2001
1 BvQ 21/01
1 BvQ 22/01

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat am 1. Mai 2001 im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung von zwei Demonstrationen des jeweiligen Landesverbandes der NPD in Essen und Augsburg ermöglicht. Die Begründungen für diese Beschlüsse sind vom BVerfG jetzt nachgereicht worden.

1. Zur NPD-Demonstration in Essen

Das OVG Nordrhein-Westfalen hat seine letztinstanzliche Bestätigung des Demonstrations-Verbots im Wesentlichen darauf gestützt, dass von der Demonstration eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehe, weil von der NPD die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts zu erwarten sei. Eine Pressemitteilung des OVG NRW zu dem Beschluss ist auf der Homepage www.jura.uni-muenster.de/OVG veröffentlicht. Das BVerfG führt aus:

Die Einschätzung des OVG ist rechtlich nicht tragfähig. Das OVG verkennt die Sperrwirkung des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach das BVerfG - und nur dieses - über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet. Solange das BVerfG eine politische Partei nicht verboten hat, kann diese zwar politisch bekämpft werden, ist aber in ihrer politischen Aktivität von rechtlichen Behinderungen frei, soweit sie mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitet. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit einer Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Folglich ist es ausgeschlossen, die Grundrechtsausübung der NPD allein mit Rücksicht darauf zu unterbinden, dass sie vom Bundestag, vom Bundesrat, von der Bundesregierung, von einer Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht als verfassungswidrig eingeschätzt wird oder dass ein Verbotsverfahren vor dem BVerfG anhängig ist.

Wie das BVerfG mehrfach festgestellt hat, kann eine Versammlung nicht mit dem Argument verboten werden, es sei zu erwarten, dass die geäußerten Meinungen gegen die öffentliche Ordnung verstießen. Einer solchen Argumentation stehen die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit entgegen. Das Grundgesetz und die übrige Rechtsordnung verbieten Meinungsäußerungen nur unter engen Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, gilt der Grundsatz der Freiheit der Rede. Die Kraft eines Rechtsstaats zeigt sich auch daran, dass er den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden rechtsstaatlichen Grundsätzen unterwirft. Für das Verbot von Parteien oder die Verwirkung des Grundrechtsschutzes bestimmter Personen hat das Grundgesetz formelle und materielle Grenzen in den Art. 18 und 21 GG aufgestellt. Diese dürfen nicht deshalb außer Acht gelassen werden, weil ein Oberverwaltungsgericht deren Schutzwirkung nicht als ausreichend bewertet. Das Grundgesetz dokumentiert nicht nur mit einzelnen Normen, wie Art. 139 GG, sondern auch im Aufbau allgemeiner rechtsstaatlicher Sicherungen die Absage an den Nationalsozialismus. Deren Fehlen hat das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus mit geprägt. In der Beachtung dieser rechtsstaatlicher Sicherungen liegt eine wichtige Garantie gegen das Wiedererstehen eines Unrechtstaates. Zu diesen rechtsstaatlichen Garantien gehört die Versammlungsfreiheit einschließlich ihrer in Art. 8 Abs. 2 GG aufgeführten Grenzen, auch und gerade für Minderheiten.

2. Die Demonstration in Augsburg

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat seine das behördliche Demonstrationsverbot bestätigende Entscheidung auf die Gefahr einer Störung der öffentlichen Sicherheit gestützt. Es lägen hinreichende konkrete Tatsachen für die Befürchtung vor, dass die Demonstration einen unfriedlichen Verlauf nehmen werde. Eine Pressemitteilung des Bayrischen VGH zu diesem Beschluss ist auf dessen Homepage unter www.vgh.bayern.de veröffentlicht.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Durchführung der Demonstration ermöglicht, weil die Argumentation des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtlich nicht tragfähig ist. Sie basiert nicht auf dem Vorliegen hinreichender konkreter Anhaltspunkte für eine Gefahr, sondern auf dem Fehlen eines besonderen Sicherheitskonzepts der Veranstalterin für den Fall, dass eine Gefahr sich konkretisieren sollte. Mit der Verfassung ist aber eine Rechtspflicht des Demon-strationsveranstalters, ein besonderes Sicherheitskonzept vorzulegen, nicht zu vereinbaren. Aus der Brokdorf-Entscheidung des BVerfG ergibt sich lediglich, dass eine Kooperation des Veranstalters mit der Versammlungsbehörde dazu führen kann, dass die Schwelle für ein behördliches Eingreifen wegen einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit höher rückt.

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt die Reichweite des Grundrechtsschutzes, wenn Demonstrationsveranstaltern Verhaltenspflichten auferlegt werden, die im Ergebnis zu einem Abweichen von allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen über die Darlegungs- und Beweislast zu ihren Lasten führen. Im Verwaltungsrecht gilt der Untersuchungsgrundsatz. Die Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen liegt bei der Behörde. Es widerspricht dem Schutzgehalt des Art. 8 GG, wenn die Behörde diesen rechtlichen Grundsätzen durch die Forderung auszuweichen sucht, die Veranstalterin müsse die Teilnahme gewaltbereiter Skinheads zweifelsfrei ausschließen. Auch Zweifel an der Zuverlässigkeit der benannten Ordner reichen allein nicht für die Folgerung, die Veranstalterin habe nicht alles Erforderliche getan, um Gefahren vorzubeugen. Zwar können Bedenken an der Zuverlässigkeit der Ordner versammlungsrechtlich erheblich sein. Ist die Veranstalterin aber - wie hier - bereit, die betroffenen Ordner gegen andere auszutauschen, widerspricht es der Aufgabe der Behörde zur versammlungsfreundlichen Kooperation, wenn sie die Namen der beanstandeten Ordner nicht benennt und damit der Veranstalterin die Möglichkeit nimmt, die Ordner auszuwechseln.

Karlsruhe, den 11. Mai 2001