Bundesverfassungsgericht

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CDU/CSU teilweise erfolgreich im Verfahren im "Parteispendenuntersuchungsausschuss"

Pressemitteilung Nr. 44/2002 vom 8. April 2002

Urteil vom 08. April 2002
2 BvE 2/01

Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass der Parteispendenuntersuchungsausschuss durch die Ablehnung von Beweisanträgen der CDU/CSU-Vertreter und die Nichterhebung bereits beschlossener Beweise in einigen Fällen gegen Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen hat.

Die Vorgeschichte und der Hintergrund des Verfahrens sind dargestellt in der Pressemitteilung Nr. 29/2002 vom 7. März 2002, die auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts eingesehen werden kann.

Das Bundesverfassungsgericht führt zur Begründung seines Urteils in der Hauptsache aus:

I.

1. Die Anträge sind im Wesentlichen zulässig. Die CDU/CSU-Fraktion (Antragstellerin zu 1.) ebenso wie deren Vertreter im Ausschuss (Antragsteller zu 2.) sind parteifähig und antragsbefugt. Sie können die Verletzung der Minderheitsrechte aus Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG im Organstreit geltend machen.

2. Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG verleiht der qualifizierten Minderheit im Ausschuss Rechte auf Beweiserhebung. Der Charakter von Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG als einer in der parlamentarischen Demokratie vornehmlich die Opposition gegen Regierung und Regierungsmehrheit schützende Vorschrift zeigt sich schon daran, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss bereits auf Antrag (lediglich) eines Viertels der Abgeordneten eingesetzt werden muss. Dieser Minderheitsschutz setzt sich im weiteren Verfahren fort. Den Abgeordneten einer einsetzungsberechtigten Fraktion muss im Rahmen des Untersuchungsauftrags die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb des fortbestehenden Mehrheitsprinzips über die Beweiserhebung angemessen mitbestimmen zu können.

Dieses Recht der qualifizierten Minderheit besteht auch in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der auf Antrag der Mehrheitsfraktion im Bundestag eingesetzt worden ist (Mehrheitsenquête). Anderenfalls müsste die Opposition quasi bei jeder Mehrheitsenquête einen eigenen Einsetzungsantrag stellen und es müssten dann zwei Ausschüsse zum gleichen Thema tagen. Dies widerspräche der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Arbeit. Die potentiell einsetzungsberechtigte Minderheit behält deshalb die Verfahrensrechte aus Art. 44 GG selbst dann, wenn sie zunächst gegen die Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses gestimmt hat. Sie muss gleichwohl die Beweiserhebung mitgestalten können, um eine aus ihrer Sicht ausgewogene Aufklärung des zu untersuchenden Sachverhalts sicherzustellen.

Den Beweisanträgen einer Minderheitsfraktion im Ausschuss ist danach Folge zu leisten, es sei denn diese stellen sich als sachwidrig oder offensichtlich missbräuchlich dar. Dies kann der Fall sein, wenn die beantragte Beweiserhebung außerhalb des Untersuchungsauftrags liegt oder rechtswidrig ist, wenn sie lediglich der Verzögerung dient oder sonst offensichtlich missbräuchlich ist. Die Ablehnung eines Beweisantrags darf nicht allein auf das Mehrheitsprinzip des Art. 42 Abs. 2 GG gestützt sein, sie muss vielmehr begründet werden. Aufgrund der parlamentarischen Autonomie und der besonderen Natur des Untersuchungsverfahrens kann das von der Minderheit angerufene Gericht lediglich nachprüfen, ob eine derartige Begründung der Mehrheit nachvollziehbar und der durch die Verfahrensautonomie der Mehrheit eröffnete Wertungsrahmen in vertretbarer Weise ausgefüllt worden ist. Daran kann es fehlen, wenn die Begründung den Beleg der Sachwidrigkeit nicht erkennen lässt oder wenn die Auslegung des Untersuchungsauftrages durch die Mehrheit mit juristischen Auslegungsmethoden nicht mehr nachvollziehbar ist.

