Bundesverfassungsgericht

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Tag der offenen Tür Verhandlungen des Ersten Senats am 19. und 20. November 2002

Pressemitteilung Nr. 92/2002 vom 21. Oktober 2002

Der Erste Senat verhandelt im Rahmen des "Tages der offenen Tür" (vgl. Pressemitteilung Nr. 89/2002) am

D i e n s t a g, dem 19. November 2002 und
M i t t w o c h, dem 20. November 2002,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe

folgende Verfassungsbeschwerde- und Normenkontrollverfahren:

1. Dienstag, den 19. November 2002, 9.30 Uhr: Gemeinsame elterliche Sorge nichtverheirateter Eltern für nichteheliche Kinder - 1 BvL 20/99 - und - 1 BvR 933/01 -

Nach geltendem Familienrecht hat grundsätzlich allein die Mutter die elterliche Sorge für ein nichtehelich geborenes Kind. Der Vater kann die Sorge für das Kind nur dann zusammen mit der Mutter tragen, wenn er die Mutter heiratet oder wenn die Eltern erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (§ 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch ; siehe Anlage). Gegen den Willen der Mutter ist es demnach nicht möglich, die gemeinsame elterliche Sorge für ein nichtehelich geborenes Kind zu begründen. Leben die Eltern getrennt, kann auch die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater nur mit Zustimmung der Mutter erfolgen (§ 1672 Abs. 1 BGB).

Dem Vater kann gegen den Willen der Mutter lediglich dann das Sorgerecht übertragen werden, wenn diese z. B. ihr Sorgerecht missbraucht oder das Kind vernachlässigt, ihr deshalb die elterliche Sorge durch das Familiengericht entzogen wird und eine Übertragung der Sorge auf den Vater dem Wohl des Kindes dient (§§ 1666, 1680 BGB). Gleiches gilt bei tatsächlicher Verhinderung oder Tod der Mutter.

In beiden Ausgangsfällen lebte der Vater in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit der Mutter und dem gemeinsamen nichtehelich geborenen Kind zusammen, bis sich die Mutter von ihm trennte und mit dem Kind auszog. In der Folge begehrte jeder der Väter, ihm zusammen mit der Mutter die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind zu übertragen. Die Mütter verweigerten jedoch die Abgabe einer entsprechenden Sorgerechtserklärung.

In einem der Fälle setzte das Familiengericht das Verfahren aus. Nach Überzeugung des Familiengerichts verstößt die gesetzliche Regelung gegen Art. 6 Abs. 2 GG, weil durch sie das Elternrecht des Vaters auf Pflege und Erziehung seines leiblichen Kindes ausnahmslos zur Disposition der Mutter gestellt werde. Dies werde jedenfalls dann dem Einzelfall nicht gerecht, wenn der Vater längere Zeit faktisch für das Kind gesorgt habe. Das Familiengericht hat deshalb dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob es mit Art. 6 Abs. 2 und Abs. 5 GG vereinbar ist, dass gemäß § 1626 a, 1672 BGB der Vater eines nichtehelichen Kindes, der mit der Kindesmutter und dem Kind mehrere Jahre in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft zusammengelebt hat, nach Trennung der Eltern ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalls die gemeinsame Sorge für sein Kind nicht zugesprochen erhalten kann, solange die Kindesmutter ihre Zustimmung hierzu verweigert.

Im anderen Ausgangsfall lehnte das Familiengericht den Antrag eines Vaters ab, ihm gemeinsam mit der Mutter die elterliche Sorge für ihr nichteheliches Kind zu übertragen. Rechtsmittel hiergegen blieben vor dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hält § 1626a BGB für verfassungsmäßig. Hiergegen haben Vater und Sohn Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügen insbesondere die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 und Art. 6 Abs. 2 GG. Eine gemeinsame elterliche Sorge müsse möglich sein, wenn dies im Einzelfall dem Kindeswohl am besten entspreche.

2. Dienstag, den 19. November 2002, 11.30 Uhr: Gebührenabschlag Ost für Rechtsanwälte - 1 BvR 487/01 -

In dem Verfassungsbeschwerde-Verfahren geht es um die in den neuen Bundesländern geltende Ermäßigung der Gebühren für Rechtsanwälte. Diese betrifft Rechtsanwälte, die ihren Kanzleisitz in den neuen Bundesländern haben oder für einen Mandanten von dort bei einem Gericht oder einer Behörde im Beitrittsgebiet tätig werden. Der Gebührenabschlag beruht auf dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990. Er betrug ursprünglich 20 %. Damit soll den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik Rechnung getragen werden. Im Jahr 1996 wurde der Ermäßigungssatz im Wege der Anpassung auf 10 % verringert. Er gilt bis heute unverändert fort. für den Ostteil Berlins ist er allerdings seit 1. März 2002 aufgehoben worden.

Die Beschwerdeführerin (Bf) im Ausgangsfall ist Rechtsanwältin. Sie praktizierte zunächst in Stuttgart und hat seit 1994 ihren Kanzleisitz in Dresden. In einem Scheidungsverfahren vertrat sie eine in München ansässige Mandantin beim Amtsgericht - Familiengericht - Dresden. Außerdem war eine Münchner Anwältin als Korrespondenzanwältin eingeschaltet. Die der Bf zu zahlende Vergütung setzte das Familiengericht Dresden unter Berücksichtigung des zehnprozentigen Gebührenabschlags Ost fest. Rechtsmittel blieben vor dem Amtsgericht und Oberlandesgericht (OLG) erfolglos.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Bf gegen den Beschluss des OLG und gegen die Regelung über den Gebührenabschlag Ost. Sie rügt eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Der zehnprozentige Abschlag treffe sie nur wegen ihres Kanzleisitzes im Beitrittsgebiet. Die im Scheidungsverfahren ebenfalls tätige Korrespondenzanwältin mit Sitz in München habe für die gleiche Arbeit bei gleicher Qualifikation die vollen Gebühren abrechnen können. Die Kanzlei- und Personalkosten seien im Osten und Westen gleich hoch. Der Gebührenabschlag Ost sei heute nicht mehr vertretbar aufrechtzuerhalten.

