Bundesverfassungsgericht

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Zur Begrenzung des Abzugs der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung

Pressemitteilung Nr. 30/2003 vom 8. April 2003

Beschluss vom 04. Dezember 2002
2 BvR 400/98

Die zum 1. Januar 1996 in Kraft getretene zeitliche Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei einer Beschäftigung am selben Ort ist in den Fällen von fortlaufend verlängerten Abordnungen und beiderseits berufstätigen Ehegatten verfassungswidrig. Dies entschied der Zweite Senat des BVerfG und hob auf die Verfassungsbeschwerden (Vb) zweier Betroffener die zu Grunde liegenden finanzgerichtlichen Entscheidungen auf. Die Sachen wurden an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen. Andere Fallgruppen doppelter Haushaltsführung waren nicht Gegenstand der Entscheidung.

Zum Sachverhalt:

Bis zum In-Kraft-Treten des Jahressteuergesetzes 1996 bestand für den Werbungskostenabzug von notwendigen Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen, keine zeitliche Begrenzung. Eine Zweijahresgrenze wurde erstmals zum 1. Januar 1996 in § 9 Einkommensteuergesetz (EStG) eingeführt (siehe Anlage). Sie gilt auch für Fälle einer bereits vor dem 1. Januar 1996 bestehenden doppelten Haushaltsführung. Ferner sind Trennungsgelder, die anlässlich einer doppelten Haushaltsführung eines Arbeitnehmers aus öffentlichen Kassen geleistet werden, nur insoweit steuerfrei, als sie die nach dem Jahressteuergesetz 1996 abziehbaren Aufwendungen nicht übersteigen. Zusammen mit anderen Regelungen bewirkt die Zweijahresgrenze, dass nach zwei Jahren doppelter Haushaltsführung bei einer Beschäftigung am selben Ort speziell die Aufwendungen für die Unterkunft am Beschäftigungsort vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen sind.

Der Beschwerdeführer (Bf) zu 1. ist Universitätsprofessor, seine Ehefrau arbeitet als selbstständige Redakteurin und Lektorin. Die Eheleute leben seit 1980 in F. und haben dort ihren Hauptwohnsitz. Der Bf zu 1. wechselte 1994 von der dortigen Universität an die Humboldt-Universität zu Berlin, wo er eine kleine Wohnung bezog. Seine Ehefrau übte ihre ortsgebundene berufliche Tätigkeit weiter in F. aus. Das Finanzamt lehnte die steuerliche Berücksichtigung seines Aufwands für die doppelte Haushaltsführung über die Zweijahresgrenze hinaus ab. Die Beschäftigungsbehörde des Bf zu 2., eines Landesbeamten, ist das Polizeipräsidium K.. In den Jahren zwischen 1992 und 1999 war der Bf zu 2. auf Grund fortlaufend verlängerter Abordnungen in Berlin tätig, wo er einen zweiten Haushalt führte. Dem Bf zu 2. wurde für das Jahr 1997 Trennungsgeld unversteuert ausgezahlt. In dessen Höhe legte das Finanzamt in seinem Einkommensteuerbescheid 1997 der Besteuerung zusätzliche Einkünfte des Bf zu 2. aus nichtselbstständiger Arbeit zu Grunde.

Rechtsmittel blieben in beiden Fällen ohne Erfolg. Mit seiner Vb rügt der Bf zu 1. insbesondere einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Der Bf zu 2. sieht sich vor allem in Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Er werde schlechter behandelt als diejenigen, die für jeweils entsprechende Zeiträume an unterschiedlichen Beschäftigungsorten eingesetzt würden.

In der Begründung der Entscheidung heißt es:

Verfassungsrechtlich geboten ist es, insbesondere im Einkommensteuerrecht die Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichten. Weiter muss der Gesetzgeber die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen. Für die Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser hat bei seiner Entscheidung, ob er Aufwand steuermindernd berücksichtigen will, die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der privaten Lebensführung zuzuordnen sind.

Nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind beide Vb begründet. In den beiden vom Senat zu beurteilenden Fallgruppen der "Kettenabordnung" und der an verschiedenen Orten beiderseits berufstätigen Ehegatten lässt sich die Zweijahresfrist nicht damit begründen, dass die private Entscheidung für die Beibehaltung des alten Wohnsitzes nach Ablauf einer Übergangsfrist als entscheidender privater Veranlassungsgrund für eine doppelte Haushaltsführung anzusehen und deshalb der entsprechende Mehraufwand nicht einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen sei.

1. Die Abzugsbegrenzung ist im Fall einer "Kettenabordnung" mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Kennzeichnend für eine Abordnung ist, dass die Dauer oder Verlängerung der Tätigkeit des Arbeitnehmers an einem fremden Beschäftigungsort sich überwiegend nach Belangen des Arbeitgebers oder Dienstherrn bestimmt. Hinsichtlich des Maßes der beruflichen Veranlassung der Begründung und Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung gibt es deshalb keine wesentlichen Unterschiede gegenüber einer nur zweijährigen doppelten Haushaltsführung und gegenüber einer doppelten Haushaltsführung an wechselnden Beschäftigungsorten. Bei einer "Kettenabordnung" kann der Arbeitnehmer die Dauer seiner auswärtigen Berufstätigkeit nicht eigenständig bestimmen und deshalb keine sinnvolle Umzugsplanung entwickeln. Die Zweijahresgrenze geht davon aus, dass sich der Steuerpflichtige in diesem Zeitraum dauerhaft an seinem Beschäftigungsort einrichten könne. Diese Unterstellung trägt bei einer Kettenabordnung die zeitliche Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Mehraufwendungen nicht.

Die Kettenabordnung unterscheidet sich von der doppelten Haushaltsführung an wechselnden Beschäftigungsorten, die nicht der zweijährigen Abzugsbegrenzung unterliegt, nur durch den fehlenden Ortswechsel, erfordert aber ansonsten vergleichbare Arbeitsplatzflexibilität. Dass allein die Veränderung des Beschäftigungsortes bei diesen beiden Vergleichsgruppen das maßgebliche Kriterium für den Abzug von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus sein soll, lässt sich nicht sachlich begründen. Insoweit handelt es sich auch nicht um eine noch zulässige gesetzgeberische Typisierung.

2. Die Abzugsbegrenzung im Fall der beiderseits berufstätigen Ehegatten genügt nicht den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Nach Art. 6 Abs. 1 GG hat der Gesetzgeber Regelungen zu vermeiden, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen. Eine Einwirkung des Gesetzgebers dahin, die Ehefrau "ins Haus zurückzuführen", wäre mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Alleinverdienerehe und Doppelverdienerehe sind verfassungsrechtlich gleichermaßen geschützt.

Danach müssen von Verfassungs wegen Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden, soweit es sich um zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger Ehegatten handelt, der dadurch entsteht, dass ein gemeinsamer Wohnsitz bei dem Beschäftigungsort des einen Ehegatten besteht und zugleich die Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort veranlasst ist. Auf die Gründe, aus welchen sich einer der Ehegatten für eine Berufstätigkeit an einem vom gemeinsamen Wohnort abweichenden Beschäftigungsort entschlossen hat, kommt es auch nach Ablauf von zwei Jahren doppelter Haushaltsführung nicht an. Art. 6 Abs. 1 GG verbietet es, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider Ehegatten zu erschweren. Deshalb darf der Gesetzgeber bei beiderseits berufstätigen Ehegatten Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung nicht deshalb als beliebig disponibel betrachten, weil solche Aufwendungen privat (mit -) veranlasst sind. Eine pauschale zeitbezogene Abzugsbegrenzung widerspricht der Wertentscheidung des Art.6 Abs.1 GG, denn sie missachtet geschützte Gründe für die Beibehaltung einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung.

Karlsruhe, den 8. April 2003

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 30/2003 vom 8. April 2003

§ 9 Einkommensteuergesetz: Werbungskosten

(1) Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Werbungskosten sind auch (...)

5. notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Der Abzug der Aufwendungen ist bei einer Beschäftigung am selben Ort auf insgesamt zwei Jahre begrenzt. (...)