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"Ostbesoldung" ist verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 52/2003 vom 17. Juli 2003

Beschluss vom 12. Februar 2003, Beschluss vom 12. Februar 2003
2 BvL 3/00
2 BvR 709/99

Die niedrigere Besoldung für Beamte, Richter und Soldaten in den neuen Ländern ist derzeit noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen eines konkreten Normenkontroll-Verfahrens und auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Richters aus Sachsen-Anhalt (Beschwerdeführer; Bf). Weiter wurde entschieden, dass Richter, die nicht alle laufbahnrechtlichen Befähigungsvoraussetzungen im bisherigen Bundesgebiet erworben haben, von der Gewährung eines die abgesenkte Besoldung ergänzenden ruhegehaltfähigen Zuschusses ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz ausgeschlossen werden können. Die Entscheidung im konkreten Normenkontroll-Verfahren ist mit sieben zu einer Stimme ergangen, die Vb wurde mit sechs gegen zwei Stimmen zurückgewiesen.

1. Den Entscheidungen liegen folgende Sachverhalte zugrunde:

§ 73 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) ermächtigt aus Anlass der Herstellung der Einheit Deutschlands die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung Übergangsregelungen für die Besoldung zu erlassen. Diese Ermächtigung wurde immer wieder, zuletzt bis zum 31. Dezember 2005 befristet. Nach der ab 1. Juli 1991 geltenden Zweiten Besoldungs-Übergangsverordnung - 2. BesÜV - betrugen die Dienstbezüge für Beamte, Richter und Soldaten, die von ihrer erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet verwendet wurden, zunächst 60 v. H. der für das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezüge. Das Außer-Kraft-Treten der 2. BesÜV wurde mehrfach aufgeschoben, zuletzt bis zum 31. Dezember 2005. Die Dienstbezüge der von ihrer erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet verwendeten Beamten, Richter und Soldaten wurden schrittweise von 60 v. H. bis auf 90 v. H. seit 1. Januar 2002 erhöht.

Der Kläger des dem konkreten Normkontroll-Verfahren zugrundeliegenden Ausgangsverfahrens war seit Februar 1992 als Polizeibeamter in Sachsen tätig. Sein 1998 gestellter Antrag, ihm rückwirkend ab 1. Januar 1996 volle Dienstbezüge zu gewähren und den aufgelaufenen Differenzbetrag auszuzahlen, blieb ohne Erfolg. Nach Überzeugung des vom Kläger hiergegen angerufenen Verwaltungsgerichts Dresden verstößt § 73 BBesG gegen Art. 143 Abs. 2, Art. 33 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG. Es legte diese Frage dem BVerfG zur Entscheidung vor.

In dem Verfassungsbeschwerde-Verfahren geht es zudem um einen ruhegehaltfähigen Zuschuss, den Beamte, Richter und Soldaten im Beitrittsgebiet zur Anpassung ihrer Dienstbezüge an das "Westniveau" erhalten, wenn sie bis zum 24. November 1997 aufgrund der im bisherigen Bundesgebiet erworbenen Befähigungsvoraussetzungen ernannt worden sind. Seit 25. November 1997 ist die Bewilligung des Zuschusses von einem dringenden dienstlichen Bedürfnis für die Gewinnung des Beamten, Richters oder Soldaten abhängig und steht im Ermessen des Dienstherrn.

Der Bf, der im Juli 1990 sein Studium der Rechtswissenschaften als Diplom-Jurist an der Humboldt-Universität zu Berlin (Ost) und danach den besonderen Vorbereitungsdienst in Niedersachsen mit der Zweiten juristischen Staatsprüfung abgeschlossen hat, ist seit 1993 als Richter in Sachsen-Anhalt tätig. Er erhält seither abgesenkte Dienstbezüge; zwischen 1994 und 1996 erhielt er einen Zuschuss der genannten Art, dessen Zahlung später eingestellt und der zurückgefordert wurde, weil er nicht alle Befähigungsvoraussetzungen im bisherigen Bundesgebiet erworben habe. Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Der Bf rügt insbesondere die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und 3, Abs. 33 Abs. 5 GG.

