Bundesverfassungsgericht

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Zur IHK-Zwangsmitgliedschaft

Pressemitteilung Nr. 4/2002 vom 17. Januar 2002

Beschluss vom 07. Dezember 2001
1 BvR 1806/98

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Pflichtmitgliedschaft in Industrie-und Handelskammern festgehalten.

In einem Beschluss vom 7. Dezember 2001 bekräftigt die 2. Kammer, dass die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG nicht vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft schützt. Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist vielmehr Art. 2 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift stellt ein hinreichendes Instrument zur Abwehr unnötiger Pflichtverbände dar und erlaubt dem Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung gerecht zu werden.

Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbandes mit Pflichtmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche Aufgaben erfüllt. Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Gesetzgeber ein weites Ermessen zu. Die Änderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zum Beispiel die Änderung der Struktur von den in den Kammern zusammengefassten Unternehmen und die Entwicklung des Verbandswesens, verlangt vom Gesetzgeber allerdings die ständige Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche Zwangskorporation noch bestehen. Dies hat der Gesetzgeber bei der letzten Gesetzesreform im Jahre 1998 überprüft und bejaht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nach wie vor von der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Kammern ausgeht. Der Staat darf sich bei der öffentlichen Aufgabe der Wirtschaftsförderung der Hilfe von aus der Wirtschaft selbst heraus gebildeten Selbstverwaltungseinrichtungen bedienen.

Das Bundesverfassungsgericht hat als zwei unterscheidbare Aufgabenkomplexe die "Vertretung der gewerblichen Wirtschaft" und die "Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet" benannt, und beide als legitime öffentliche Aufgaben eingeordnet. In der Aufgabenstellung der Kammern sind diese beiden Komplexe nicht getrennt, sondern in einer für Wirtschaftsverwaltung mit Hilfe von Selbstverwaltungseinrichtungen spezifischen Weise verbunden. Insbesondere handelt es sich nicht um eine reine Interessenvertretung wie sie Fachverbände wahrnehmen, sondern um die Vertretung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft mit der praktisch im Vordergrund stehenden Aufgabe, die Staatsorgane zu beraten.

Da gerade diese Kombination die Annahme einer öffentlichen Aufgabe rechtfertigt, kann es für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht darauf ankommen, ob einzelne dieser Aufgaben auch in anderer Form wahrgenommen werden könnten.

Die Beeinträchtigung des einzelnen Gewerbetreibenden durch die Pflichtmitgliedschaft ist auch deshalb hinnehmbar, weil die Pflichtmitgliedschaft für die Kammerzugehörigen eine Chance zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet, dabei aber auch die Möglichkeit offen lässt, sich nicht aktiv zu betätigen. Die Pflichtmitgliedschaft hat überdies eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort, wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und stattdessen auf die Mitwirkung der Betroffenen setzt.

Etwaige Aufgabenüberschreitungen durch den Zwangsverband und seine Organe kann das einzelne Mitglied im Klagewege abwehren.

Karlsruhe, den 17. Januar 2002