3. Mittwoch, den 20. November 2002, 9.30 Uhr: Handy-Überwachung - 1 BvR 330/96 - und - 1 BvR 348/99 -

Bei den Verfassungsbeschwerden geht es um die Frage, ob der Schutz der Pressefreiheit dem strafprozessualen Zugriff auf Verbindungsdaten entgegensteht, die sich auf Mobilfunk- und Festnetzanschlüsse von Journalisten beziehen. In einem der Ausgangsfälle recherchierten die Beschwerdeführer (Bf), das ZDF und zwei seiner journalistischen Mitarbeiter, im Fall des Dr. Jürgen Schneider, der wegen Kreditbetrugs in Milliardenhöhe, betrügerischen Betrugs und Steuerhinterziehung gesucht und später festgenommen wurde. Im anderen Ausgangsfall recherchierte eine für das Magazin STERN tätige Journalistin im Fall des mutmaßlichen Terroristen Hans-Joachim Klein. In beiden Fällen erhielten die ermittelnden Staatsanwaltschaften Kenntnis von möglichen Kontakten der Journalisten zu den gesuchten Beschuldigten. Auf ihren Antrag ordneten die zuständigen Amtsgerichte die Erhebung der Verbindungsdaten für die betreffenden Mobilfunkanschlüsse bzw. Festnetzanschlüsse der Journalisten für jeweils unterschiedlich lange Zeiträume an. Rechtsmittel der Bf blieben erfolglos.

Die Bf sehen sich vor allem in ihren Grundrechten auf Presse- und Rundfunkfreiheit sowie auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verletzt.

4. Mittwoch, den 20. November 2002, 11.30 Uhr: Mitversicherung von Kindern in der so genannten Familienversicherung - 1 BvR 624/01 -

Familienangehörige von Versicherten sind unter bestimmten Voraussetzungen beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert. In den Genuss dieser Familienversicherung kommen Kinder nicht, wenn ein Elternteil nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist und sein Gesamteinkommen eine bestimmte Grenze (sog. Jahresarbeitsentgeltgrenze) überschreitet (§ 10 Abs. 3 Fünftes Sozialgesetzbuch ; siehe Anlage). Dieser Ausschluss gilt jedoch nur, wenn die Eltern des Kindes miteinander verheiratet sind.

Der Ausgangsfall betrifft ein Ehepaar mit einem 1992 geborenen Sohn, dem Beschwerdeführer zu 1) (Bf zu 1). Die Familie lebt in häuslicher Gemeinschaft. Die Ehefrau und Mutter, die Beschwerdeführerin zu 2) (Bf zu 2) ist auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Pflichtmitglied bei einer Ersatzkasse. Der höherverdienende Ehemann ist Beamter, privat krankenversichert und für seinen Sohn mit einem Beihilfesatz von 80 % beihilfeberechtigt. Wegen der nicht durch die Beihilfe gedeckten Krankheitskosten haben die Eltern für ihren Sohn eine private Krankenversicherung abgeschlossen und zahlen hierfür Prämien. Die Bf zu 2) beantragte bei der Ersatzkasse die Feststellung, dass ihr Sohn familienversichert sei. Dies lehnte die Krankenkasse ab, weil das Gesamteinkommen des Ehemannes über der Jahresarbeitsentgeltgrenze liege. Widerspruch und Klage blieben erfolglos.

Hiergegen wendet sich die Verfassungsbeschwerde von Mutter und Sohn. Der Gleichheitsgrundsatz i.V.m. dem Ehegrundrecht sei dadurch verletzt, dass Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet seien, der Zugang zur Familienversicherung - im Unterschied zu ihnen - nicht durch § 10 Abs. 3 SGB V verschlossen sei. Sie verweisen unter anderem darauf, dass die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern deutlich zugenommen habe. Die Aufwendungen für die private Krankenversicherung seien insgesamt erheblich. Dies gelte vor allem, wenn mehrere Kinder vorhanden seien. Die Ungleichbehandlung sei unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Insbesondere stünden Kinder von Verheirateten wirtschaftlich nicht besser da als Kinder nicht verheirateter Paare. Im Übrigen leiste die Bf zu 2) im Rahmen ihrer Krankenversicherungspflicht ihren Solidarbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an den Verhandlungen teilnehmen möchten, werden gebeten, sich schriftlich für den Dienstag oder Mittwoch anzumelden (Postfach 17 71, 76006 Karlsruhe, z. Hd.: Herrn Kambeitz; Fax: 0721/9101-461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer für Rückfragen anzugeben.

Karlsruhe, den 21. Oktober 2002

Anlage zu Pressemitteilung Nr. 92/2002 vom 21. Oktober 2002:

§ 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern; Sorgeerklärungen

(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge dann gemeinsam zu, wenn sie 1. erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen), oder 2. einander heiraten.

(2) Im übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge

§ 10 Abs. 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V)

Kinder sind nicht versichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte oder Lebenspartner des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist; bei Renten wird der Zahlbetrag berücksichtigt.

Hinweis: Die Regelung betrifft Beamte, Selbständige und solche Arbeitnehmer, die wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht (mehr) in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind. Die Jahresarbeitsentgeltgrenze liegt derzeit bei 3.350 € monatlich.