2. In den Gründen beider Entscheidungen heißt es:

a. § 73 BBesG ist nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil Recht im Beitrittsgebiet nach Art. 143 Abs. 1 und 2 GG nur für bestimmte Übergangsfristen von Bestimmungen des Grundgesetzes abweichen darf. Art. 143 Abs. 1 und 2 GG ist nicht als spezieller Gleichheitssatz zu verstehen, der die Zulässigkeit einer auf den besonderen Verhältnissen im Beitrittsgebiet beruhenden Differenzierung abschließend regelt. Diese Vorschrift greift nicht schon ein, wenn vergleichbare Sachverhalte im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedlich geregelt werden, sondern erst dann, wenn das im Beitrittsgebiet geltende Recht gegen die Verfassung verstößt.

b. Die Absenkung der Besoldung ist mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar. Kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums verwehrt es dem Besoldungsgesetzgeber, die Höhe der Beamtenbezüge aus sachlich vertretbaren Gründen regional zu differenzieren. Aus dem Alimentationsgrundsatz folgt kein Anspruch des Beamten auf Besoldung in einer bestimmten Höhe. Der Gesetzgeber hat insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum. Hinsichtlich der Höhe der amtsangemessenen Besoldung sowie deren Entwicklung und Anpassung hat sich der Besoldungsgesetzgeber unter Anderem auch an den wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen sowie dem allgemeinen Lebensstandard zu orientieren. Das Alimentationsprinzip ist nicht verletzt, wenn die Bezüge abgestuft nach Wohnsitz oder Dienstort bemessen werden, sofern sich solche Unterscheidungen nach Anlass und Ausmaß vor dem Gleichheitssatz rechtfertigen lassen. Schon unter der Weimarer Reichsverfassung wie auch unter dem Grundgesetz gab es bis zur Einführung der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes im Jahr 1971 keine einheitliche Besoldung. Der frühere Ortszuschlag machte als Bestandteil der Besoldung das an sich fixe, in der Summe gleiche Gehalt für alle Beamten in gleicher Position in gewissem Umfang variabel. Damit wurden auch Unterschiede des Wohnsitzes sowie örtliche Unterschiede in den Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Auch die abgesenkte Besoldung im Beitrittsgebiet knüpft an die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse der Region an, in der der Beamte, Richter oder Soldat verwendet wird. Mit der prozentualen Verminderung des Grundgehalts hat der Gesetzgeber eine einheitliche Übergangslösung geschaffen. Auch die konkrete Höhe der einem Beamten des mittleren Dienstes gewährten abgesenkten Besoldung steht nicht im Widerspruch zu Art. 33 Abs. 5 GG.

c. Die niedrigere Besoldung für Richter, Beamte und Soldaten in den neuen Ländern ist im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz derzeit noch gerechtfertigt. In den neuen Ländern unterscheiden sich die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse noch immer deutlich von denen im gesamten übrigen Bundesgebiet. Diese Unterschiede können noch auf die besondere Ausnahmesituation der Wiedervereinigung und die mit ihr zu bewältigenden transformatorischen Gesamtaufgaben des Staates zurückgeführt werden. Zwar sind Beamte mit gleichen oder gleichwertigen Ämtern in der Regel gleich zu besolden. Eine Differenzierung kann aber bei einem sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Die aus der historischen Ausnahmesituation der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands folgenden allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse im Beitrittsgebiet rechtfertigen eine besoldungsrechtliche Unterscheidung. Der Gesetzgeber darf in dieser einmaligen Sonderlage auf die beschränkte Leistungskraft der öffentlichen Haushalte in den neuen Ländern durch eine allgemeine Absenkung der Besoldung Rücksicht nehmen. Ziel der Übergangsregelung war die Schaffung einer leistungsstarken, rechtsstaatlichen Justiz und Verwaltung in den neuen Ländern. Die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unterschieden sich bei der Einführung des § 73 BBesG in den neuen und den alten Bundesländern in besonderer Weise. Bei der Abgrenzung des von der Absenkung der Besoldung betroffenen Personenkreises wurden die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschritten. Dass die zuvor im bisherigen Bundesgebiet verwendeten Beamten, Richter und Soldaten bei einer Verwendung in den neuen Ländern ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG weiterhin nach "Westniveau" besoldet wurden, erklärt sich mit dem Schutz ihres Vertrauens in den einmal erreichten Besoldungsstand.

