Bundesverfassungsgericht

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Zum Abzug aller Bundesaufgaben von einer Oberfinanzdirektion

Pressemitteilung Nr. 101/2002 vom 27. November 2002

Beschluss vom 27. Juni 2002
2 BvF 4/98

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat einstimmig beschlossen, dass die Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 4. März 1998 zur Übertragung von Aufgaben der Oberfinanzdirektionen Berlin, Bremen, Chemnitz, Düsseldorf, Erfurt, Frankfurt am Main, Hannover, Kiel, Magdeburg, München, Münster, Rostock, Saarbrücken und Stuttgart mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Damit blieb die Hessische Landesregierung als Antragstellerin (ASt) mit ihrem gegen diese Rechtsverordnung gerichteten Normenkontrollantrag vor dem Bundesverfassungsgericht ohne Erfolg.

1. Folgender Sachverhalt liegt der Entscheidung zu Grunde:

Mit der genannten Verordnung hat das BMF die Aufgaben der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen sowie die Aufgaben der Bundesvermögensabteilungen neu auf die Oberfinanzdirektionen übertragen. In der Folge verloren einige Oberfinanzdirektionen alle Bundesaufgaben. Diese Oberfinanzdirektionen bestanden zuvor sowohl aus Bundes- als auch als Landesabteilungen und wurden von einem Oberfinanzpräsidenten geleitet, der sowohl Bundes- als auch Landesbeamter war. Unter anderem ist hiervon die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main betroffen. Die in Rede stehende Verordnung wurde auf der Grundlage des § 8 Abs. 3 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) erlassen. Danach können durch Rechtsverordnung Aufgaben der Oberfinanzdirektion für den ganzen Bezirk oder einen Teil davon auf andere Oberfinanzdirektionen übertragen werden, wenn dadurch der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert wird. Das FVG sieht für die Rechtsverordnung des BMF ausdrücklich eine Zustimmung des Bundesrates nicht vor.

Die ASt hielt die Rechtsverordnung für verfassungswidrig und nichtig. Es könnten auf Grund des FVG nur Einzelaufgaben, nicht aber die gesamten Bundes- oder Landesaufgaben einer Oberfinanzdirektion auf eine andere übertragen werden. Für diese Organisationsentscheidung bestehe nach dem Grundgesetz der Vorbehalt eines förmlichen Gesetzes. Der Rechtsverordnung hätte der Bundesrat zustimmen müssen, weil sie in das Eigenorganisationsrecht der Länder eingreife.

2. In der Begründung heißt es im Wesentlichen:

Die angegriffene Rechtsverordnung ist förmlich und sachlich mit dem Grundgesetz vereinbar.

Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kontrolle von Rechtsverordnungen ist hier neben der Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung im FVG auch zu prüfen, ob die Rechtsverordnung mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im FVG übereinstimmt und von ihr inhaltlich gedeckt wird. Diese Fragen bejaht der Senat. Dazu heißt es in der Entscheidung u.a.: § 8 Abs. 3 FVG ermöglicht organisatorische Umgestaltungen, insbesondere die erweiternde Organisation der räumlichen und sachlichen Zuständigkeiten einer Oberfinanzdirektion. Diese bezieht sich sowohl auf die Bundes- als auch auf die Landesabteilungen. Die genannte Bestimmung ermächtigt auch zur Übertragung aller Bundesaufgaben von einer Oberfinanzdirektion auf eine andere mit der Folge, dass die abgebende Oberfinanzdirektion zu einer reinen Landesbehörde wird. Dies ergibt sich aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des Gesetzes.

Die Ermächtigungsgrundlage im FVG für den Erlass der Rechtsverordnung sowie die angegriffene Rechtsverordnung selbst sind auch verfassungsmäßig.

Der Bund besitzt zum Erlass des FVG die Gesetzgebungskompetenz. Diese schließt grundsätzlich nach Maßgabe des Grundgesetzes die teilweise Übertragung der Normsetzungsbefugnis auf den Verordnunggeber ein. Die hier maßgebliche Verordnungsermächtigung genügt den Anforderungen des Grundgesetzes. Inhalt, Zweck und Ausmaß sind hinreichend bestimmt.

Dem Abzug aller Bundesaufgaben von einer Oberfinanzdirektion steht eine verfassungsrechtliche Garantie des Aufgabenbestandes nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die personellen und organisatorischen Besonderheiten der Oberfinanzdirektionen als gemeinsamer Mittelbehörde und ihrer "doppelfunktionellen" Präsidenten, die sowohl Bundes- als auch Landesbeamte sind, grundsätzlich verfassungsrechtlich gebilligt. Das Grundgesetz ermächtigt insoweit zu weitgehender Kooperation und bietet eine hinreichende Grundlage für die Wahrnehmung von Bundes- und Landesaufgaben durch die Oberfinanzdirektionen. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, diese besondere Form der Kooperation zu schaffen oder generell beizubehalten, besteht jedoch nicht.

Die mit der Rechtsverordnung erfolgte Organisationsentscheidung musste auch nicht durch ein Parlamentsgesetz getroffen werden. Keine der hier einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes verbietet es, die Rechtssetzungsbefugnis im Wege der Rechtsverordnung zu übertragen. Dies gilt auch für die hier in Rede stehende umfassende Aufgabenübertragung.

Der vollständige Abzug von Bundesaufgaben von einer Oberfinanzdirektion erfordert entgegen der Auffassung der ASt auch nicht zwingend wenigstens die Zustimmung des Bundesrates. Nach dem Trennungskonzept des FVG handelt es sich bei der Oberfinanzdirektion um zwei verschiedene Behörden unter einem Dach und unter gemeinsamer Leitung eines doppelfunktionellen Präsidenten. Danach berührt es die jeweiligen Landesabteilungen einer Oberfinanzdirektion rechtlich nicht, wenn Bundesaufgaben auf eine andere Oberfinanzdirektion übertragen werden. Vielmehr ist es durch das Trennungskonzept des FVG gerechtfertigt, dass der Bundesgesetzgeber ein Zustimmungserfordernis nicht vorgesehen hat.

Karlsruhe, den 27. November 2002