Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerden gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis wegen Verweigerung eines Drogenscreenings

Pressemitteilung Nr. 62/2002 vom 12. Juli 2002

Beschluss vom 20. Juni 2002, Beschluss vom 08. Juli 2002
1 BvR 2062/96
1 BvR 2428/95

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Beschwerdeführers (Bf) stattgegeben, dessen Fahrerlaubnis entzogen wurde, nachdem er sich geweigert hatte, ein behördlich angeordnetes Drogenscreening beizubringen. Die auf die Entziehung der Fahrerlaubnis bezogenen Behörden- und Gerichtsentscheidungen wurden aufgehoben. In einem anderen Fall hingegen wurde die Vb nicht zur Entscheidung angenommen und die Voraussetzungen für die Anordnung des Drogenscreenings wurden bejaht.

Im ersten Fall wurde der Bf 1994 anlässlich einer Einreise aus den Niederlanden nach Deutschland einer polizeilichen Kontrolle unterzogen. Dabei wurden fünf Gramm Haschisch gefunden. Der Beschwerdeführer kam einer Aufforderung der Stadt Freiburg i.Br., ein Drogenscreening vorzulegen, nicht nach. Daraufhin entzog die Stadt ihm die Fahrerlaubnis. Rechtsmittel blieben erfolglos.

Nach heutigem wie nach früher geltendem Recht ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Erlaubnisinhaber zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Bei hinreichendem Verdacht des Vorliegens erheblicher Eignungsmängel ist die zuständige Behörde ermächtigt, dem Erlaubnisinhaber aufzugeben, bestimmte Gutachten über seine Kraftfahreignung beizubringen (Drogenscreening). Die Missachtung dieser Anordnung hat regelmäßig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge.

Die Kammer stellt eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Bf fest. Diese Freiheit erfasst auch das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr. Der in dem Entzug der Fahrerlaubnis liegende Eingriff in die Handlungsfreiheit war im vorliegenden Fall verfassungswidrig, weil er in keinem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß der Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs stand. Es fehlte nämlich als Grundlage der Überprüfung der Fahreignung ein hinreichender Tatverdacht, der einen Eignungsmangel nahe legte. In Übereinstimmung mit einer jüngeren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (NJW 2002, S. 78 ) geht die Kammer davon aus, dass der einmalige oder nur gelegentliche Cannabiskonsum ohne Bezug zum Straßenverkehr für sich allein kein hinreichendes Verdachtselement bildet.

Zu dieser Einschätzung kommt die Kammer auf Grund von fachlichen Stellungnahmen und gutachtlichen Äußerungen, die sie zu den Wirkungen des Konsums von Cannabis, Alkohol und anderen bewusstseinsverändernden Mitteln eingeholt hatte. Dazu führt die Kammer unter anderem aus: Der Konsum von Cannabis könne die Fahreignung ausschließen. Die Fahrtüchtigkeit einer Person sei im akuten Haschischrausch und während der Dauer einer mehrstündigen Abklingphase aufgehoben. Nach heutiger Erkenntnis bestehe in aller Regel aber kein Anlass zu der Befürchtung, dass der einmalige oder gelegentliche Konsum von Haschisch bei den Betroffenen zu einer anhaltenden fahreignungsrelevanten Absenkung ihrer körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit führe. Bei einmaligem oder gelegentlichem Haschischkonsum sei es auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Betroffene eine drogenkonsumbedingte zeitweilige Fahruntüchtigkeit nicht rechtzeitig erkennen oder dennoch nicht von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr absehen könne.

Bei dieser Sachlage durfte die Fahrerlaubnis nicht allein auf der Grundlage des einmalig festgestellten Haschischbesitzes und der Weigerung, am Drogenscreening teilzunehmen, entzogen werden. Die Kammer betont aber, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken an einer Fahreignungsprüfung bestehen, wenn über den bloßen Besitz von Cannabis hinaus konkrete tatsächliche Verdachtsmomente dafür ermittelt worden sind, dass der Betroffene den Konsum von Cannabis und die aktive Teilnahme am Straßenverkehr nicht zuverlässig zu trennen vermag oder zu trennen bereit ist. Dann kann weiterhin die aktive Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers verlangt und darf die Verweigerung zum Nachteil des Betroffenen gewürdigt werden. In dem weiteren Fall hatte die Polizei nicht nur Cannabisbesitz festgestellt, sondern auch die Reste eines mit Haschisch versetzten Joints im Aschenbecher des Fahrzeugs gefunden.

Karlsruhe, den 12. Juli 2002