Bundesverfassungsgericht

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Erneute Aufhebung von Werbeverboten

Pressemitteilung Nr. 23/2002 vom 25. Februar 2002

Beschluss vom 06. Februar 2002
1 BvR 952/90

Im Anschluss an die "Benetton"-Entscheidung, (s. Pressemitteilung Nr. 156/2000 vom 12. Dezember 2000) hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts erneut Gerichtsentscheidungen aufgehoben, in denen Geschäftsleuten gefühlsbetonte Werbung als sittenwidrig angekreidet worden war.

Zum einen ging es um einen Beschwerdeführer (Bf), der mit synthetischen Pelzen handelte. In seiner Werbung sprach er die Kunden als Tierliebhaber an und bezeichnete die Käufer synthetischer Pelze als Menschen mit Verstand, Herzensbildung und Moral. Zudem wies er auf die Leiden von Tieren in Intensivzucht, Forschung und Herstellung von Bekleidungsartikeln hin. Die Zivilgerichte sahen hierin eine sittenwidrige gefühlsbetonte Werbung und einen das Sachlichkeitsgebot missachtenden Warenartenvergleich.

Die zweite Verfassungsbeschwerde (Vb) bezog sich auf die Werbung einer Optiker-Filiale. Die Bf hatte in einer Werbeanzeige für Sonnenschutzgläser das Emblem der "Aktionsgemeinschaft Artenschutz" untergebracht und darauf hingewiesen, dass sie die Aktionsgemeinschaft Artenschutz unterstütze. Auch hierin sahen die Zivilgerichte eine sittenwidrige gefühlsbetonte Werbung.

Beide Entscheidungen sind vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. In der Begründung führt die Kammer aus, dass die beanstandeten Aussagen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen. Die Gerichte haben bei der Auslegung des § 1 UWG - der als allgemeines Gesetz die Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt - dies nicht hinreichend beachtet. Zwar beanstandet die Kammer nicht, dass die Fachgerichte beide Werbeauftritte als Ansprache an das Gefühl bewertet haben. Dies reicht jedoch für die Feststellung der Sittenwidrigkeit nicht aus. Es muss vielmehr konkret festgestellt werden, dass durch die Ansprache an das Gefühl der Leistungswettbewerb als Schutzgut des Wettbewerbsrechts gefährdet wird. An diesen Feststellungen fehlt es. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar dargelegt, warum es im Wettbewerb als unbedenklich gilt, etwa den Glanz gesellschaftlicher Prominenz oder das Versprechen sportlicher Anerkennung als Kaufanreiz für bestimmte Produkte zu nutzen, andererseits aber z.B. ein Appell an das Mitgefühl mit Tieren die Grenzen des Zulässigen überschreitet.

Karlsruhe, den 25. Februar 2002