Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur Landeskinder-Klausel bei der Auswahl von Notaren

Pressemitteilung Nr. 87/2002 vom 11. Oktober 2002

Beschluss vom 20. September 2002
1 BvR 819/01

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat zwei Verfassungsbeschwerden (Vb) von Notaren (Bf) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb betreffen den Abbruch einer Ausschreibung von Notarstellen aufgrund der so genannten Landeskinder-Klausel. Danach soll als Notar in der Regel nur bestellt werden, wer sich im Anwärterdienst des Landes befindet, in dem er sich um die Bestellung bewirbt.

1. Die Bf sind seit 1998 als Notare an verschiedenen Amtssitzen in einem der neuen Bundesländer bestellt. Ihre juristische Ausbildung haben sie in Nordrhein-Westfalen, den Notaranwärterdienst in dem neuen Bundesland absolviert. Im Jahr 1999 kam es in Nordrhein-Westfalen zur Ausschreibung einer unplanmäßig freigewordenen und einer neu eingerichteten Notarstelle. Darauf bewarben sich auch die Bf, jedoch kein Notarassessor aus Nordrhein-Westfalen. Deshalb wurden die Ausschreibungsverfahren abgebrochen. Dies teilte der Justizminister den Bf im Februar 2000 in Nicht- Besetzungs-Bescheiden mit und kündigte eine erneute Ausschreibung an. Rechtsmittel blieben erfolglos. Hiergegen richten sich ihre Vb. Sie rügen, die Ablehnung beruhe nicht auf Zweifeln an ihrer Qualifikation, sondern allein darauf, dass sie ihren Anwärterdienst nicht in Nordrhein-Westfalen abgeleistet hätten.

Die Stellen wurden in der Folge erneut ausgeschrieben. Wiederum bewarben sich keine Assessoren des Landes. Die fünf in Betracht kommenden Personen hatten nämlich andere inzwischen frei gewordene Notariate übernommen. Nachdem die vorliegenden Vb schon anhängig waren, widerrief das Justizministerium seine Nicht-Besetzungs-Bescheide und entschied sich für einen der Bf und für einen dritten aus den neuen Ländern stammenden Bewerber. Der andere Bf hat dagegen keine weiteren rechtlichen Schritte unternommen.

2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb liegen nicht mehr vor. Sie bleiben im Ergebnis erfolglos, da sie sich mit der Wiederaufnahme der Auswahlverfahren erledigt haben. Die beiden Notarstellen wurden mit einem der Bf und dem dritten Bewerber besetzt. Damit sind die von den Bf geltend gemachten Grundrechtsverletzungen durch Anwendung der sogenannten Landeskinder-Klausel letztlich unterblieben.

Der Beschluss unterstreicht die Bedeutung einer Senatsentscheidung aus dem Jahr 1986, in der aus Art. 12 GG eine angemessene Verfahrensgestaltung für die Auswahl der Notare abgeleitet worden ist. Durch die Art der Bekanntgabe der offenen Stellen, die Terminierung von Bewerbungen und Besetzungen, aber auch durch den Abbruch von laufenden Verfahren kann die Zusammensetzung des Bewerberkreises gesteuert werden und in grundrechtsrelevanter Weise Einfluss auf die Chancengleichheit der Bewerber genommen werden. Vorliegend entsprach die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zwar steht der Justizverwaltung bei der Auswahl der Notare im Rahmen ihrer Organisationsgewalt ein weiter Ermessensspielraum zu. Die dabei zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen sind jedoch im Hinblick auf die Grundrechte der Bewerber zu gewichten und mit verhältnismäßigen Mitteln durchzusetzen. Hierzu führt die Kammer aus:

Der Abbruch der Auswahlverfahren wurde unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer hohen Qualität des hauptberuflichen Notariats nicht nachvollziehbar begründet. Dass die Bewerber keine Landeskinder sind, begründet für sich genommen nicht ihre mangelnde Eignung. Das belegt schon die Tatsache, dass mittlerweile die beiden Notarstellen an zwei der ursprünglichen Bewerber vergeben worden sind. Wird das Verfahren abgebrochen, wird die mangelnde Eignung vorhandener Bewerber nicht verbindlich festgestellt, so dass auf die im Lande zur Verfügung stehenden Assessoren nicht einmal über § 7 Abs. 7 Nr. 3 BNotO eingewirkt werden kann.

Da Notarstellen zahlenmäßig begrenzt sind, darf und muss die Justizverwaltung die Personalplanung vorausschauend gestalten. Dies soll gewährleisten, dass genügend Notarassessoren für die Besetzung der Notarstellen, aber auch genügend Stellen für die ausgebildeten Assessoren zur Verfügung stehen. Wird ein Bewerber nur wegen seiner Herkunft aus einem anderen Bundesland abgelehnt, muss die Begründung auf die konkrete Situation eingehen und die ausgeschriebenen Stellen, die demnächst frei werdenden Amtssitze sowie Zahl und Ausbildungsstand der beschäftigten Assessoren zueinander in Beziehung setzen. Sind wie hier Stellen unplanmäßig zu besetzen, gilt dies in besonderem Maße. Die Gefahr, dass es wegen auswärtiger Bewerber zu einem Überhang ausgebildeter Notarassessoren käme, ist konkret darzulegen.

Bei einem Wechsel über die Landesgrenzen hinweg kommt auch den öffentlichen Belangen einer geordneten Rechtspflege in Gestalt der notariellen Versorgung ländlich strukturierter Gebiete nur beschränkte Bedeutung zu. Ein solcher Wechsel belastet das abgebende Land nämlich dann nicht, wenn in ihm strukturbedingt Notarstellen eingezogen werden müssen.

Schließlich kann der Abbruch der Ausschreibung einer Notariatsstelle nicht sachlich nachvollziehbar damit begründet werden, dass die Justizverwaltung das Notariat trotz zahlenmäßig unveränderten Bedarfs nunmehr für entbehrlich hält. Solche "Probe-Ausschreibungen" zur Sichtung von Bewerbern nehmen den vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtsrelevant eingestuften Einfluss auf die Chancengleichheit der Bewerber, ohne von hinlänglichen Sachgründen getragen zu sein.

Karlsruhe, den 11. Oktober 2002

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 87/2002 vom 11. Oktober 2002

§ 7 Abs. 1 Bundesnotarordnung (BNotO)

(1) Zur hauptberuflichen Amtsausübung als Notar (§ 3 Abs. 1) soll in der Regel nur bestellt werden, wer einen dreijährigen Anwärterdienst als Notarassessor geleistet hat und sich im Anwärterdienst des Landes befindet, in dem er sich um die Bestellung bewirbt.

§ 7 Abs. 7 Bundesnotarordnung (BNotO)

(7) Der Notarassessor ist aus dem Dienst zu entlassen, wenn er seine Entlassung beantragt. Er kann entlassen werden, wenn er 1. sich zur Bestellung zum Notar als ungeeignet erweist, 2. ohne hinreichenden Grund binnen einer von der Landesjustizverwaltung zu bestimmenden Frist, die zwei Monate nicht übersteigen soll, den Anwärterdienst nicht antritt, 3. nach Ableistung des dreijährigen Anwärterdienstes sich ohne hinreichenden Grund um eine ihm von der Landesjustizverwaltung angebotene Notarstelle nicht bewirbt, die zuvor ausgeschrieben worden ist und die mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt werden konnte.