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§ 43 a StGB ist verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 35/2002 vom 20. März 2002

Urteil vom 20. März 2002
2 BvR 794/95

Mit Urteil vom heutigen Mittwoch hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2001 für Recht erkannt, dass § 43 a StGB mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar und nichtig ist.

Der Hintergrund und die Vorgeschichte des Verfahrens sind in der (s. Pressemitteilung Nr. 101/2001) vom 29. Oktober 2001 dargestellt, die auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts abgerufen werden kann. Dort ist auch § 43 a StGB abgedruckt.

Zur Begründung seiner Entscheidung stellt der Senat im Wesentlichen fest:

§ 43 a StGB ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Der Gesetzgeber hat das verfassungsrechtliche Minimum an gesetzlicher Vorausbestimmung zur Auswahl und Bemessung dieser Strafe nicht geregelt. Dadurch wird es dem von der Vermögensstrafe Betroffenen in rechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise erschwert, Art und Maß der Sanktion vorherzusehen, die er als staatliche Reaktion auf seine Straftat zu erwarten hat.

I.

1. Aus Art. 103 Abs. 2 GG folgt einerseits, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn ihre Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen worden ist. Der Bürger muss wissen, was er nicht darf. Gleichzeitig sorgt Art. 103 Abs. 2 GG dafür, dass nur der Gesetzgeber abstrakt - generell über die Strafbarkeit verbotenen Tuns entscheidet. Das Parlament ist von Verfassungs wegen verpflichtet, die Grenzen der Strafbarkeit zu bestimmen; es darf diese Entscheidung nicht anderen staatlichen Gewalten überlassen.

2. Hinreichend bestimmt sein muss aber auch die Strafandrohung. Auch hier muss der Gesetzgeber selbst Art und Maß der Strafe als missbilligende Reaktion des Staates normativ bestimmen; gleichermaßen muss die staatliche Sanktion, die dem Straftäter droht, für diesen vorhersehbar sein. Diese Grundsätze führen allerdings nicht dazu, dass nur absolute Strafen verfassungsgemäß sind, mit denen ein Höchstmaß an gesetzgeberischer Präzision und Berechenbarkeit für den Betroffenen erreicht würde. Der Gesetzgeber darf sich darauf beschränken, einen Strafrahmen vorzugeben. Dies folgt aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass die Strafe Schuld voraussetzt und dieser angemessen sein muss. Das bedeutet, dass der Straftatbestand und der Strafrahmen einander entsprechen müssen, aber auch, dass die im Einzelfall verhängte Strafe in gerechtem Verhältnis zur Schwere der Tat und Schuld des Täters stehen muss. Bei der Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit von Strafandrohungen zu stellen sind, geraten zwei Verfassungsprinzipien in ein Spannungsverhältnis, das weder durch einen allgemeinen Verzicht auf Strafrahmen noch durch eine grundsätzliche Entscheidung für möglichst weite richterliche Strafzumessungsspielräume aufgelöst werden kann. Schuldprinzip und Einzelfallgerechtigkeit auf der einen Seite sowie Bestimmtheit und Rechtssicherheit auf der anderen Seite müssen abgewogen und in einen verfassungsrechtlich tragfähigen Ausgleich gebracht werden. Der Strafgesetzgeber erfüllt seine Pflicht, wenn er durch die Wahl der Strafandrohung sowohl den Strafrichter als auch die betroffenen Bürger so genau orientiert, dass seine Bewertung der tatbestandlich beschriebenen Delikte deutlich wird, der Betroffene das Maß der drohenden Strafe abmessen kann und dem Strafrichter die Bemessung einer schuldangemessenen Strafe möglich ist. Die Pflicht des Gesetzgebers, die grundsätzlichen Entscheidungen zu Art und Ausmaß denkbarer Rechtsfolgen selbst zu treffen, ist umso dringender, je schwerer die angedrohte Strafe ist. Dem Richter sind Leitlinien an die Hand zu geben, die die Sanktionen vorhersehbar machen. Insbesondere müssen die Art der für den jeweiligen Tatbestand in Frage kommenden Sanktionen - auch wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes - sowie Ober- und Untergrenze einer angedrohten Strafe im Gesetz festgelegt werden. Schließlich ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch zur Angabe von Wertungskriterien verpflichtet, an die sich die richterliche Entscheidung bei der Auswahl der Strafart und der Ausfüllung des konkreten Strafrahmens zu halten hat. Nur mit Hilfe im Gesetz festgelegter und richterrechtlich konkretisierter Strafzumessungsregeln wird es im Einzelfall gelingen, weite Strafrahmen rechtsstaatlich handhabbar zu machen.

II.

§ 43 a StGB ist eine Strafe, kein Instrument der Gewinnabschöpfung, wie der Senat feststellt. Als solche genügt sie nicht den dargestellten Anforderungen. Gerade wegen der Kombination aus Freiheitsentzug und Vermögensstrafe handelt es sich um einen intensiven Grundrechtseingriff, für den erhöhte Anforderungen an die Bestimmtheit des Gesetzes zu stellen sind.

Schon für die Frage, ob eine Vermögensstrafe verhängt werden soll, sind die inhaltlichen Vorgaben des Gesetzes ungenügend. Insoweit wird lediglich gefordert, dass eine Tat begangen wurde, deren Straftatbestand auf § 43 a StGB verweist, und dass eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt worden ist. Damit fehlt dem Strafrichter jegliche inhaltliche Vorgabe, nach der er entscheiden könnte, in welchen dieser Fälle er eine Vermögensstrafe wählen soll und in welchen nicht. Dies widerspricht dem Zweck des Bestimmtheitsgebots mit seinen besonderen Anforderungen bei hohen und komplexen Strafandrohungen. Wie der Senat ausführt, fordert gerade die Vermögensstrafe als neue Strafart von erheblicher Eingriffsintensität, dass den Richtern besonders präzise, verlässliche und kontrollierbare Strafzumessungsregeln an die Hand gegeben werden.

