Bundesverfassungsgericht

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Zur Witwen- oder Witwerrente für Geschiedene aus der DDR

Pressemitteilung Nr. 47/2003 vom 26. Juni 2003

Beschluss vom 02. Juni 2003
1 BvR 789/96

Der allgemeine Gleichheitssatz wird nicht dadurch verletzt, dass Witwen- oder Witwerrente geschiedenen Ehegatten, deren nachehelicher Unterhaltsanspruch sich nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht bestimmt, nicht gewährt wird. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden und die Verfassungsbeschwerde (Vb) einer betroffenen Beschwerdeführerin (Bf) nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die im Beitrittsgebiet lebende 1926 geborene Bf begehrte im Ausgangsverfahren Geschiedenenhinterbliebenenrente in der Form einer Geschiedenen-Witwenrente nach ihrem geschiedenen, 1985 verstorbenen Ehemann (Versicherten). Die 1947 in der DDR geschlossene Ehe wurde 1970 rechtskräftig geschieden. Die Bf erhielt das Sorgerecht für das 1960 aus der Ehe hervorgegangene Kind. Der Ehemann wurde zu Unterhaltsleistungen an das Kind, nicht jedoch an die Bf verurteilt. Diese war vor, während und nach der Scheidung ohne Unterbrechung berufstätig. Nach dem Tod des Versicherten im Jahr 1985 erhielt sie keine einer Geschiedenenwitwenrente vergleichbare Leistung. Sie bezog ab dem 1. März 1986 eine eigene Altersrente. Mit ihrem 1992 gestellten Antrag auf Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente blieb sie vor den Sozialgerichten ohne Erfolg. Mit ihrer Vb greift sie den gesetzlichen Anspruchsausschluss an, der im Sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs über die Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) geregelt ist. Sie sieht darin eine willkürliche Ungleichbehandlung.

Der Sachverhalt ist vor folgendem rechtlichen Hintergrund zu sehen:

Nach § 243 SGB VI haben geschiedene Ehegatten nach dem Tod ihres früheren Ehepartners unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente. Voraussetzung ist die Scheidung der Ehe vor dem 1. Juli 1977. Für die nach dem Recht des Beitrittsgebiets geschiedenen Ehegatten ist weder ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente noch ein Anspruch auf Versorgungsausgleich vorgesehen. Bestimmt sich der Unterhaltsanspruch geschiedener Ehegatten nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht, ist § 243 SGB VI auch bei einer Scheidung vor dem 1. Juli 1977 nicht anzuwenden (Ausschlussregelung).

Wesentlich für das Verständnis der gesetzlichen Regelungen ist der Zusammenhang zwischen der Gewährung einer Geschiedenenhinterbliebenenrente und einem nachehelichen Unterhaltsanspruch. Fehlte er, kam ein Geschiedenenwitwenrentenanspruch als Unterhaltsersatzanspruch nicht in Betracht. Zum 1. Juli 1977 wurde im Bundesgebiet mit der Einführung des Grundsatzes der verschuldensunabhängigen Ehescheidung das nacheheliche Unterhaltsrecht sowie das Hinterbliebenenrecht neu geregelt. Danach hat sich jeder Ehegatte nach der Scheidung grundsätzlich selbst zu unterhalten. Durch den Versorgungsausgleich werden die während der Dauer der Ehe erworbenen Versorgungsansprüche gleichmäßig zwischen den Eheleuten aufgeteilt. Dadurch wird ein originärer Rentenanspruch des hinterbliebenen geschiedenen Ehegatten begründet. In der DDR war das Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht bereits vor dem 1. Juli 1977 dem Grunde nach verschuldensunabhängig geregelt. Nacheheliche Unterhaltsansprüche waren die Ausnahme. Mit der Funktion eines "Überbrückungsgeldes" waren sie insbesondere an die Bedürftigkeit des Anspruchstellers und die Leistungsfähigkeit des in Anspruch Genommenen gebunden und nur für eine maximal zweijährige Übergangszeit vorgesehen. Dementsprechend gab es grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente des geschiedenen Ehepartners.

Nach den Regelungen im Einigungsvertrag im Zuge der Wiedervereinigung bleibt das bisherige Recht maßgebend, wenn die Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschieden worden ist. Weiter gilt das Recht des Versorgungsausgleichs nicht für Ehegatten, die vor dem In-Kraft-Treten des § 243 SGB VI am 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet geschieden worden sind. Selbst wenn ausnahmsweise am 3. Oktober 1990 ein Unterhaltsanspruch bestand, tritt nach der Ausschlussregelung des SGB VI bei Versterben des früheren Ehegatten an dessen Stelle keine Geschiedenenwitwenrente.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Bf ist nicht in ihren Rechten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz verletzt. An die Grundentscheidung, dass der bereits in der DDR geregelte nacheheliche Unterhalt fortgilt, ist anzuknüpfen, wenn es um einen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente der in der DDR Geschiedenen geht. Andernfalls entstünden neue Ungleichheiten, wenn beim Ableben des Versicherten das Unterhaltsrecht der Bundesrepublik anwendbar sein soll. Die Ausschlussregelung betrifft die Gruppe der vor dem 1. Juli 1977 in der DDR Geschiedenen, die über einen wirtschaftlich erheblichen, zeitlich nicht begrenzten Unterhaltsanspruch verfügten. Sie erhalten bei Versterben des früheren Ehegatten im Unterschied zu den vor diesem Zeitpunkt in den alten Bundesländern Geschiedenen keine Geschiedenenwitwenrente als Unterhaltsersatzanspruch. Diese Benachteiligung ist jedoch jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn Geschiedene innerhalb der benachteiligten Gruppe sozial weniger schutzbedürftig sind, weil sie über eine eigene Alterssicherung verfügen. Die Bf, die im Übrigen nicht das Vorliegen eines nachehelichen Unterhaltsanspruchs vorgetragen hatte, bezog noch zu Zeiten der DDR eine überdurchschnittlich hohe Altersrente und wurde angesichts ihrer eigenen Alterssicherung als sozial weniger schutzbedürftig angesehen. Ihre Gesamtaltersrente wird ihr nunmehr nach dem SGB VI in dynamisierter Form weitergewährt.

Karlsruhe, den 26. Juni 2003