3. Hat der Ausschuss einen Beweisbeschluss gefasst, ist dieser grundsätzlich zu vollziehen. Die Verfahrensherrschaft über Terminierung und Reihenfolge der Beweiserhebung liegt grundsätzlich bei der Ausschussmehrheit. Das Recht der Minderheit auf angemessene Beteiligung besteht aber auch insoweit. Können nicht mehr alle Beweisbeschlüsse bearbeitet werden, muss die Mehrheit durch entsprechende Verfahrensregeln sicherstellen, dass die Minderheit angemessen berücksichtigt wird.

II.

Nach diesen Maßstäben gilt für die von den Antragstellern im Einzelnen beanstandeten Komplexe:

1. Der Ausschuss durfte mit einer Ausnahme von der Vollziehung der bereits gefassten Beweisbeschlüsse absehen. So musste Bundeskanzler Schröder nicht als Zeuge gehört werden, weil seine Vernehmung zum Komplex Leuna/Minol nicht ordnungsgemäß beantragt worden ist, wie der Senat im Einzelnen ausführt. Ohne Verfassungsverstoß konnte die Ausschussmehrheit ferner davon absehen, den parlamentarischen Staatssekretär Diller und den ehemaligen Leiter der BVS Himstedt auch als Zeugen zu vernehmen, nachdem beide bereits als Auskunftspersonen gehört worden waren. Auch der Verzicht auf den Vollzug der Beweisbeschlüsse betreffend die früheren Bundesschatzmeister der SPD ist ebenso wenig zu beanstanden wie die unterlassene Vernehmung des Finanzberaters und Revisors beim SPD-Parteivorstand Feldmann. Insoweit war der Anlass für den ursprünglichen Beweisbeschluss später entfallen. Hingegen genügt die Begründung der Ausschussmehrheit dafür, dass von der Vernehmung Bundesfinanzministers Eichels trotz des gefassten Beweisbeschlusses abgesehen wurde, nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

2. In Hinblick auf die Ablehnung diverser Beweisanträge der Antragsteller zu 2. stellt das Gericht fest, dass der Antrag betreffend die Beweiserhebung zu einer Großspende von Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin unbegründet ist. Bei den übrigen vier Komplexen ist das Recht der Ausschussminderheit durch die Ablehnung der Beweisanträge jedoch verletzt worden. Dies bezieht sich auf die Vermögensbeteiligungen der SPD sowie deren Nachweis im Rechenschaftsbericht. Das Gericht führt im Einzelnen aus, inwiefern die Begründung der Ausschussmehrheit für die Ablehnung dieser Beweisanträge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt.

3. Darüber hinaus ist der Beschluss vom 15. November 2001 für sich genommen nicht verfassungswidrig. Allerdings wird in künftigen Fällen der Ausschuss dafür Sorge zu tragen haben, dass Beschlüsse, die die Beweisaufnahme beenden sollen, unter Beachtung von Regeln gefasst werden, die es sowohl der Mehrheit als auch jedenfalls der qualifizierten Minderheit erlauben, noch in ausreichendem Umfang die von ihnen jeweils für unabdingbar gehaltenen Beweise zu erheben. Bei begrenztem Zeitbudget, insbesondere nahendem Ende der Legislaturperiode muss der Ausschuss dafür Regeln aufstellen, wie Mehrheit und Minderheit im Ausschuss mit ihren Beweisbegehren noch angemessen zum Zuge kommen. Beweisanträge der Minderheit dürfen in der Terminierung nicht solange vernachlässigt werden, bis unter Zeitdruck die Beweisaufnahme beendet wird. Unter Geltung fairer Verfahrensregeln kann jedoch der Mehrheit wie der Minderheit gleichermaßen zuzumuten sein, auf einen Teil bereits beschlossener Beweise zu verzichten, wenn nur so der Abschlussbericht rechtzeitig an das Plenum weitergeleitet werden kann.

III.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Urteil nicht entschieden, dass die zu Unrecht abgelehnten Beweiserhebungen nachgeholt werden müssen. Dies wird der Ausschuss unter Berücksichtigung der festgestellten Rechte der Antragssteller neu zu entscheiden haben. Dabei wird auch von Bedeutung sein, ob neue Umstände es erfordern, andere Prioritäten zu setzen. Auch insoweit gilt jedoch das Gebot, dabei ein Verfahren zu wählen, das die Interessen von Mehrheit und Minderheit zu einem angemessenen Ausgleich bringt.

Karlsruhe, den 8. April 2002