d. Auch 13 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten lässt sich die weiter bestehende Absenkung der Dienstbezüge noch begründen. Die tiefgreifenden Veränderungen und Umstrukturierungen des öffentlichen Dienstes in Folge der Vereinigung sind zwar weitgehend abgeschlossen. Jedoch rechtfertigen die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse im Beitrittsgebiet noch zwei verschieden hohe Besoldungsniveaus. So unterschieden sich die Bruttoinlandsprodukte je Erwerbstätigem zwischen dem leistungsstärksten neuen Land und dem leistungsschwächsten alten Land im Jahr 2000 um immerhin 19 v. H., ohne dass sich seither daran Wesentliches geändert hätte. Deutliche Unterschiede bestehen weiter hinsichtlich der Wirtschafts- und Steuerkraft, der Arbeitslosigkeit sowie hinsichtlich des allgemeinen Preis- und Lohnniveaus und sonstiger Rahmenbedingungen für die finanzielle und wirtschaftliche Situation der Bevölkerung und den allgemeinen Lebensstandard. Dies gilt auch für die sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrößen und die Entwicklung der Eck- oder Standardrente. Schließlich darf auch die Finanzlage der öffentlichen Haushalte bei der Festsetzung der Besoldung berücksichtigt werden. Nach alledem lassen sich die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und deren Entwicklung im Beitrittsgebiet noch hinreichend aussagekräftig als gemeinsame Folge des Transformationsprozesses erklären.

e. Eine ausdrücklich als solche bezeichnete Übergangsregelung ist jedoch in ihrer Geltung nicht beliebig verlängerbar. Insbesondere lassen sich zwei unterschiedlich hohe Besoldungen nicht damit rechtfertigen, dass zunächst eine völlige Angleichung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse in Ost und West zu erreichen wäre. Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenwahrheit muss sich der Gesetzgeber an dem für den Normadressaten ersichtlichen Regelungsgehalt der Norm festhalten lassen.

3. Der Bf des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens ist durch die Versagung des Zuschusses zur Anpassung seiner Dienstbezüge an das "Westniveau" nicht in seinen Rechten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz verletzt. Mit der Zuschussregelung sollte dringend benötigtes Fachpersonal schnell gewonnen und das Vertrauen der Bürger der neuen Länder in Justiz und Verwaltung gestärkt werden. Der Ausschluss der Begünstigung von Richtern, die nicht alle laufbahnrechtlichen Befähigungsvoraussetzungen im bisherigen Bundesgebiet erworben haben, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn das mit Erfolg absolvierte rechtswissenschaftliche Studium vermittelt grundlegende fachbezogene Inhalte, die im späteren Amt fortwirken; ihm kommt deshalb laufbahnrechtlich ein bedeutendes Gewicht zu. Ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Heimat liegt nicht vor. Eine Unterscheidung in der Besoldung, die der Bewältigung von Transformationsproblemen im Zuge der Wiedervereinigung dient, begründet nicht deshalb einen solchen Verstoß, weil Personen davon je nach Ausbildung im früheren Bundesgebiet oder im Beitrittsgebiet in unterschiedlicher Weise betroffen sind. Durch die Zuschussregelung ist weder der beamtenrechtliche Alimentationsgrundsatz noch das Prinzip des Vertrauensschutzes betroffen.

Karlsruhe, den 17. Juli 2003