Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur 5% - Sperrklausel bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein

Pressemitteilung Nr. 41/2003 vom 20. Mai 2003

Beschluss vom 11. März 2003
2 BvK 1/02

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Anträge der PDS, Landesverband Schleswig-Holstein, die sich gegen die Beibehaltung der 5%-Sperrklausel bei Kommunalwahlen richteten, einstimmig als unzulässig verworfen.

1. Dem Landesorganstreitverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Kommunalwahlrecht in Schleswig-Holstein sieht seit 1959 die 5%-Sperrklausel bei Kommunalwahlen (s. Anlage) vor. Sämtliche zwischen 1992 und 2000 verabschiedeten Änderungen der Kommunalverfassung und des Kommunalwahlgesetzes hatten die Sperrklausel unberührt gelassen. Den Antrag der FDP-Fraktion vom 17. Mai 2001, der Landtag möge die Landesregierung auffordern, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vorzulegen, das neben weiteren Änderungen die 5%-Sperrklausel abschafft, lehnte der Landtag am 19. Juni 2002 ab. Auf Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschloss der Landtag das Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10. Oktober 2001. Danach werden die am 1. April 2003 beginnende Wahlperiode einmalig verlängert und der Wahltermin auf den Monat Mai verschoben. Die 5%-Sperrklausel blieb unberührt. Die PDS macht als Antragstellerin (ASt) mit ihrer Organklage geltend, der Antragsgegner (AG) habe ihr Recht auf Wahlgleichheit und Chancengleichheit verletzt. Er hätte bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10. Oktober 2001 die 5%-Sperrklausel jedenfalls überprüfen müssen, statt sie ohne hinreichende Begründung beizubehalten.

2. Aus den Gründen der Entscheidung ergibt sich im Wesentlichen:

Mit ihren Haupt- und Hilfsanträgen greift die ASt ein gesetzgeberisches Unterlassen an. Der AG hat mit der Beschlussfassung über die Gesetzesänderung weder ausdrücklich noch dem Sinne nach zum Ausdruck gebracht, die Sperrklausel aufrechterhalten zu wollen. Das Änderungsgesetz vom 10. Oktober 2001 regelt ausschließlich die einmalige Verlängerung der Wahlperiode und die Verschiebung des Wahltermins auf den Monat Mai. Die Sperrklausel wird davon nicht berührt. Diese war lediglich Gegenstand des mit diesem Gesetzgebungsvorhaben in keinem Zusammenhang stehenden Entschließungsantrags der FDP-Fraktion. Die Ablehnung dieses Antrags durch den AG hat die ASt mit ihrer Organklage nicht angegriffen.

Angriffsgegenstand kann auch nicht die Sperrklauselregelung selbst sein. Als Gegenstand eines Organstreitverfahrens kommt allenfalls der Erlass der Norm in Betracht. Dieser wird jedoch von der ASt nicht angegriffen. Sie rügt vielmehr ein erst nach Erlass der Norm zu Tage getretenes gesetzgeberisches Unterlassen. Damit stellt sich die bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist. Dies bedarf jedoch auch hier keiner abschließenden Antwort. Denn die Organklage der antragsbefugten ASt ist jedenfalls wegen Fristversäumung unzulässig.

Die ASt hat Umstände, aufgrund derer der AG nach dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zur Aufhebung, Änderung oder Überprüfung der Sperrklauselregelung im Kommunalwahlrecht des Landes Schleswig-Holstein hätte verpflichtet sein können, nicht dargelegt. Sie beruft sich lediglich auf allgemein-politische Anliegen einzelner Fraktionen. Der AG ist nicht schon deshalb verpflichtet, die Einführung einer Sperrklausel zu unterlassen oder diese aufzuheben, weil andere Länder ohne sie auskommen. Bei der Beurteilung der Sperrklausel sind die Verhältnisse im Lande Schleswig-Holstein maßgebend. Die ASt ist jedoch deshalb antragsbefugt, weil sich der normative Rahmen der Sperrklausel durch eine im Jahr 1995 beschlossene Änderung des kommunalen Verfassungsrechts verändert hat. Mit ihr wurde neben anderem die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte eingeführt. Dadurch könnte eine Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht des AG begründet worden sein, die im Zeitpunkt des Gesetzesbeschluss über das hier in Rede stehende Gesetz vom 10. Oktober 2001 fortbestand.

Die Frist zur Geltendmachung einer derartigen Rechtsverletzung ist jedoch abgelaufen. Die Frist bezweckt, im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtssicherheit nach einer bestimmten Zeitspanne außer Streit zu stellen. Der AG hat das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts vom 22. Dezember 1995 am 11. Januar 1996 verkündet. Damit hat er es erkennbar abgelehnt, die Regelung über die Sperrklausel aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen. Ändert der Gesetzgeber die Vorschriften, die bisher zur Begründung der Sperrklausel dienten, so bringt er damit zum Ausdruck, dass er die Rechtslage, die er durch die Rechtsänderung herbeiführt, nicht für verfassungswidrig hält und sich zu weiteren Rechtsänderungen nicht veranlasst sieht. Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen des Gesetzgebers betreffen unmittelbar den verfassungsrechtlichen Status der Parteien. Die mit der Verkündung des Gesetzes vom 22. Dezember 1995 in Lauf gesetzte sechsmonatige Frist war bei Eingang der Organklage der ASt im März 2002 verstrichen. Sämtliche anderen zwischen Dezember 1995 bis Oktober 2001 verabschiedeten Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung hatten keine Auswirkungen auf die Sperrklauselregelung.

Karlsruhe, den 20. Mai 2003

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 41/2003 vom 20. Mai 2003

§ 10 Abs. 1 Satz 1 Gemeinde- und Kreiswahlgesetz in der derzeit gültigen Fassung vom 19. März 1997:

An dem Verhältnisausgleich nimmt jede politische Partei oder Wählergruppe teil, für die ein Listenwahlvorschlag aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie mindestens eine unmittelbare Vertreterin oder ein unmittelbarer Vertreter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt mindestens fünf v. H. der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erzielt hat.