Auch der Strafrahmen der Vermögensstrafe ist nicht ausreichend vom Gesetzgeber festgelegt worden. Die Obergrenze besteht im jeweiligen Vermögen des Täters, eine abstrakte Grenze wie etwa bei der Geldstrafe ist nicht festgelegt. Der Richter muss den Wert dieses Vermögens notfalls schätzen. Damit wird jedoch eine Rechtssetzungsaufgabe auf den Richter übertragen, der der Gesetzgeber sich nicht entziehen darf. Denn der gesetzliche Strafrahmen drückt auch den Unwertgehalt aus, den der Gesetzgeber dem strafbaren Verhalten beimisst. Er dient dem Richter zur Orientierung für die Einordnung des von ihm zu entscheidenden Einzelfalls. Diese Funktion kann ein Strafrahmen ohne abstrakte Obergrenze nicht erfüllen. Stützt sich die Obergrenze der Vermögensstrafe allein darauf, wie viel an Vermögensmasse faktisch existiert, leidet in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmender Weise die Vorhersehbarkeit einer zu erwartenden Vermögensstrafe. Dieser Mangel wird nicht dadurch aufgefangen, dass die verhängte Freiheitsstrafe und die Vermögensstrafe zusammen schuldangemessen sein müssen. Jede Einzelstrafe als Teil einer Gesamtsanktion muss hinreichend bestimmt sein.

Darüber hinaus besteht die Gefahr einer Kollision mit dem Schuldprinzip. Die schuldangemessene Sanktion lässt sich beim Zusammentreffen mehrerer Strafen nicht so leicht bestimmen wie bei der Festsetzung einer einzigen Strafe, die in ihren Wirkungen auf den Täter besser abschätzbar ist. Auch deshalb hätte der Gesetzgeber selbst konkrete Leitlinien für die richterliche Strafzumessung bereitstellen müssen.

Die mangelnde Bestimmtheit des § 43 a StGB wird verstärkt durch die Orientierung der Obergrenze am Vermögen des Täters. Der Wert des Vermögens ist eine für eine Strafrechtsnorm zu unbestimmte Größe. Dies zeigt sich schon in dem der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ausgangsfall. Der vom Landgericht zugrundegelegte Verkehrswert eines Hausgrundstücks weicht unter Umständen ab von dem tatsächlich realisierbaren Wert, der bei einem Notverkauf im Wege der Zwangsversteigerung erzielt werden kann. Welcher Wert der Vermögensbestimmung zugrundezulegen ist, lässt sich § 43 a StGB nicht entnehmen.

Verschärft wird die gesetzliche Unbestimmtheit durch die Schätzklausel. Eine Schätzung birgt immer die Gefahr einer Abweichung von der Realität. Sie kann zur Festsetzung eines Werts führen, der über dem tatsächlichen Wert des Vermögens liegt, zumal der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" bei einer Schätzung nicht zur Anwendung kommt, so dass nicht stets der dem Täter günstigste Schätzwert zugrundezulegen ist. Damit besteht das Risiko, dass der Richter eine Strafe verhängt, die nicht mehr durch das Vermögen des Täters begrenzt ist, sondern dieses übersteigt.

Wie der Senat weiter ausführt, fehlt es zudem an gesetzlichen Vorgaben dafür, welche Zumessungskriterien für die Höhe der Vermögensstrafe ausschlaggebend sein sollen und wie das Verhältnis von Vermögensstrafe zur Freiheitsstrafe und in Relation dazu der angedrohten Ersatzfreiheitsstrafe zu gestalten ist.

III.

Die Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff haben der Entscheidung eine abweichende Meinung beigefügt. Sie sind der Auffassung, dass es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, wenn der Gesetzgeber dem Richter hinsichtlich des Strafmaßes einen großen Entscheidungsraum eröffnet. Dies kann sogar gefordert sein, um dem Strafrichter ein ausreichend hohes Maß an Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen. Im Zusammenhang mit den Strafnormen für Bandendelikte, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln oder Schleuserkriminalität, die auf § 43 a StGB verweisen, und unter Berücksichtigung allgemeiner Strafzumessungsgrundsätze bestehen für den Richter hinreichend Vorgaben, in welchen Fällen er die Vermögensstrafe wählen soll. Höchst- und Mindestmaß der Strafe müssen im Gesetz nicht notwendigerweise beziffert oder in sonstiger Weise einer allgemeinen gültigen, von den individuellen Verhältnissen des Täters unabhängigen Grenze unterworfen werden. Eine bezifferte Obergrenze der Vermögensstrafe begünstigt reiche Täter und nimmt der Vermögensstrafe die bei gewinnorientierter Kriminalität erforderliche Wirkung. Der Begriff "Vermögen" trägt wesentlich zur Bestimmtheit der Strafandrohung des § 43 a StGB bei, weil er methodisch besser gesichert und nachprüfbar ist als normative Konzepte. Schließlich ist es weder möglich noch verfassungsrechtlich geboten, einen exakten Umrechnungsschlüssel von Freiheitsstrafe in Geldstrafe vorzugeben, weil Opfergleichheit stets von individuellen Faktoren der Strafempfindlichkeit abhängt.

Karlsruhe, den 20. März 2002