Bundesverfassungsgericht

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Vorlagen des Verwaltungsgerichts Osnabrück zum Lastenausgleichsgesetz

Pressemitteilung Nr. 98/2002 vom 15. November 2002

Beschluss vom 30. Oktober 2002
1 BvL 13/96

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2002 festgestellt, dass die Regelung des § 349 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 des Lastenausgleichsgesetzes in der Fassung vom 2. Juni 1993 (LAG) mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Danach sind Zinszuschläge zum Endgrundbetrag der Hauptentschädigung im Anschluss an eine Rückübertragung nach dem Vermögensgesetz zurückzufordern (vgl. Anlage).

Seit 1992 ist nach dem LAG die Hauptentschädigung, die zur Abgeltung von Zonenschäden gewährt wurde, ohne Wiederaufnahme der zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren zurückzufordern, wenn derartige Schäden nach dem 31. Dezember 1989 ganz oder teilweise ausgeglichen werden. Im Zuge der Wiederherstellung der deutschen Einheit wurden Vermögensschäden in der Deutschen Demokratischen Republik, für die in der Bundesrepublik Deutschland Lastenausgleich gezahlt worden war, in größeren Umfang nach dem Vermögensgesetz durch Rückübertragung des entzogenen Vermögenswerts wieder gutgemacht. Die insgesamt zurückzufordernde Hauptentschädigung setzt sich aus dem Grundbetrag und einem so genannten Zinszuschlag zusammen. Die Einzelheiten regeln die Bestimmungen, die der Senat im Rahmen der konkreten Normenkontrolle zu überprüfen hatte.

Der Entscheidung des Senats liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren hatten wegen des Verlusts von Grundeigentum in der Deutschen Demokratischen Republik nach dem LAG als Hauptentschädigung neben dem Grundbetrag einen Zinszuschlag erhalten. Nach der Wiedervereinigung wurde ihnen das Grundeigentum nach dem Vermögensgesetz zurückübertragen. Den ihnen gewährten Lastenausgleich (Grundbetrag und Zinszuschlag) sollten sie daraufhin zurückzahlen. Ihre dagegen gerichteten Klagen wurden rechtskräftig abgewiesen, soweit sie die Rückforderung des jeweiligen Grundbetrags betrafen. Hinsichtlich des Zinszuschlags hat das Verwaltungsgericht Osnabrück dagegen die Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob es mit dem GG vereinbar ist, auch den Zinszuschlag zurückzufordern. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dies insbesondere wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verneinen.

Zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht heißt es in der Entscheidung des Senats:

Die zur Prüfung gestellte Regelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber besitzt beim Erlass gesetzlicher Vorschriften zur Wiedergutmachung von Vermögensschäden, die von der Deutschen Demokratischen Republik zu verantworten sind, im Rahmen seiner Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz eine besonders große Gestaltungsfreiheit. Diese endet erst dort, wo sich für eine ungleiche Behandlung ein in der Natur der Sache liegender oder sonst sachlich einleuchtender Grund nicht finden lässt und die Regelung deshalb willkürlich ist.

Mit diesem Maßstab ist die zur Prüfung gestellte Regelung vereinbar.

Der Zinszuschlag sollte die Wartezeit derjenigen ausgleichen, denen Hauptentschädigung aus verwaltungsmäßigen oder finanziellen Gründen nicht früher gewährt werden konnte. Damit bewirkte er zugleich, wirtschaftlich gesehen, die Gleichbehandlung dieses Personenkreises mit demjenigen, der die ihm zustehende Ausgleichsleistung früher ausgezahlt bekommen hatte. Dieser Effekt wird mit der Rückforderung des Zinszuschlages rückgängig gemacht. Dies ist jedoch vor allem deshalb nicht verfassungsrechtlich bedenklich, weil andernfalls die Unterschiede zwischen denjenigen, die in der Vergangenheit nach dem LAG anspruchsberechtigt waren, und denen, die als Bewohner der Deutschen Demokratischen Republik Lastenausgleich nie beanspruchen konnten, noch größer geworden wären.

Im Rahmen der abschließenden Regelung der zwischen den beiden deutschen Staaten offen gebliebenen Vermögensfragen ging es beim Lastenausgleich nicht nur darum, Doppelentschädigungen für ein und denselben Unrechtstatbestand zu vermeiden. Ziel der Regelungen durfte vielmehr auch sein, keine weiteren Ungleichbehandlungen entstehen zu lassen oder Ungleichbehandlungen, die in der Vergangenheit schon bestanden, nicht zu verschärfen. Es ist deshalb willkürfrei, mit der Rückforderung des Zuschlags zu verhindern, dass die Wertdifferenz zwischen den Wiedergutmachungsleistungen, die den im Westen und Osten Deutschlands lebenden Menschen von der Bundesrepublik Deutschland gewährt worden sind oder werden, nicht noch anwächst. Der Gesetzgeber musste auch nicht den im Osten lebenden Menschen, die Lastenausgleich wegen ihres ständigen Aufenthalts im Schadensgebiet nicht hatten beantragen können, nachträglich den Zugang zum Empfang von Lastenausgleichsleistungen eröffnen.

Die zur Prüfung gestellten Vorschriften über die Rückforderung des Zinszuschlags sind auch mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar. Daraus folgt nicht die Rechtspflicht des Staates, aus Mitteln der staatlichen Gemeinschaft gewährte Leistungen dem Empfänger auch dann zu belassen, wenn der Schaden, für den sie gewährt wurden, nachträglich ausgeglichen wird.

Schließlich ist weder die Eigentumsgarantie noch das Rechtsstaatsprinzip verletzt. Nach den zu prüfenden Bestimmungen darf der Rückzahlungspflichtige lediglich Geldleistungen nicht behalten, bei denen die Voraussetzungen für ihre Gewährung mit dem nachträglichen Schadensausgleich entfallen sind. Vor derartigen Rückzahlungspflichten schützt weder die Eigentumsgarantie noch das Rechtsstaatsprinzip.

Karlsruhe, den 15. November 2002

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 98/2002 vom 15. November 2002

§ 349 Abs. 4 Satz 1 und Satz 3 Lastenausgleichsgesetz (LAG)

Rückforderung bei Schadensausgleich

(1)....

(2)....

(3)....

(4) Übersteigt der zuerkannte und erfüllte Endgrundbetrag der Hauptentschädigung den nach Absatz 2 berechneten Endgrundbetrag, ist der übersteigende Grundbetrag zuzüglich des nach Satz 3 berechneten Zinszuschlags zurückzufordern...... Für die Berechnung des Zinszuschlags ist der für die erstmalige Erfüllung von Hauptentschädigung für das betreffende Wirtschaftsgut angewandte Vomhundertsatz maßgebend, der dem Zinszuschlag im Sinne des § 250 Abs. 3 zugrunde gelegt wurde; der Erhöhungsbetrag nach § 246 Abs.2 und ein darauf entfallender Zuschlag nach § 248 bleiben bei der Berechnung des zurückzufordernden Zinszuschlags unberücksichtigt.