Bundesverfassungsgericht

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Zur Verwertbarkeit von Zeugenaussagen über rechtswidrig mitgehörte Telefongespräche

Pressemitteilung Nr. 95/2002 vom 31. Oktober 2002

Beschluss vom 09. Oktober 2002
1 BvR 1611/96

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Verfassungsbeschwerden (Vb) zweier Beschwerdeführer (Bf) stattgegeben, in denen es um die zivilgerichtliche Verwertbarkeit von Zeugenaussagen über den Inhalt von Telefongesprächen ging. Die Zeugen hatten die Telefonate zwischen dem jeweiligen Bf und dessen Vertragspartner über eine Mithörvorrichtung mitverfolgt, ohne dass die Bf davon wussten. In den inhaltlich umstrittenen Telefonaten war es um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags zwischen einem der Bf und seinem Käufer sowie um Abfindungsansprüche aus einem Mietverhältnis zwischen dem anderen Bf und seinem Vermieter gegangen. Der Käufer und der Vermieter hatten sich in den folgenden Zivilprozessen gegenüber dem Bf zum Beweis für ihre Darstellung des für den Prozessausgang erheblichen Inhalts der Telefongespräche jeweils auf den Zeugen berufen, der dieses Telefonat über eine Freisprechanlage mitgehört hatte. Die jeweilige Berufungsinstanz hatte auf Grund dieser Zeugenaussagen jeden Bf antragsgemäß verurteilt. Dagegen richteten sich die Vb. Die Bf sehen sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Außerdem wurde die Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses gerügt.

Der Erste Senat stellt fest, dass die Gerichte durch die Vernehmung der Zeugen und die Verwertung ihrer Aussagen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Bf verletzt haben. Die Entscheidungen wurden aufgehoben und an das jeweilige Berufungsgericht zur Neuverhandlung zurückverwiesen. Der Senat führt im Wesentlichen aus:

1. Die Bf werden nicht in ihrem Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verletzt. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat und einen Auftrag an den Staat, Schutz auch insoweit vorzusehen, als private Dritte sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen. Dieser Schutz erstreckt sich auch auf die von Privaten betriebenen Telekommunikationsanlagen. Dieser Schutzbereich ist jedoch nicht betroffen, wenn einer der Gesprächsteilnehmer einen Dritten auf Grund einer technischen Einrichtung mithören lässt. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses schützt nämlich nicht das Vertrauen der Kommunikationspartner untereinander, sondern die Vertraulichkeit der Nutzung des zur Nachrichtenübermittlung eingesetzten technischen Mediums.

2. Das Grundgesetz schützt neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht am gesprochenen Wort. Dieses Recht, auf das sich auch eine juristische Person des Privatrechts berufen kann, gewährleistet die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen. Dazu gehört das Recht, selbst die Auswahl der Personen zu bestimmen, die Kenntnis vom Gesprächsinhalt erhalten sollen. Das Grundgesetz schützt deshalb davor, dass Gespräche heimlich aufgenommen und ohne Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet werden. Der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort ist dabei unabhängig von den Kommunikationsinhalten oder einer Vertraulichkeitsvereinbarung.

Die Erhebung und Verwertung der Zeugenaussagen durch die Gerichte greifen in den Schutzbereich des Rechts am gesprochenen Wort ein. Die Gesprächspartner der Bf missachteten das von diesen ausgeübte Selbstbestimmungsrecht, als sie Dritte unerkannt mithören ließen. Auch bei der Klärung der Frage, ob die Bf das Mithören stillschweigend gebilligt hätten oder damit hätten rechnen müssen, haben die Gerichte das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Gesprächsteilnehmer nicht hinreichend berücksichtigt. Um eine stillschweigende Einwilligung annehmen zu können, hätte das Gericht feststellen müssen, dass eine technisch mögliche Nutzung zum Mithören unter den gegebenen Bedingungen des sozialen, geschäftlichen oder privaten Kommunikationsverhaltens so verstanden wird, dass einem Dritten ohne Zustimmung sämtlicher Gesprächspartner das heimliche Zuhören des Gesprächs ermöglicht werden darf, sofern nicht vorsorglich von allen widersprochen wird. Daran fehlt es hier aber.

Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Bf ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Dies ergibt das Ergebnis der Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht einerseits und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse andererseits. Allein das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege setzt sich aber in dieser Abwägung nicht grundsätzlich gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch. Vielmehr muss sich aus weiteren Aspekten ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist. Dies kann bei der Aufklärung schwerer Straftaten, einer Notwehrsituation oder notwehrähnlichen Lage der Fall sein. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reicht aber nicht aus. Anhaltspunkte für eine solche besondere Situation fehlen in den vorliegenden Fällen.

Karlsruhe, den 31. Oktober 2002