Bundesverfassungsgericht

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Zur Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof

Pressemitteilung Nr. 97/2002 vom 14. November 2002

Beschluss vom 31. Oktober 2002
1 BvR 819/02

Ein Rechtsanwalt, der unter Beibehaltung seiner bisherigen Zulassung beim Oberlandesgericht als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof (BGH) in Zivilsachen zugelassen werden wollte, ist mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) vor dem Bundesverfassungsgericht ohne Erfolg geblieben. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 31. Oktober 2002 die Vb gegen die Entscheidung des BGH, nach der die Singularzulassung der Rechtsanwälte beim BGH verfassungsgemäß ist, nicht zur Entscheidung angenommen.

Zum Sachverhalt: Nach § 171 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) darf ein Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof nicht zugleich bei einem anderen Gericht zugelassen sein (Singularzulassung; Verbot der Simultanzulassung). Der Beschwerdeführer (Bf) ist als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht Hamm zugelassen und übt zudem den Beruf des Notars aus. Sein Antrag, ihn zugleich auch als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zuzulassen, wurde abgelehnt. Der BGH wies seinen dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück. Es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber den bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwälten eine weitere Zulassung bei anderen Gerichten verwehrt. Mit der Vb rügt der Bf vor allem einen Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Zur Begründung heißt es: Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Vb hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch wird der Bf durch den Eingriff in seine Berufsausübungsfreiheit in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.

Zwar wird ihm eine Erweiterung seines bisherigen Tätigkeitsfeldes verwehrt. Der BGH hat jedoch bei Auslegung und Anwendung des § 171 BRAO die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe für gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung beachtet. Der BGH hält die Singularzulassung durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls für gerechtfertigt. Sie bezwecke eine Stärkung der Rechtspflege durch eine leistungsfähige und in Revisionssachen besonders qualifizierte Anwaltschaft. Mit ihr seien Vorteile für die Rechtssuchenden und das Revisionsgericht verbunden. Die Rechtssuchenden würden kompetent beraten und könnten im Vorfeld von aussichtslosen Rechtsmitteln Abstand nehmen, was ihnen Kosten erspart. Zugleich werde der BGH von unzulässigen Rechtsmitteln entlastet. Diese Gesichtspunkte hält das Bundesverfassungsgericht noch für verfassungsrechtlich tragfähig. Weder aus der Systematik des Gesetzes noch aus der historischen Entwicklung oder der Umsetzung der Normen in der Gerichtspraxis ergeben sich derzeit Anhaltspunkte dafür, dass die Singularzulassung nicht mehr als geeignetes und erforderliches Mittel zugunsten einer qualitativen Verbesserung der Rechtspflege angesehen werden kann. Sie stellt sich bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe insgesamt noch als angemessen dar.

Die Auswirkungen der Zivilprozessreform auf das Revisionsverfahren, insbesondere der Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde, lassen derzeit keine Prognose und damit auch keine andere Wertung zu. Der BGH hat sich zu Recht auf die bisherigen Erkenntnisse gestützt. Erst bei Vorliegen tatsächlicher Erfahrungswerte über die Reformauswirkungen lässt sich beurteilen, ob das Verbot der Simultanzulassung beim BGH auch weiterhin mit dem Verfassungsrecht vereinbar ist.

Der Senat hat weiter ausgeführt, dass seine Entscheidung zur Singularzulassung der bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwälte (vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 157/2000 vom 13. Dezember 2000) sich nicht ohne weiteres auf die Lage der Rechtsanwaltschaft beim BGH übertragen lässt. Diese weicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ab.

Karlsruhe, den 14. November 2002