Bundesverfassungsgericht

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Zum Vertrauensschutz im Sozialversicherungsrecht

Pressemitteilung Nr. 53/2002 vom 28. Mai 2002

Beschluss vom 20. Februar 2002
1 BvL 19/97

Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des Vertrauensschutzes im Sozialversicherungsrecht bekräftigt. Mit seinem Beschluss vom 20. Februar 2002 hat der Erste Senat mehrere Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt für unzulässig erklärt, die die Anrechnung von Unfallrenten auf die Alters- und Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Rentenversicherung betreffen.

§ 93 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sieht eine solche Anrechnung vor, kennt davon aber Ausnahmen. Das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25. September 1996 hat die Ausnahmetatbestände des § 93 Abs. 5 SGB VI enger gefasst und die Gesetzesänderung rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft gesetzt. Die vorlegenden Gerichte sind der Auffassung, dass die neu gefasste Vorschrift die in der Zeit zwischen 1993 und 1995 ergangenen und den Gegenstand der Ausgangsverfahren bildenden Bescheide über die Anrechnung der Unfallrente nachträglich rechtlich bestätige, jedoch, soweit sie sich diese Rückwirkung beilege, wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig sei. Sie haben diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Erste Senat hat die Unzulässigkeit der Vorlagen festgestellt. Es ist nicht in der gebotenen Weise dargetan, dass es auf die Vorlagefrage für die Entscheidung der Ausgangsverfahren ankomme. Es wäre insbesondere zu prüfen gewesen, ob die Vertrauensschutzregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts als Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips eine rückwirkende Anwendung des § 93 Abs. 5 SGB VI ausschließen. Den Vorschriften der §§ 45, 47 und 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Empfänger von Sozialleistungen vor der Aufhebung sie begünstigender Verwaltungsakte in besonderer Weise geschützt werden sollen. Die vorliegenden Gerichte haben nicht begründet, inwieweit trotz dieser Vertrauensschutzgewährleistungen eine rückwirkende Anwendung der Anrechnungsvorschrift zu Lasten der Berechtigten in den Jahren zwischen 1993 und 1995 in Betracht kommt.

Karlsruhe, den 28. Mai 2002