Bundesverfassungsgericht

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Informationen zur mündlichen Verhandlung zum Verfahren "Großer Lauschangriff"

Pressemitteilung Nr. 46/2003 vom 13. Juni 2003

Az. 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 1. Juli 2003 über den so genannten "Großen Lauschangriff". Zugrunde liegen zwei Verfassungsbeschwerden (Vb), die sich gegen die Verfassungsänderung des Art. 13 GG vom 26. März 1998 sowie gegen einzelne Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998 richten. Die neuen Regelungen ermöglichen das elektronische Abhören in Wohnräumen.

Im Einzelnen geht es um Folgendes:

Durch die Grundgesetzänderung wurden in Art. 13 GG die Absätze 3 bis 6 eingefügt, der bisherige Absatz 3 wurde Absatz 7 des Art. 13 GG. Der Gesetzgeber bezweckte damit vor allem die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Nach Art. 13 Abs. 3 GG ist nunmehr die akustische Überwachung zum Zwecke der Strafverfolgung möglich. Voraussetzung ist, dass sich der Beschuldigte vermutlich in der Wohnung aufhält, bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos ist. Ferner ist eine jährliche Berichtspflicht der Bundesregierung an den Bundestag über zu Strafverfolgungszwecken angeordnete Wohnraumüberwachungen geregelt. Dadurch soll eine parlamentarische Kontrolle ermöglicht werden.

Art. 13 Abs. 3 GG wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität einfachgesetzlich ausgestaltet. Im Zentrum steht § 100 c Abs. 1 Nr. 3 Strafprozessordnung (StPO). Danach darf das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort eines Beschuldigten abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass er eine der in der Vorschrift bezeichneten Katalogtaten begangen hat. Dabei handelt es sich insbesondere um Delikte, die für das Phänomen der Organisierten Kriminalität als typisch gelten. Solche Abhörmaßnahmen ordnet die Staatsschutzstrafkammer des Landgerichts, bei Gefahr im Verzug ihr Vorsitzender an. Die geänderten Vorschriften regeln für Berufsgeheimnisträger ein Beweiserhebungsverbot, für Angehörige und Berufshelfer ist nur ein Beweisverwertungsverbot vorgesehen, das unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht. Ein Rechtsmittel ist auch nach Beendigung der Maßnahme zulässig.

Die StPO normiert eine Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft an die oberste Justizbehörde und regelt die Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse. Außerdem sind die Beteiligten von den betroffenen Maßnahmen zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, von Leib oder Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten geschehen kann. Die Zurückstellung der Benachrichtigung in den Fällen des § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO über sechs Monate nach Beendigung der Maßnahme hinaus bedarf der richterlichen Zustimmung.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Grundgesetzänderung und gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Sie sehen sich insbesondere in ihrem Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Verfassungsänderung sei verfassungswidrig. Sie berühre einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen sei. Die Neuregelung ermögliche nicht nur einen Verstoß gegen grundlegende Persönlichkeitsrechte, sondern lasse eine Verletzung der Menschenwürde zu. Sie sei auch unverhältnismäßig. Die geänderten Bestimmungen der StPO seien selbst dann verfassungswidrig, wenn die Grundgesetzänderung verfassungsmäßig wäre. Insbesondere seien das Gebot des effektiven Rechtsschutzes und der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben bisher das Bundesministerium der Justiz, die Bayerische Staatsregierung, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, der Deutsche Richterbund und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Stellung genommen.

Karlsruhe, den 13. Juni 2003