Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zum Ausschluss der Mitversicherung von Kindern in der Familienversicherung

Pressemitteilung Nr. 9/2003 vom 12. Februar 2003

Urteil vom 12. Februar 2003
1 BvR 624/01

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute verkündetem Urteil eine Verfassungsbeschwerde (Vb) zurückgewiesen, die sich gegen den Ausschluss von Kindern miteinander verheirateter Eltern von der beitragsfreien Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung richtete. Die Ausschlussklausel in § 10 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist mit dem Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Die angegriffenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen beruhen auf einer verfassungsgemäßen Grundlage und haben insoweit Bestand.

§ 10 Abs. 3 SGB V schließt Kinder miteinander verheirateter Eltern von der beitragsfreien Familienversicherung aus, wenn das Gesamteinkommen des Elternteils, der nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, höher ist als das des Mitglieds und bestimmte, im Gesetz festgelegte Einkommensgrenzen übersteigt. Wegen des weiteren dem Verfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 92/2002 vom 21. Oktober 2002 verwiesen.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

1. Art. 6 Abs. 1 GG als verbindliche Wertentscheidung zugunsten von Ehe und Familie verlangt vom Staat, die Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Es besteht eine allgemeine Pflicht zu einem Familienlastenausgleich. Bei der Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher Ausgleich vorzunehmen ist, steht dem Gesetzgeber aber Gestaltungsfreiheit zu. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht herleiten. Dies gilt auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist § 10 Abs. 3 SGB V mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar. Die Vorteile einer beitragsfreien Krankenversicherung dürfen von der Prüfung der sozialen Schutzbedürftigkeit der Eltern abhängig gemacht werden. Die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern ist eine Maßnahme des sozialen Ausgleichs zur Entlastung der Familie. Der Gesetzgeber kann bei der Bestimmung des dadurch begünstigten Personenkreises auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern abstellen.

2. Der allgemeine Gleichheitssatz verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Dieses Grundrecht ist aber verletzt, wenn Personengruppen durch eine Regelung im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt werden, obwohl die Unterschiede zwischen beiden Gruppen nicht derart und so gewichtig sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.

§ 10 Abs. 3 SGB V behandelt zum einen die Ehegatten, deren Kinder von der Ausschlussklausel betroffen sind, schlechter als diejenigen Ehegatten, deren Kinder in den Genuss der beitragsfreien Mitversicherung gelangen. Zum anderen sind die Kinder benachteiligt, die auf Grund der Ausschlussklausel nicht beitragsfrei mitversichert sind.

Diese Benachteiligungen sind jedoch hinreichend gerechtfertigt. Der Ausschluss setzt bestimmte einkommensbezogene Merkmale voraus. Liegen diese vor, fehlt es typischerweise an der sozialen Schutzbedürftigkeit der verheirateten Eltern und deren Kinder. Es ist sachgerecht, Kinder von der beitragsfreien Familienversicherung auszuschließen, wenn das Gesamteinkommen des Elternteils, das nicht Mitglied einer Krankenkasse ist, die so genannte Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet. Denn ab einer solchen Höhe des Arbeitsentgelts ist ein Beschäftigter nicht mehr in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert, weil ihn der Gesetzgeber nicht mehr als schutzbedürftig ansieht.

Der Ausschluss aus der Familienversicherung erfolgt zudem nur dann, wenn der nicht gesetzlich krankenversicherte Elternteil wegen seines höheren und die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitenden Gesamteinkommens vorrangig dafür verantwortlich gemacht werden kann, für die Absicherung seiner Kinder gegen das Risiko der Krankheit zu sorgen. Ist dies nicht der Fall, weil der gesetzlich versicherte Elternteil ein höheres Einkommen erzielt, bleibt es bei der Familienversicherung der Kinder. Dies ist gerechtfertigt, weil das Mitglied entsprechend hohe Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze in die Solidargemeinschaft zahlt und zugleich maßgeblich zum Familieneinkommen beiträgt.

3. Der Gesetzgeber darf die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften nicht diskriminieren, insbesondere Verheiratete gegenüber Nichtverheirateten bei der Gewährung rechtlicher Vorteile nicht benachteiligen. Eine punktuelle gesetzliche Benachteiligung ist allerdings hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Ausgleich familiärer Belastungen abzielt, dabei Eheleute teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt, die gesetzliche Regelung im Ganzen betrachtet aber keine Schlechterstellung der Eheleute bewirkt.

Eheleute sind bei einer Gesamtbetrachtung der Regelungen über die Familienversicherung nicht schlechter gestellt als die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Bestimmte rechtliche Vorteile kommen nur bei Vorliegen einer Ehe zur Geltung. So vermittelt der Ehepartner, der Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dem anderen Ehepartner, der nicht selbst Mitglied ist, beitragsfreien Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gilt für Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht. Auch Stiefkinder des gesetzlich versicherten Ehegatten sind in die Familienversicherung einbezogen.

Der Ausschluss des ehelichen Kindes miteinander verheirateter Eltern von der Familienversicherung rechtfertigt sich im Verhältnis zu nichtehelichen Kindern auch deshalb, weil für dessen Krankenversicherungsschutz außerhalb der Familienversicherung auf Grund der nur unter Ehegatten geltenden wechselseitigen Verpflichtung zum Familienunterhalt wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vorgesorgt ist. Dieser Unterhalt begünstigt auch gemeinsame unterhaltsberechtigte Kinder und bestimmt maßgeblich ihre wirtschaftliche und soziale Situation. Dies gilt gerade auch bei der Krankheitsvorsorge. Demgegenüber schulden die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft einander keinen gesetzlichen Unterhalt. Der gegen den Vater gerichtete Unterhaltsanspruch der Mutter eines nichtehelichen Kindes aus Anlass der Geburt gleicht das Fehlen des Anspruchs auf Familienunterhalt nicht aus.

Karlsruhe, den 12. Februar 2003